Chinesische E-Autobauer in Europa auf dem Vormarsch

"Wir wollen in Europa mittelfristig unter die Top fünf." Das kündigte Brian Yang, Vize-Europa-Chef von BYD, kürzlich an. Markige Worte - gerade unter Berücksichtigung aktueller Marktdaten. Der chinesische Großkonzern liegt bei den weltweiten Verkäufen rein elektrischer Fahrzeuge in diesem Jahr zwar nur noch knapp hinter US-Hersteller Tesla und setzte in den ersten drei Quartalen mehr als eine Million E-Autos ab. Jedoch entfällt ein Großteil davon auf den chinesischen Markt. Lediglich neun Prozent der BYD-Stromer wurden ins Ausland exportiert. Der Anteil soll aber enorm steigen. Dazu soll unter anderem die Limousine Seal, ein Konkurrent für Teslas Model 3, beitragen.

Die Europa-Vorhaben von BYD stehen stellvertretend für die selbstbewusst auftretende chinesische Autoindustrie. MG Motor etwa, eine Marke des SAIC-Konzerns, ist derzeit wohl der erfolgreichste Newcomer auf dem europäischen Kontinent. Die Zulassungszahlen von MG steigen stetig. In Deutschland kommt die Marke mittlerweile auf einen Anteil von gut drei Prozent am BEV-Markt.

Schon häufiger hieß es in der Vergangenheit, chinesische Hersteller könnten das Feld von hinten aufrollen. Und diesmal - anders noch als bei den ersten Startversuchen in Europa Anfang dieses Jahrtausends - scheint die Offensive durch den Technologiewechsel zur E-Mobilität wirklich möglich.

Dazu kommt: Anders als noch vor einigen Jahren überzeugen die Autos nun auch beim Thema Sicherheit. Der MG4 Electric etwa, ein Konkurrent des Elektro-Kompaktwagens VW ID.3, wurde im EuroNCAP-Crashtest mit fünf Sternen ausgezeichnet.

Außerdem punkten Marken wie MG nach wie vor mit einem vergleichsweise niedrigen Verkaufspreis (ab 31.990 Euro). Zugleich sehen sich die chinesischen Hersteller längst nicht mehr nur als billige Alternative zu den etablierten Anbietern.

Nio etwa will nicht mit dem Preis, sondern durch technologische Innovationen die Märkte erobern. Vor allem durch die Option, den im Fahrzeugboden untergebrachten Akku an speziellen Batteriewechselstationen in wenigen Minuten gegen einen vollen Stromspeicher einzutauschen. Auch das neue SUV-Modell Nio EL6 verfügt über diese Funktion. Das technische Alleinstellungsmerkmal ist freilich kostspielig für Nio.

China ist ohne Zweifel ein Land mit großem Batterie-Know-how. Mehr als zwei Drittel aller Akkuzellen werden derzeit dort gefertigt. Und nach BYD ist auch Chinas größter Akkuhersteller CATL ins E-Auto-Geschäft eingestiegen. Avatr heißt das Joint Venture, das gemeinsam mit dem Smartphone-Hersteller Huawei und dem Autokonzern Changan gegründet wurde. Die Limousine Avatr 12 wurde auf der IAA Mobility in München gezeigt.

29 Sensoren, darunter drei Lidarsensoren, ein ausfahrbarer Heckspoiler, Kameras anstelle von Außenspiegeln und ein unverglastes Heck, dazu eine Reichweite von bis zu 700 Kilometern - Avatr will damit aus dem Stand in die Gefilde von Elektro-Vorreiter Tesla vorstoßen. Die Marke plant für 2024 den Sprung nach Europa.

In Europa bereits aktiv ist die chinesische Firma Zeekr - eine Marke des Geely-Konzerns, der bereits die chinesische Marke Polestar in Europa etablierte. Zeekr punktet ebenfalls mit Batteriepower. Das Modell 001 soll als eines der ersten Fahrzeuge überhaupt auf mehr als 1000 Kilometer Reichweite mit einer Akkuladung kommen. In Skandinavien sind die ersten Zeekr-Stromer bereits erhältlich. Nächstes Jahr will die Firma auch in Deutschland an den Start gehen.

"Die Rollout-Pläne der chinesischen OEMs sehen meist so aus: Erst starten sie in Norwegen, dann folgen Stück für Stück die nächsten Länder", sagt Jan Burgard vom Beratungsunternehmen Berylls. Etwa 300 Hersteller und Start-ups beschäftigen sich derzeit in China mit der Elektromobilität. Und eine ganze Schar von ihnen plant zeitnah eine Präsenz in Europa. Von mindestens neun Firmen ist bekannt, dass sie noch in diesem, spätestens aber im nächsten Jahr in Europa Autos verkaufen wollen.

Dazu zählt auch der Konzern Chery Automobile, der mit den Submarken Omoda und Jaecoo ab dem ersten Quartal 2024 in Europa antreten will. Im Gegensatz zu den meisten anderen Wettbewerbern setzt Chery Automobile dabei nicht nur auf Elektropower. Das SUV-Modell Omoda 5 etwa soll als Verbrenner, Mild- und Plug-in-Hybrid sowie als Elektroauto angeboten werden. In Deutschland wird der Wagen im Sommer nächsten Jahres erhältlich sein.

Doch längst nicht jede Automarke, die gerade nach Europa drängt, wird es schaffen. "Vielfach wird der Eintritt in Europa fehleingeschätzt. Der Markt wird als zu homogen angesehen, der Fokus zu sehr auf das Produkt, also das Auto gelegt. Händlerstrukturen oder der Bereich Aftersales werden von vielen chinesischen Firmen vernachlässigt", sagt Burgard.

Für die Etablierung auf dem europäischen Markt sei es entscheidend, nicht nur ein Auto erfolgreich zu verkaufen, sondern die Kunden durch ein gutes Gesamtpaket auch nach dem Kauf zu halten. "Daher muss unterschieden werden zwischen kurzfristigem und langfristigem Erfolg. Letzteren werden nur einige wenige haben", sagt Burgard. "Und es wird dauern."

Aus dem Datencenter:

Auslieferungen reiner Elektroautos in China Januar 2021 bis August 2023