Er war CTO bei Continental und hatte zuvor bei BMW den E-Antrieb vorangetrieben. Seit Mai dieses Jahres ist Dirk Abendroth Chef des Batteriezellenherstellers und Porsche-Partners Customcells. Die Automobilwoche sprach mit ihm über Ausbaupläne und ein potenzielles Gewinnerthema.
Herr Abendroth, Sie waren bei BMW, Byton, Continental, jetzt Customcells. Ein ungewöhnlicher Weg.
Ich wollte noch einmal ganz nah an die Menschen und die Technik ran. Customcells ist ein sehr viel kleineres Unternehmen und hat damit einfach den Charme, dass man die Personen wirklich alle kennen kann. Und ich bin als Ingenieur auch an der Technologie wieder sehr viel näher dran. Außerdem: Customcells hat extrem großes Wachstumspotenzial. Das ist ein ganz anderes Umfeld. Für mich war das eine verlockende Chance, noch einmal einen Aufbau komplett mitgestalten zu können.
Welche Rolle spielt dabei die Automobilindustrie?
Die Automobilindustrie ist schon einer der Schwerpunkte. Der Markt ist jetzt da und nimmt deutlich Fahrt auf. Für die Skalierung ist das sehr interessant. Bei der Marge wird das wie immer im Automotive-Bereich ein schwieriges Geschäft.
Das ist aber nur ein Schwerpunkt?
Daneben sehen wir einen weiteren Schwerpunkt: Den Aviation-Markt mit Flugtaxis, der Elektrifizierung der klassischen Flugzeuge und Elektro-Drohnen; ein Markt, der viel kleinere Stückzahlen, aber deutlich höhere Margen verspricht. Für uns ist das ein spannendes strategisches Spiel, zu verstehen, wie diese beiden Märkte in Kombination miteinander funktionieren. Wir nutzen die Dynamik im Automotive-Markt, um zu skalieren, und adressieren zugleich schon jetzt das Potenzial der Aviation, um es später dann bedienen zu können.
Bisher sind Sie aber eher auf Kleinserien und Nischenmärkte spezialisiert. Anbieter wie CATL und LG spielen in einer ganz anderen Liga. Wollen Sie jetzt auch in diese Größenordnung vorstoßen?
Nicht im ersten Schritt. Unser Ansatz ist es, aus den Sonderanwendungen heraus jetzt in den Markt zu dringen. Unsere Stärke ist es, den Schritt von der Forschung und Entwicklung in die Fertigung zu bewältigen. Das können wir, das haben wir geschafft. Jetzt wollen wir skalieren. Im Automotive-Bereich sprechen wir da von mehreren Zehn Gigawattstunden, was deutlich über das hinausgeht, was Customcells in der Vergangenheit gemacht hat
Ihr Joint Venture Cellforce mit Porsche baut in Kirchentellinsfurt bei Tübingen gerade eine Zellfabrik und will die Kapazität jetzt auf eine Gigawattstunde verzehnfachen.
Es wird sogar etwas mehr als eine Gigawattstunde. Und von da aus könnten wir weiter skalieren.
Und das geht alles an Porsche?
Mehrheitseigentümer von Cellforce ist Porsche. Die Entscheidung fällt also in Zuffenhausen. Aktuell ist Porsche ganz klar Leadkunde von Cellforce. Ob bei weiterer Skalierung andere Kunden bedient werden, ist noch offen. Wir als Customcells sehen uns als Know-how-Partner, der Industrieunternehmen - in diesem Fall Porsche - beim Aufbau einer individuell auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Batterieforschung und -produktion unterstützt. Wir sind grundsätzlich für alle Branchen und die gesamte Industrie offen.
Und dann werden Sie nicht nur wie bisher besonders leistungsstarke Premiumzellen für ganz spezielle Anwendungen liefern, sondern auch welche fürs Massengeschäft?
Das geht schon in ganz normale Seriensegmente rein. Aber natürlich versuchen wir, das Portfolio von oben her mit echten High-Performance-Zellen zu durchdringen. Und wenn die Kosten weiter sinken und sich die Technologie weiterentwickelt, kann es durchaus sein, dass die Technologie, die heute Premium ist, zu einer Massentechnologie wird.
Die Sie dann in großer Stückzahl herstellen wollen?
Aus Sicht von Customcells gibt es verschiedene Möglichkeiten. Entweder baue ich tatsächlich mehrere große 40-Gigawattstunden-Fabriken und bin dann im Massengeschäft. Das wären natürlich gewaltige Investitionen. Oder wir bleiben lieber in unserem Bereich, sind immer an der neuesten Technologie dran und versuchen dann, unser Know- how zu lizensieren. Damit andere Hersteller, die schon Kapazitäten haben, ihre Anlagen - gegen eine Lizenzgebühr - auf unsere Technologie aufrüsten können. Das könnte für uns auch ein attraktives Modell sein.
