Herr Schmitz, was ist die wichtigste Veränderung der letzten zehn Jahre im Flottenmarkt?
Die Elektromobilität ist sicher der größte Game Changer seit zwei Jahrzehnten in der Autoflotte und im Markt generell. Noch vor zwei bis drei Jahren war das kein Thema für Großkunden. Wir haben schon seit 2018 mit Blick auf den Start der MEB-(Modularer E-Antriebs-Baukasten, Anm. d. Red.)Plattform unsere Kunden in Richtung zur Elektromobilität beraten. Früher ging es im Fuhrpark um die Entscheidung Kombi oder Limousine, Diesel oder Benziner. Heute sind viel komplexere Entscheidungen nötig.VWFS will größter Flottenanbieter weltweit werden. Wo stehen Sie aktuell im internationalen Vergleich?
Wer zurzeit international die Nummer eins im Flottengeschäft ist, lässt sich aufgrund der unterschiedlichen Kundengruppen und Regionen schwer sagen. In UK gibt es zum Beispiel einen ‚Local Hero‘. Wir treten lokal und international gegen freie und herstellergebundene Leasinggesellschaften an. Unser Ziel ist es, Top-Anbieter in allen Segmenten, die wir bedienen, zu werden.Wo liegt das größte Potenzial?
Was das Volumen und die Anzahl der Kunden betrifft, sind wir heute schon sehr stark im Segment der kleinen und mittleren Unternehmen (SME) aufgestellt, die wir traditionell über den Handel bedienen. Aber zum Flottengeschäft gehören auch große lokale Kunden. Diese Key Accounts bedienen wir über das Direktgeschäft. Und dann gibt es noch die Königsklasse der international agierenden Konzerne. Die internationalen großen Flotten mit einem großen User-Chooser-Anteil müssen wir besonders bearbeiten. Diese brauchen zum Beispiel ein internationales Consulting und Reporting. Da gibt es große Unterschiede zu den kleineren Gewerbekunden, die durch den Handel betreut werden.Welche Besonderheiten hat der deutsche Markt?
Die Positionierung der Autoindustrie ist in Deutschland sehr stark und es gibt eine hohe Markenbindung. Grundsätzlich bestehen im Flottenmarkt Unterschiede zwischen Heimatmärkten von Autoherstellern – wie Deutschland, Frankreich, Italien oder Tschechien – und Märkten ohne eigene Autoindustrie wie die Niederlande oder Norwegen.Inwiefern?
Letztere sind immer schon sehr innovativ, zum Beispiel ist dort die Elektromobilität weiter fortgeschritten als in den Heimatmärkten der Hersteller. Das liegt natürlich auch an der frühzeitigen staatlichen Förderung in diesen Ländern.Wie ist aktuell die Nachfrage nach dem ID?
Die Nachfrage nach dem ID bei den Flottenkunden ist sehr gut. Und dafür gibt es Gründe. In vielen Ländern ist der Verbrenner bald nicht mehr zugelassen z.B. ab 2030 in Teilen von China. Manche Regionen in Europa folgen diesem Beispiel, z.B. Amsterdam. Die Begleitumstände dieser Politik sind spürbar, einige Hersteller haben die komplette Umstellung auf E-Antriebe in diesem Jahrzehnt angekündigt. Der Hybrid ist eine wichtige Brückenlösung dafür. Die E-Mobilität ist beratungsintensiv und wir haben frühzeitig angefangen, damit sich die Kunden auf die Elektrifizierung der Flotten vorbereiten können. Viele Unternehmen wollen Ende des Jahrzehnts CO2-neutral sein, da ist die Flotte ein Riesenhebel.Welchen ID-Anteil erwarten Sie denn bis 2025 in den von Ihnen betreuten Flotten?
Wenn die ersten Fahrer den ID.3 in der Flotte nutzen und den Kollegen zeigen, dass das alltagsaugliche Fahrzeuge sind, dann werden auch die Langstreckler umsteigen. Ein konkreter Anteil ist aber schwer prognostizierbar, zumal sich unser Vertrags- und Fahrzeugbestand angesichts durchschnittlicher Vertragslaufzeiten von rund drei Jahren im Leasing zeitverzögert verändert.In welchen Ländern hält die Entwicklung der E-Ladeinfrastruktur am ehesten Schritt?
