Herr Mabire, Software gilt bei Continental als das große Wachstumsthema. Zugleich drängen Software-Giganten wie Google und Apple ins Geschäft. Kann Continental da mithalten?
Auf jeden Fall. Die Komplexität der Software im Auto wird weiter steigen, und zwar deutlich. Und es gibt niemanden auf dieser Welt, der alles alleine beherrschen kann. Kooperation ist hier das große Thema. Da sind wir ganz vorne mit dabei. Wir arbeiten mit Google zusammen, haben eine Partnerschaft mit Amazon Web Services. Wir passen Themen, die dort zur Kernkompetenz gehören, an die Bedürfnisse der Automobilindustrie an, die wiederum unsere Kernkompetenz ist. Ich sehe da überhaupt keinen Konflikt.
Hilft es Ihnen da die lange Tradition als Zulieferer von Teilen? Oder ist das heute eher Ballast?
Continental ist längst kein klassischer Hardware-Lieferant mehr. Wir haben 19.000 Software-Ingenieure, mehr als eine Milliarde Autos fahren bereits mit Software, die von uns kommt. Und wenn Sie mal unsere Entwicklerinnen und Entwickler besuchen und ich würde das Firmen-Schild abnehmen, wüssten Sie nicht, ob Sie bei Google, Apple oder Continental sind. Die Leute ticken genauso. Wir haben uns in den vergangenen Jahren bereits so stark transformiert, dass wir längst kein traditioneller Tier-1-Zulieferer mehr sind.
Hardware spielt also gar keine Rolle mehr?
Doch. Beides ist wichtig. 90 Prozent der Innovationen kommen künftig von der Software, und die Entwicklung findet immer mehr losgelöst von der Hardware statt. Schon, weil bei der Software die Zyklen viel schneller sind. Doch um die beste Software entwickeln zu können, muss man verstehen, welche Leistung eine Hardware bringen kann. Dieses Gleichgewicht zwischen System, Software und Hardware muss man im Griff haben. Genau das ist unsere Stärke.
Sie setzen bei der Software stark auf Open-Source-Lösungen, die dann allen offen stehen. Birgt das nicht die Gefahr, dass sie zu viel Know-how teilen und Wettbewerbsvorteile verlieren?
Überhaupt nicht. Open-Source-Lösungen helfen der Branche, Industriestandards zu schaffen. Und darauf kann dann jeder seine Anwendungen aufsetzen. Das schafft erst die Grundlage, um mehr Re-use zu ermöglichen, damit wir die Software stetig weiterentwickeln können, ohne immer wieder ganz von vorn anzufangen. Die Frage ist ja auch: Muss ich alles selbst entwickeln? Ich sage: Nein. Weil das niemand schaffen kann. Für mich ist daher klar: Alles, was Mehrwert schafft, wollen wir unter Kontrolle haben. Alles, was schon existiert, können wir im Re-use machen.
Was kann Continental hier einbringen?
Unser Anspruch ist, Enabler der Transformation zu sein. Wir sind vor allem in der Middleware stark, bei der Software also, die im Hintergrund läuft, von der der Endkunde aber nie etwas sieht. Da sehen wir gewaltiges Potenzial, wenn es zu einheitlichen Standards kommt. Und wir setzen auf mehr Automatisierung in der Entwicklung, auch durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz, um die Geschwindigkeit zu erhöhen. Da gibt es noch viel an Effizienz zu gewinnen.
Das mit dem einheitlichen Standard hat aber ja schon beim Smartphone nicht funktioniert. Apple und Google gehen hier ja bewusst getrennte Wege. Wieso soll das beim Auto besser funktionieren?
Das ist nicht ganz vergleichbar. Beim Auto haben wir ja ganz andere Anforderungen, etwa was die Sicherheit angeht. Und auch die Zyklen sind beim Auto ganz andere als beim Handy. Das Modell kann man da nicht eins zu eins kopieren. Trotzdem können wir von der Smartphone-Industrie einiges lernen. Etwa bei der Trennung von Software und Hardware, beim offenen Betriebssystem, das sich auf verschiedene Produkte umsetzen lässt, bei den Schnittstellen zwischen Hardware und Software. So etwas sollte man auch beim Auto umsetzen, um einen breiten Einsatz der Software vom Einstiegsmodell bis zum Premiummodell zu ermöglichen.
