Beim Artemis-Projekt ist nach einem Jahr die Luft raus

Alex Hitzinger hat es offenbar kommen sehen. Im Webcast Automobilwoche TALKS BUSINESS wurde er Mitte April gefragt, ob es sich denn bewährt habe, dass sein Artemis-Projekt bei Audi abseits der eingefahrenen Strukturen arbeite und sein eigenes Ding machen könne. Seine ausweichende Antwort: "Das wird sich noch zeigen." Noch sei man ja am Anfang.

Sechs Wochen später ist nun Schluss mit der Eigenständigkeit: Audi holt das 2020 mit vielen Vorschusslorbeeren gestartete Projekt ins Haus. Hitzinger, den Audi erst ein Jahr zuvor als Hoffnungsträger nach Ingolstadt gelockt hatte, verlässt das Projekt. Die bisher eigenständige Artemis GmbH, die er führte, wird direkt Audi unterstellt – mit reduzierten Aufgaben.

Den wichtigsten Part, die Entwicklung des bahnbrechenden E-Fahrzeugs, hatte Audi-Chef Markus Duesmann seinem Star-Ingenieur schon im März aus der Hand genommen: "Wir haben die Konzeptphase für das erste Artemis-Modell abgeschlossen", verkündete Duesmann damals. Und fügte hinzu: Das Projekt werde nun in der Technischen Entwicklung von Audi zur Serienreife gebracht. Also nicht mehr bei Artemis. Was rückblickend so klingt wie: Jetzt übernehmen die Profis.

Das hatte vor einem Jahr noch ganz anders geklungen. In Rekordzeit sollte Artemis ein wegweisendes Elektroauto auf die Straße bringen, das hoch automatisiert fährt. Und zugleich die komplette Entwicklung revolutionieren. Schnell, unbürokratisch und losgelöst von allen Strukturen. Hitzinger, der zuvor bei Apple und VW Nutzfahrzeuge das autonome Fahren vorangetrieben hatte, galt dafür als ideale Besetzung.

Den ehrgeizigen Zeitplan, das erste Artemis-Modell 2024 auf die Straße zu bringen, musste Duesmann schon im März kassieren. Man werde das Fahrzeug zwar noch 2024 vorstellen, auf den Markt komme es aber erst 2025, sagte er der Automobilwoche. Bereits im Februar hatte es Berichte über Probleme bei Artemis gegeben: Das Projekt liege Monate hinter dem Zeitplan zurück und Hitzinger habe ständig Ideen und Sonderwünsche eingebracht, die nicht serientauglich waren.

Dabei sei die Idee, mit einem Start-up die Entwicklung agiler und dynamischer zu machen, durchaus positiv, sagt Stefan Reindl vom Institut für Automobilwirtschaft in Geislingen. "Allerdings besteht eben auch die Gefahr, dass sich solche Unternehmen hinsichtlich ihrer Entwicklung zu stark von den Konzernstrukturen entfernen – und dann kontraproduktiv agieren." Dann werde es zum Problem.

Zudem war es Hitzinger nie gelungen, Artemis zum Magneten für Fachkräfte zu machen. Statt der angepeilten 250 sind nur 20 an Bord. "Das Signal für hoch spezialisierte Fachkräfte ist ausgeblieben", sagt Reindl, "wodurch wohl auch das Gesamtkonzept infrage gestellt wurde."

Der Anstoß, die Artemis GmbH endgültig in den Konzern einzubinden, kam am Ende offenbar von Hitziger selbst. Ende Mai bat er den Vorstand, ihn vom Projekt zu entbinden und räumte sofort seinen Posten. Er suche nun nach einer neuen Herausforderung.

Von Artemis war zu diesem Zeitpunkt ohnehin nicht mehr viel übrig: Nach der Übergabe der Fahrzeugentwicklung an Audi hatte Hitziger auch die Softwarehoheit an Cariad abgeben müssen. Übrig bliebt die Entwicklung von Methoden und Tools für die Fahrzeugentwicklung, die Artemis weiter vorantreiben soll.

Duesmann hätte vorgewarnt sein können. Denn die Blaupause für Artemis hatte er quasi von BMW mitgebracht, wo er zuvor im Vorstand saß. Das Project i, das dort 2007 aufgelegt wurde, sollte ebenfalls abseits der üblichen Konzernstrukturen ein völlig neues Fahrzeug entwickeln. Das Ergebnis, der i3, wurde dann auch als hoch innovativ und wegweisend gelobt. Doch er war in der Produktion viel zu teuer und kam bei den Kunden nur mäßig an. Bei Artemis zog Duesmann nun früher die Notbremse.

Nachahmer fand das Projekt, das eigentlich als Blaupause für den gesamten Konzern dienen sollte, ohnehin nie. VW verzichtete bei seinem eigenen Leuchtturmprojekt Trinity von vornherein auf den Start-up-Ansatz. Angesiedelt wurde das Projektteam ganz klassisch im Entwicklungsressort von Thomas Ulbrich.

Lesen Sie auch:

Autonomes E-Auto: Audi übernimmt Artemis-Entwicklung

Automobilwoche TALKS BUSINESS: Die Benchmark Tesla verliert an Bedeutung

EXKLUSIV – Interview mit Audi-Chef Markus Duesmann: Artemis kommt erst 2025 auf die Straße

Konzeptphase abgeschlossen: Audi startet Serienentwicklung des ersten Artemis-Modells

Aus dem Datencenter:

Modellvorschau Audi E-tron 2023 bis 2025