Bei der Ladeinfrastruktur muss man unterscheiden zwischen privat und öffentlich. Beim Laden auf dem Firmengelände oder zu Hause läuft es überall ganz ordentlich. Im öffentlichen Raum gibt es Nachholbedarf.Wie hat sich der Beratungsbedarf in der Pandemie verändert?Mit dem ersten Lockdown waren die Großkunden verunsichert, was offene Bestellungen angeht. Bestehende Leasingverträge wurden lieber verlängert, statt eine neue Bindung einzugehen. Die Kunden haben flexible Lösungen stärker nachgefragt. Deshalb haben wir verstärkt unsere bestehende Kurzzeit- und Langzeitmiete angeboten und zusätzlich für Privatkunden ein Abomodell auf den Markt gebracht. Durch das Home Office werden die Kunden immer digitaler, und damit steigt ihr Anspruch, auch nach der Pandemie alles online zu managen. Corona hat die Digitalisierung stärker in den Fokus der Kunden gerückt.Im Flottenmarkt lässt sich ein Trend zur Zentralisierung beobachten. Wo stößt er an seine Grenzen?
Man kann viele Synergien schaffen über Organisationseinheiten, die bestimmte Themen für alle Märkte bearbeiten. Es ist hilfreich, wenn man mit einer Zentrale des Kunden spricht, gerade im Hinblick auf ländergreifende Transparenz der Fahrzeugflotte. Zum Beispiel haben wir unterschiedliche Fahrzeuge und Währungen in den Märkten, was auch im landesübergreifenden Reporting dargestellt werden muss. Wenn man Produkte und Prozesse harmonisieren möchte, um den Kunden das über die Grenzen anzubieten, muss man zusätzlich noch das jeweilige Steuerrecht und die Marktgegebenheiten berücksichtigen.Können Sie ein Beispiel nennen?
Über- oder Unter-Kilometer sind in UK eher unüblich, stattdessen ist das Mileage-Pooling für die Endabrechnung marktüblich. Oder die Niederlande haben die CO2-Luxussteuer auf Autos, in Ländern wie Norwegen gibt es hohe Förderungen für E-Autos etc. Das heißt, überall gibt es lokale Unterschiede, die eine Standardisierung verhindern. Deshalb sprechen wir lieber von einer harmonisierten Produktübersicht. Und manche Märkte sind uns in der Digitalisierung voraus. Zum Beispiel gibt es in den Niederlanden das Mobilitätsangebot "Shuttel", mit dem man alle öffentlichen Verkehrsmittel, Fahrräder und Taxis nutzen kann, weil alle Daten des öffentlichen Nahverkehrs zentral gespeichert werden. In Deutschland ist das zum Beispiel dezentral geregelt.Welche Erfahrungen und Pläne gibt es beim Thema ganzheitliche Mobilität, also der Verknüpfung verschiedener Verkehrsmittel?
Großkunden legen zunehmend ihre Travel- und die Fleetmanagementabteilung zusammen und verlangen eine konsolidierte Darstellung und das Management beider Themenfelder. Dienstreisebuchungen und alle dienstwagenrelevanten Themen sollen von einem Anbieter abgerechnet und reportet werden. Das betrifft nicht jedes Unternehmen, aber es ist spürbar. Einerseits haben wir Unternehmen mit der klassischen Dienstwagen-Policy, andererseits Unternehmen in Metropolen mit jungem kreativem Personal, die lieber den Dienstwagen anreichern wollen mit dem ÖPNV oder Carsharing. Die Angebote orientieren sich an der Region und Lebensphase des Mitarbeiters. Ein Familienvater auf dem Land hat andere Bedürfnisse als ein Single in der Großstadt. Deshalb müssen wir neben dem klassischen Dienstwagen auch flexiblere und multimodale Mobilitätsdienstleistungen anbieten…... zu Lasten des klassischen Dienstwagens?