VW ging unter Herbert Diess mit Cariad aber genau in die entgegengesetzte Richtung, wollte alles selbst entwickeln. Funktioniert hat das nicht wirklich. Sein Nachfolger Oliver Blume setzt jetzt mehr auf Kooperationen. Hatte Diess sich da verrannt?
Ich glaube, am Anfang war der Ansatz von Cariad völlig richtig. Dass man bei allem, was nah am User ist, die Kontrolle haben will, kann ich gut nachvollziehen. Das halte ich auch für sinnvoll. Aber es braucht Zeit, das alles umzusetzen. Das geht nicht von heute auf morgen, die Organisation anzupassen, den Mindset zu ändern. Da muss man sich dann irgendwann die Frage stellen, wo man wirklich Geld spart und Mehrwert schafft und was am Ende nur die Prozesse verzögert. Genau diese kritische Analyse nimmt Cariad jetzt vor.
Ist das auch eine Chance für Continental, dort stärker ins Geschäft zu kommen?
Wir arbeiten ja bereits eng zusammen. VW ist einer unserer größten Kunden. Und wir haben auch eine gute Zusammenarbeit mit Cariad. Wie auch mit all unseren anderen Kunden.
Das heißt?
Unser Job als Tier-1 ist es, dem Kunden immer Lösungen aufzuzeigen, die ihm Mehrwert bringen. Und Lücken zu schließen, die er womöglich noch gar nicht erkannt hatte. Natürlich immer mit dem Ziel, dass wir Partner of Choice werden. Das ist unser tägliches Brot. Das machen wir nicht nur bei Cariad, sondern bei all unseren Kunden.
Beim autonomen Fahren setzt Cariad aber auf Bosch als Partner. Hat es Sie geschmerzt, dort nicht zum Zuge zu kommen?
Manchmal gewinnt man halt, manchmal nicht. (lacht) So ist das Leben. Das müssen wir als Unternehmen respektieren. Doch dieser Markt entwickelt sich rasant, die Möglichkeiten, hier ins Geschäft zu kommen, wachsen. Und wir haben bei anderen OEMs auch viel Erfolg mit unseren Lösungen.
Wenn die Autos immer mehr von der Software getrieben werden, eröffnet das für Sie auch neue Möglichkeiten für Endkunden-Geschäft? Statt nur an die OEMs könnten sie Ihre Apps ja dann auch direkt dem Autofahrer anbieten.
Wir treten auf keinen Fall in Konflikt zu unseren OEMs. Der Mehrwert, den wir liefern, ist es, den Endkunden zu verstehen, neue Funktionen zu entwickeln und die bestehenden zu verbessern. Ob wir das dann direkt an den Endkunden verkaufen oder über die OEMs, ist für uns sekundär. Wichtig ist, dass wir Lösungen anbieten, die dem Endkunden helfen. Und ich gehe davon aus, dass dies zusätzliches Geschäft generieren kann. Ob das dann vom Endkunden kommt oder von unserem OEM, ist egal. Hier respektieren wir die Strategie der OEMs.
Welchen Mehrwert wollen Sie hier den anbieten? Woran denken Sie da?
Da werden wir im Januar auf der CES in Las Vegas einiges zeigen. Dabei geht es nicht nur um das Software Defined Vehicle, sondern um das User Defined Vehicle. Das heißt, der Endkunde kann sein Auto so konfigurieren, wie er es möchte. Und nicht nur der Fahrer, sondern auch der Beifahrer. Diese Freiheit wollen wir ermöglichen, natürlich zusammen mit den OEMs oder auch anderen Partnern. Wir zeigen, was jetzt schon möglich ist. Wir sehen uns als Trendsetter, wollen die Technologie voranbringen. Wenn dann ein OEM kommt und das gemeinsam mit uns umsetzen möchte, dann freut uns das natürlich umso mehr.
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