BMW und McLaren reden - wieder einmal - über eine Zusammenarbeit. Diesmal geht es zunächst um einen vollelektrischen M1 und sein englisches Schwestermodell. Die beiden Leichtbau-Sportwagen mit Karbonkarosserie sollen in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts auf den Markt kommen. Doch noch ist das Projekt nicht in trockenen Tüchern. Was vor allem fehlt, ist ein überzeugender Business Case, mit dem der neue McLaren-Chef Michael Leiters bei seinem leidgeprüften Großaktionär, Mumtalakat aus Bahrein, möglichst zeitnah die nicht unwesentlichen finanziellen Mittel loseisen muss.
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Beim Festival of Speed in Goodwood Ende Juli hatte Frank van Meel, Boss der M GmbH, seinen großen Auftritt im Rahmen der 50-Jahr-Feier des Ablegers von BMW. Keine 200 Meter Luftlinie entfernt war Michael Leiters, der von Ferrari als CEO zu McLaren gewechselte Top-Manager, eine Woche vor seinem offiziellen Amtsantritt auf dem Stand seines künftigen Arbeitgebers noch inkognito als Privatmann unterwegs. Doch die Herren haben vor Ort miteinander telefoniert - und für Juli ein erstes Treffen vereinbart. Dabei wollen sich beide Seiten schonungslos die Karten legen und die Machbarkeit einer potenziell weitreichenden Zusammenarbeit ausloten. Für BMW ist die darin festgeschriebene Neuauflage des legendären M1 nicht Pflicht, sondern Kür. Für McLaren ist der Wechsel zur Elektromobilität dagegen nur in Verbindung mit einem technologiestarken Partner zu stemmen. Während die Münchner in der anstehenden Gemengelage E-Motoren, Akkus und die dazu passende Software liefern würden, wären Kohlefaser-Leichtbau und Sportwagen-Kompetenz die Mitgift der Briten.
Zurück in die Zukunft
BMW und McLaren sprechen über eine Zusammenarbeit. Dabei geht es um die Neuauflage eines legendären Fahrzeugs - und um ein weiteres Modell.
Wir erinnern uns mit Freude an den dreisitzigen McLaren F1, der zum Anlauf 1990 mit einem von BMW entwickelten, 680 PS starken 6,1 Liter V12 bestückt war. Rund zehn Jahre später unterzeichneten die Engländer einen Kooperationsvertrag mit Mercedes-Benz, als dessen erstes und einziges Resultat der SLR hervorging. Im Nachgang waren wieder die Bayern am Drücker und hatten wiederholt versucht, mit Hilfe aus Woking einen Kleinserien-Supersportwagen im Stil von M1 und Z8 auf die Räder zu stellen. Zuletzt präsentierten Frank van Meel und der damalige CTO Klaus Fröhlich 2019 eine BMW-Variante des McLaren Artura V6 im Vorstand, der allerdings auf dem klassischen Reihensechser bestand und dankend ablehnte. Mit der Trendwende zur Elektrifizierung bietet sich den Protagonisten jetzt abermals die Chance einer konzertierten Aktion, denn die Entwicklungsarbeit im E-Bereich beginnt praktisch bei Null, das Fahrzeugkonzept und die Komponenten können den Anforderungen beider Marken entsprechend neu ausgelegt werden, die Aufgabenverteilung und der materielle Einsatz wären bereits im Vorfeld weitgehend fixiert.
Unter der Führung von van Meel und dem inzwischen geschassten CEO Mike Flewitt war das Projekt schon 2021 relativ weit gediehen, doch dann bekamen nach den BMW-Granden auch die McLaren-Geldgeber kalte Füße und ließen sich statt dessen lieber von Audi becircen. Die Ingolstädter wollten bis ins Frühjahr 2022 per Fixpreis-Gesamtpaket das F1 Team und die Sportwagenschmiede im Handstreich übernehmen, aber Mumtalakat forderte mehr Geld und machte am Ende erneut einen Rückzieher. Zeitgleich ging BMW auf Distanz zu McLaren - die Gefahr eines Know-How-Transfers an den Erzfeind zwang die Münchner zur Zurückhaltung. Am Ende des Dramoletts standen alle Beteiligten mit leeren Händen vor den Trümmern ihrer Beziehungen. Audi hat sich danach auf die Schnelle mit Sauber geeinigt, BMW läuft immer noch die Zeit davon, und McLaren braucht nach Jahren der Überproduktion und Unterfinanzierung nicht nur frisches Geld, sondern auch einen verlässlichen Verbündeten.