Nein. Auch wenn das Angebot vielfältiger wird, sehen wir den individuellen Dienstwagen auch morgen noch. Wir wissen, dass das Auto auch in der Zukunft den größten Teil der Mobilität ausmachen wird – dann aber ergänzt um weitere Mobilitätsangebote.Welche Rolle spielt der Handel im Flottengeschäft von VWFS?
Die Händler und Gruppen haben bei VWFS traditionell einen hohen Stellenwert. In Deutschland spielen die Großkunden-Leistungszentren der großen Gruppen eine immens wichtige Rolle im täglichen Kundenkontakt. Hier ist der Händler der Problemlöser vor Ort. Wir hatten 2010 bis 2020 einige schwierige Situationen zu meistern, das hat der Handel sehr gut abgefedert und gelöst. Unsere starke Marktposition ist auch dem Handel zu verdanken. In den anderen Ländern ist der Handel ebenfalls eingebunden, z.B. in Italien, Spanien, Frankreich, Polen, Tschechien etc. Überall dort hat unser Geschäft eine starke Händlerbasis – und das bleibt auch so.Wie hoch ist der Fremdmarkenanteil und wie sieht die Multibrand-Strategie von VWFS aus?
Wir sehen uns als Mehrmarkenprovider im Großkundengeschäft. Der Anteil der Fremdmarken im Portfolio ist von Markt zu Markt verschieden. Wir wollen jede Marke professionell anbieten, mit einem Service, der genauso gut ist wie bei unseren eigenen Marken. In den Kernmärkten können wir das gewährleisten. Was den Fremdmarkenanteil angeht, orientieren wir uns am Kundenwunsch, der Fahrer sucht aus. Deshalb können wir hier keine Ziele definieren, wir müssen dem User Chooser folgen. Im Ausland sind naturgemäß die jeweils heimischen Anbieter stark. Da, wo es keine eigene Autoindustrie gibt, ist die Markenverteilung eher ausgewogen.Seit 2019 hält VWFS 60 Prozent am Fuhrpark-Dienstleister Fleet Logistics, 2020 wurde das Startup Voya, eine Dienstreiseplattform für Flottenkunden, übernommen. Was steht noch an?
Derzeit sind keine weiteren Beteiligungen geplant. Wir müssen jetzt das multimodale Mobilitätsangebot mit den bisherigen Übernahmen und Beteiligungen zusammenbringen und anbieten. Daran arbeiten wir. Geplant ist ein zeitnaher Launch in den Kernmärkten.Die Corona-Pandemie beschäftigt uns jetzt seit einem Jahr. Wie sieht Ihre Prognose für 2021 aus?
Wie lange uns die Pandemie noch im Griff hält, kann man nicht vorhersagen. Jeder hofft, dass die Wirtschaft wieder in Schwung kommt, viele rechnen erst 2022 damit. Dennoch glaube ich, dass der Leasingmarkt sich schneller erholt.Wieso?
Weil es viele Aufschübe von Investitionen gab und Verträge verlängert wurden. Zulassungsstellen waren zeitweise geschlossen. Das alles entspannt sich jetzt etwas und die Zahlen steigen. Der Privatmarkt ist viel volatiler als der Großkundenmarkt. Der war auch während Corona sehr stabil, daher gehen wir davon aus, dass er sich leicht erholt. Es gibt aber klare Zeichen dafür, dass die Pandemie das Leben auch nach Corona verändern wird.Inwiefern?
Es wird weniger quer durch die Republik gefahren werden, es wird mehr Online-Meetings geben, das gehört jetzt schon zur Normalität. Flexible Mobilitätsangebote werden weiter nachgefragt. Viele Firmen fahren 2021 noch auf Sicht. Die Diversifikation in multimodale Mobilität wird das klassische Autogeschäft ergänzen. In der Nach-Corona-Zeit wird der Bedarf an digitalen Lösungen für das Flottengeschäft größer.Das Interview führte Bettina John.
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