Also keine weiteren eigenen Fabriken?
Doch. Wir planen gerade zwei Werke, eins für den Automotive-Bereich, eins für Aviation. Das sind dann schon richtige Fabriken, die jenseits der Größenordnung von einer Gigawattstunde gehen. Da sind wir gerade bei der Standortsuche.
Vielleicht in Ostdeutschland?
Das ist absolut denkbar. Aber entschieden ist noch lange nichts.
Welche Größenordnung schwebt Ihnen vor?
Beim Aviation-Standort planen wir momentan etwa 3,5 Gigawattstunden, die wir nach und nach erweitern können. Das werden mehrere Blöcke, die man zeitlich versetzt hochziehen kann. Zum Automotive-Standort kann ich noch keine Details nennen. Aber aufgrund von Industriestandards würde es schon Sinn machen, zunächst mit zehn Gigawattstunden zu starten, die man später auf 20, 30 oder auch 40 Gigawattstunden ausbauen könnte.
Northvolt hat gerade angedeutet, seine geplante Gigafactory in Heide wegen der hohen Energiepreise womöglich noch einmal zu überdenken und stattdessen in den USA zu bauen. Wäre das auch für Sie eine Option?
Wir planen ganz klar in Deutschland. Wir bekennen uns zum Standort Deutschland und zu unserer Zentrale in Itzehoe sowie zu unserem Serienstandort in Tübingen. Und wir bekennen uns auch klar zu unserem ersten Werk, das wir fest in Deutschland planen.
Die hohen Energiepreise in Deutschland lassen Sie da kalt?
Die Energiepreise in Deutschland sind ein ganz akutes Thema, keine Frage. Wir haben da die gleichen Schmerzen wie Northvolt. Aber bei den Premiumzellen, die wir herstellen, und den deutlich kleineren Stückzahlen, fällt das nicht ganz so stark ins Gewicht. Wir haben einen viel stärkeren Fokus auf Forschung und Entwicklung, auf die Prozesse und Innovationen. Die energieintensive Produktion steht hier nicht so im Vordergrund. Gerade deshalb legen wir aber großen Wert auf energieeffiziente Prozesse, Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit.
Die USA haben Sie aber trotzdem auf dem Schirm?
Ja. Aber als zusätzlichen Standort, nicht anstelle von Deutschland. Wir wollen ein Global Player bei der Premiumbatteriezelle werden. Und dafür brauchen wir auch eine Präsenz in den USA, um beide Märkte, Europa und Amerika, bedienen zu können. Wir sondieren das in den USA gerade. Aber dass wir dort einen eigenen Standort brauchen, ist sicher. Wenn wir die Kunden dort bedienen wollen, dann müssen wir dort auch produzieren.
Und China?
China haben wir momentan nicht auf der Roadmap. Natürlich haben wir Kontakt zu Lieferanten und Wettbewerbern dort. Aber wir planen momentan keine Werke und keine Produktion in China.
Wenn Sie von Global Player sprechen, heißt das auch auf Augenhöhe mit CATL und Co.?
Nicht, was das Volumen angeht. Das ist gar nicht unser Ziel. Wir wollen auch in Zukunft bei kleineren Stückzahlen eine deutlich höhere Marge erzielen. Mit dieser Premium-Strategie sind wir bisher gut gefahren. Andere haben Jahre gebraucht, um Batteriezellen profitabel zu machen. Wir verdienen damit seit zehn Jahren Geld.
Als Customcells vor zehn Jahren anfing, war das Unternehmen noch der krasse Außenseiter. Das Batteriegeschäft war in Europa schlicht nicht vorhanden, die Zellen kamen aus Asien. Hat Europa die Entwicklung verschlafen?
Jein. Es stimmt schon, wir haben hier enormen Nachholbedarf. Das resultiert vor allem aus einer veränderten Wahrnehmung. Vor zehn Jahren glaubten noch alle, dass die Zelle an sich nichts Differenzierendes im Auto ist und es vor allem um die Kosten geht. Das war viele Jahre lang die verbreitete Sichtweise. Jetzt gibt es da ein Umdenken. Man erkennt, dass bei der Zelle sogar eine ganz wesentliche Differenzierung möglich ist. Aber bis zu dieser Erkenntnis haben wir eine ganze Weile gebraucht.
Ist der Rückstand noch aufzuholen?
Wir sind spät dran. Aber Deutschland ist stark im Maschinen- und Anlagenbau, in den Prozessen, die man auch in der Zellproduktion braucht. Darin besteht eine riesige Chance. Die Aussicht, daraus jetzt ein Gewinnerthema zu machen, ist absolut da. Sofern wir uns aber den Weg nicht über zu hohe Energiekosten verbauen.
Aus dem Datencenter:
Produktionskapazitäten für Batteriezellen in Europa 2016 bis 2025