Keine Frage: auf Michael Leiters kommt viel Arbeit zu. Er muss den Aderlass stoppen, die Elektrifizierung vorantreiben, eine neue Designrichtung anstoßen, die beim Artura evidenten Software-Probleme lösen, das neue Kohlefaser-Werk in Wales auslasten, den Vertrieb stabilisieren und über den vorsichtigen Ausbau der Palette nachdenken. Crossover heißt hier das Zauberwort, das mit dem Wunschpartner BMW Realität werden soll. Doch was genau soll dieser Crossover können, und wo genau im randvollen Portfolio soll das weiß-blaue Gegenstück seinen Platz finden? Nach ersten Gesprächen mit beiden Hauptakteuren scheint klar zu sein, dass der Crossover aktuell nur zweite Priorität genießt. Während McLaren mit einem sehr flachen und sehr sportlichen CUV liebäugelt, braucht BMW M definitiv keinen weiteren X oder XM, sondern eher einen Gegenentwurf zum Porsche Taycan Cross Turismo, der als neu gedachter viertüriger Achter/i8 oberhalb des Siebeners reüssieren könnte. O-Ton Garching: "Wenn ein Crossover, dann nur in einer Form, die es heute noch gar nicht gibt." O-Ton Woking: "Wir benötigen ein zweites Standbein, das gerne noch radikaler sein darf als der Ferrari Purosangue."
Während der Crossover nicht vor 2029/30 erwartet wird, sollte der BMW M1 schon 2027 oder 2028 startklar sein. Warum? Weil Mercedes AMG in fünf Jahren seinen ersten Hochvolt-Sportler auf den Markt bringen will, weil der elektrifizierbare Porsche 998 nur ein Jahr später erwartet wird, weil Audi mit Hochdruck am emissionsfreien R next arbeitet, und weil der batteriebetriebene Ferrari Roma-Nachfolger im gleichen Zeitfenster debütieren soll. McLaren wollte ursprünglich schon 2026 mit einer E-Variante es Artura überraschen, doch inzwischen hat die maßgeschneiderte Elektro-Matrix im Schulterschluss mit BMW erste Priorität. Das erklärte Gewichtsziel liegt "möglichst dicht" an der 1500 Kilo-Schallmauer - in Anbetracht des rund 300 Kilo schweren Akku-Packs wäre das ein geradezu revolutionärer Wert, aber schließlich ist der McLaren 675LT 165 Kilo leichter als ein Porsche 911 GT2 RS. Während andere Supercar-Hersteller Leistungen von 1 MW und mehr anstreben, liegen die aus BMW-Quellen abgegriffenen Eckdaten der vier radnahen E-Maschinen des M1 in Summe aktuell bei 1088 PS und 1200 Nm.
Die Engländer wollen noch fünf bis sieben Jahre am Verbrenner festhalten und sogar einen neuen V8 entwickeln oder zukaufen, weil der alte Motor an der EU7-Abgashürde scheitert. Gleichzeitig gilt es, die ausufernde Variantenvielfalt zu reduzieren und die Gewinnmarge per Höherpositionierung aufzubessern - mit nur 300 bis 900 Autos pro Baureihe steht das Kostengerüst nämlich auf wackligen Beinen. Trotzdem haben BMW und McLaren dem deutlich günstigeren Cross-Branding eine klare Absage erteilt. Wenn sich das Projekt tatsächlich rechnet, wird es definitiv zwei verschiedene Hüte und zwei entsprechend differenzierte Cockpits geben. In Sachen Preis und Leistung darf der rund 400,000 Euro teure Nachfolger des 720S in einer eigenen Liga (Super Series) spielen. Darüber rangieren die Fahrzeuge der Ultimate Series (circa 800,000 Euro) und die auf wenige Exemplare beschränkten Vertreter der Extreme Series (über zwei Millionen Euro). Der M1 wird - so er denn kommt - zwar der teuerste BMW aller Zeiten, aber wenn man dem Flurfunk Glauben schenken mag, darf das limitierte Halo Car maximal 250,000 Euro kosten.
Die BMW M GmbH hat 2021 mit 163.542 Autos einen neuen Absatzrekord erzielt. Der McLaren-Verkauf dümpelte dagegen mit 2138 Verkäufen vor sich hin, was einem Erlös von knapp 20 Millionen Euro entsprach, der sich kaum auf die kumulierten Verbindlichkeiten in Höhe von fast einer halbe Milliarde Euro auswirken dürfte - ungleicher können Kennzahlen nicht sein. Das Interesse von Goliath an David ist freilich ungebrochen, denn McLaren ist "schneller, schlanker, flexibler und günstiger. Sie beherrschen den Mix aus kleinen Stückzahlen und hoher Komplexität mit Bravour." Trotzdem gibt es noch diverse offene Fragen. Dabei geht es unter anderem um spezifische technische Inhalte, markentypische Ausprägungen, Varianten- und Bauraumvielfalt, die zentrale Organisation von Reparatur und Wartung, das Leistungsspektrum und die Art der Batterie-Integration. Parallelen zur Neuen Klasse von BMW betreffen allenfalls einige wenige Bauteile. Das große Ganze, die sogenannte Transformative Architektur, muss dagegen von Grund auf neu definiert werden. Eine Grundsatzentscheidung soll bis Jahresende fallen.
Aus dem Datencenter: