Herr Degenhart, Continental wird 2024 in den USA ein Werk schließen, das hydraulische Komponenten für Benzinmotoren baut. Stehen Verbrenner selbst im Land der unbegrenzten „Gas Guzzler“ vor dem Aus?
Amerika ist bei der Regulierung wesentlich moderater unterwegs als Europa und China. Über SUVs regt sich in der Neuen Welt niemand auf. Bei Continental treffen wir strategische Entscheidungen aber nicht für spezifische Märkte, sondern global. Und weltweit betrachtet befindet sich die Autoindustrie seit mehr als anderthalb Jahren in einer Rezession. Manche Beobachter ziehen schon Vergleiche zu den Folgen der Finanzkrise 2009.
Wie beurteilen Sie die Lage?
2009 hatten wir eine Volumenkrise. Es ging steil nach unten – und recht bald steil wieder nach oben. Dieses Mal wird sich das länger hinziehen. In 2019 wurden weltweit sieben Millionen Pkw und leichte Nutzfahrzeuge weniger produziert als 2017. Einen weiteren Rückgang können wir in 2020 nicht ausschließen. Die Lücke könnte dann auf insgesamt bis zu zehn Millionen Fahrzeuge ansteigen. Obendrauf kommt ein Strukturwandel, wie ihn die Autoindustrie so noch nie erlebt hat.
Welche Folgen haben diese Entwicklungen für die Arbeitsplätze?
„Industrie 4.0“ bietet viele Chancen. Komponenten etwa werden nachverfolgbar gemacht, von der tiefsten Ebene bis hin zum Kunden. So können wir Working-Capital aus der Lieferkette nehmen. Wir haben inzwischen mehr als 1.000 kollaborative Roboter im Unternehmen, die beispielsweise repetitive, ermüdende Aufgaben übernehmen. Digitalisierung bietet insgesamt Verbesserungspotentiale bei allen Geschäftsprozessen aller Unternehmensbereiche. Wir werden damit noch effizienter und effektiver.
Im Zuge der Digitalisierung entstehen auch neue Arbeitsplätze.
Richtig. Das sind dann hochwertigere Arbeitsplätze. Im Bereich für ungelernte Mitarbeiter fallen Arbeitsplätze weg. Continental hat allein in Deutschland rund 62.000 Mitarbeiter, etwa 16 Prozent davon sind un- beziehungsweise angelernt. Wenn wir die nicht qualifizieren, verlieren sie ihre Beschäftigungsfähigkeit.
Auch der „European Green Deal“ wird nicht leicht zu meistern sein?
Ich reise um die Welt und stelle fest: Nirgendwo sonst wird das Thema Umwelt so einseitig emotional diskutiert wie in Deutschland. Um es klar zu sagen: Wir fühlen uns verantwortlich für Klimaschutz. Aber der Wirtschaft zu viel auflasten, hilft nicht. Denn dann wird die Ökonomie in die Knie gehen und nicht mehr jene Gewinne erwirtschaften, die erforderlich sind, um etwas Wirksames für die Ökologie zu tun. Wir müssen die richtige Balance finden. Wir nennen das dreifachen Klimaschutz. Er ist ökonomisch, ökologisch und sozial. Wir können anspruchsvolle Klimaschutzziele in Europa nur zusammen erreichen. Klimaschutz muss darüber hinaus auf globaler Ebene vorangetrieben werden.
Warum will Continental mit dem weltweiten Strukturprogramm „Transformation 2019 – 2029“ den Technologieumstieg beschleunigen?
Ein Beispiel: Mit der einsetzenden Regulierung in Richtung Elektrifizierung schmilzt die Nachfrage im Hydraulikgeschäft für den Verbrenner insgesamt ab. Unser Antriebsbereich Vitesco Technologies bräuchte aber ein höheres Volumen, um eine rentable Situation mit Hydraulikkomponenten zu erreichen. Doch die Chance, in den nächsten Jahren Marktanteile in diesem Produktsegment in einem schrumpfenden Markt zu gewinnen, ist null. Dieses Geschäft weiter zu betreiben, ergibt also wirtschaftlich keinen Sinn. Wir stehen natürlich zu unseren vertraglichen Verpflichtungen, aber Vitesco Technologies wird aktiv kein Hydraulikgeschäft mehr akquirieren.
Dort kämpfen schon jetzt viele Anbieter um ihre Existenz.
Die verschärften Gesetze lassen uns keine Zeit für eine evolutionäre Anpassung. In der Antriebsindustrie werden wir daher einen heftigen Konsolidierungsprozess durchlaufen. Vor allem kleine Mittelständler, die sehr stark von Mechanik für Verbrenner abhängen, werden ihre Selbstständigkeit verlieren. Oder ganz vom Markt verschwinden.
Und darum verselbstständigt Continental das eigene Powertrain-Geschäft in die Gesellschaft Vitesco Technologies?
Vitesco Technologies ist mit seinem umfassenden Portfolio im Bereich Elektronik und Elektrifizierung bestens aufgestellt, um eine maßgebliche Rolle in der Konsolidierung im Antriebsbereich zu spielen.
Auch vor Ihrer Konzernzentrale in Hannover gab es Demonstrationen gegen viele der Maßnahmen, die Continental jetzt beschlossen hat. Haben Sie Verständnis für die Proteste der Arbeitnehmer?
Natürlich haben wir Verständnis. Wir stehen ja vor schmerzhaften Einschnitten, die jedoch mit einem Vorlauf von mehreren Jahren erfolgen. Wir versuchen, die verbleibende Zeit bestmöglich zum Schutz unserer Mitarbeiter zu nutzen. Sprich: Wir machen zum Beispiel betroffene Mitarbeiter für zukunftsträchtige Betätigungsfelder fit. Dafür haben wir eine Qualifizierungsoffensive gestartet mit jährlichen Investitionen in zweistelliger Millionenhöhe. Zur Vermittlung bauen wir unseren internen Arbeitsmarkt in enger Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmervertretern aus. Und: Wir helfen bei der externen Vermittlung.
Der Umstieg auf E-Mobilität erfolgt disruptiv. Was ist, wenn die gewaltige Wette auf Stromer nicht aufgeht?
Die kommenden CO2-Vorgaben bedeuten für einen Volumenhersteller, dass er in Europa bis 2030 auf eine Ausrüstungsrate von über 40 Prozent gehen muss. Das ist äußerst anspruchsvoll. Die größte Herausforderung ist die Verfügbarkeit von Batteriezellen. Premiumhersteller haben mehr Möglichkeiten zum Ausweichen, etwa über Hochvolt-Hybride.
Warum zieht Continental keine Fertigung von Batteriezellen auf?
In Lithium-Ionen zu investieren, ergibt für Neueinsteiger keinen Sinn. Da sind die Chinesen, Japaner und Koreaner inzwischen einfach zu weit. Bei einem Technologiewechsel zu Festkörperbatterien bis 2025 hätte sich ein Einstiegsfenster aufgetan. Wir rechnen aber inzwischen damit, dass diese Technologie wohl nicht vor 2030 zur Verfügung stehen wird: mit hoher Energiedichte, geringem Gewicht, niedrigen Kosten. Ein Quereinstieg nach erfolgtem Markthochlauf basierend auf Lithium-Ionen-Technologie wäre mit sehr hohen wirtschaftlichen Risiken verbunden.
Welches Potenzial sehen Sie in Wasserstoff als Energiequelle? Ist Continental rund um die Brennstoffzelle aktiv genug?
In der Peripherie des Brennstoffzellen-Stacks, der quasi dem Motorblock eines Verbrenners entspricht, sind wir sehr gut aufgestellt.
Und beim Stack selbst?
Wir brauchen perspektivisch den Stack, um die komplette Systemkompetenz zu haben. Dazu sehe ich drei Möglichkeiten: Vitesco Technologies entwickelt selbst, sucht einen Partner oder kauft etwas hinzu.
Welche Präferenz haben Sie?
Zumindest dies kann ich sagen: Selbst in die Entwicklung zu investieren, würde wahrscheinlich zu lange dauern.
Continental konkurriert mit großen Autoherstellern um die klügsten Köpfe. Was bieten Sie?
Nicht nur im Silicon Valley gilt: „The name of the game is: software, software, software“. Die eigentliche Revolution im Auto findet bei Software und Elektronik statt. Es steckt viel Elektronik und Sensorik in unseren Systemen. Wir haben Elektroniken, bei denen 3000 Einzelkomponenten in die Hardware integriert werden müssen. Der Software-Umfang im Pkw wird sich in den nächsten sechs bis acht Jahren verzehnfachen. In unserer Automotive Group liegt der Umsatzanteil mit Elektronik, Software und Sensorik bereits über 70 Prozent. Hier sind wir im Vergleich zu unseren Mitbewerbern sehr gut aufgestellt.
Finden Sie genügend Fachkräfte – in quanti- und qualitativer Hinsicht?
Wir werden Software künftig viel effizienter entwickeln. Heute sind unter unseren 49.000 Ingenieuren rund 19.000 Software- und IT-Experten. Sehr schnell werden wir auf die Hälfte erhöhen. In Indien, Mexiko und Asien finden wir genügend Software-Experten. Aber auch auf unser Software-Powerhouse Elektrobit trifft dies zu. Zudem bilden wir Nachwuchs im Bereich Software selbst aus.
Welche Highlights wird Continental auf der IT-Messe CES präsentieren?
Eines unserer Messehighlights ist Ac2ated Sound – eine lautsprecherlose Audioanlage, die den Fahrzeuginnenraum mit lebensechtem dreidimensionalem Sound füllt. Zusammen mit Sennheiser schaffen wir ein völlig neues Sounderlebnis im Auto. Aufgrund der Gewichtsvorteile gegenüber bekannten Systemen lässt sich zudem CO2 einsparen. Man könnte fast sagen: Klimaschutz, der ins Ohr geht. Ein weiteres Highlight ist unserer intelligent vernetztes Kamerasystem, das bereits Ende 2018 in Serie gegangen ist. Es unterstützt Fahrer bei langsamer Fahrt – etwa beim Einparken oder im Offroad-Einsatz –, indem auf dem Bildschirm im Fahrzeug der Untergrund unter dem Motorraum dargestellt wird. So lässt sich ein Fahrzeug etwa in engen Parklücken mit hohen Bordsteinkanten oder auf unebenen Wegen kontrolliert manövrieren. Dafür wurden wir mit einem CES 2020 Innovation Award ausgezeichnet.
Wann rechnen Sie mit dem Serieneinsatz von Level 4 beim automatisierten Fahren?
In China, weil technologieaffiner, früher als andernorts auf der Welt. Es kann sein, dass Level 3 von manchen Herstellern übersprungen wird, aufgrund ungelöster Haftungsfragen. Level 4 bei Pkw-Anwendungen sehen wir ungefähr im oder um das Jahr 2030.
Wird Continental der IAA in Deutschland treu bleiben?
Wir werden weiterhin mitmachen. Klar ist: Die IAA muss sich wandeln. Diesbezüglich ist das überarbeitete Messekonzept des VDA sehr vielversprechend.
Bleiben wir auf Continentals Heimatmarkt. Hat Deutschland im weltweit härter werdenden Wettbewerb den Biss verloren?
An Ehrgeiz mangelt es nicht. Die deutsche Automobilindustrie ist unterwegs auf einer Reise. Das Umfeld wandelt sich, und wir müssen unsere Kultur entsprechend weiterentwickeln. Continental bringt dafür ihre volle Gewinnermentalität mit ein.
In der Leserumfrage von „Automobilwoche“ wurde der Konzern allerdings jüngst zum „Flop des Jahres 2019“ gewählt.
Das nehmen wir sportlich – und die Herausforderung an. Uns ist jahrelang vorgeworfen worden, wir hätten die E-Mobilität verschlafen. Das kann ich nicht nachvollziehen. Wenn Sie zu früh investieren, dann verbrennen Sie Milliarden. Richtiges Timing ist wichtig. Jetzt ist die Richtung klar – und die zeigt für uns klar nach oben.
Continental möchte sich eine Holding-Struktur geben. Was ist die Idee dahinter?
Es ist ein Zielbild für die Zukunft. Für uns im Vordergrund steht in dem aktuell herausfordernden Umfeld die nachhaltige Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens und der Sicherung seiner Zukunftsfähigkeit.
Renault und Nissan, PSA und Opel – viele OEM suchen ihr Heil in schierer Größe. Schließen Sie für Continental den Zusammenschluss mit einem anderen Unternehmen aus?
Man soll nie „nie“ sagen. Aber es ist schwer vorstellbar. Doch dass wir weiterhin M&A-Aktivitäten betreiben werden, ist logisch.
Wo liegen für Continental die wichtigsten Wachstumsfelder?
Wir konzentrieren uns künftig noch stärker auf unsere profitablen Wachstumsfelder: assistiertes, automatisiertes und vernetztes Fahren, Dienstleistungen für Mobilitätskunden, das Reifengeschäft sowie das mit Industrie- und Endkunden. Regional betrachtet sehen wir Wachstumspotential insbesondere in Amerika und Asien.
Könnte es Sie eines Tages interessieren, den Aufsichtsratsvorsitz bei Continental zu übernehmen?
Fragen Sie mich das noch einmal, wenn ich von entsprechender Stelle einmal angefragt werden sollte. Von einem Automatismus eines solchen Wechsels halte ich nicht viel. Mein voller Fokus liegt darauf, den beschleunigten Technologieumstieg mit dem weltweiten Continental-Team für alle Bezugsgruppen des Unternehmens erfolgreich zu gestalten. Das Ziel: Unsere Organisation stärker machen als je zuvor.
Fühlen Sie sich von Continentals Großanteilseigner Schaeffler, der von der Transformation ja selbst massiv betroffen ist, in Ihrer operativen Arbeit ausreichend unterstützt?
Absolut, ja.
Was steht für 2020 ganz oben auf Ihrer Management-Agenda?
In der Transformation unsere Wettbewerbsfähigkeit erhöhen und unsere Zukunftsfähigkeit sichern. Gleichzeitig unsere Qualität und Technologie-Kompetenz auf hohem Niveau halten und im Software-Bereich ausbauen. Alles gleichzeitig erfolgreich gestalten: Das ist jetzt die entscheidende Führungsaufgabe.
Das Interview führte Henning Krogh
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