Formula Student als Recruiting-Goldgrube und Technologielabor

Auf den ersten Blick könnte es für den Halbleiterhersteller NXP derzeit kaum besser laufen. Denn kein anderes Bauteil ist in der Autoindustrie derzeit so gefragt wie Halbleiter. Und NXP macht 50 Prozent des Umsatzes mit Chips für die Autoindustrie. Das Problem ist jedoch: Diese heißbegehrten Halbleiter müssen zunächst einmal gefertigt werden. "Wir suchen in Deutschland und Europa sehr viele Talente, die uns helfen, unsere Vision vom sauberen, sicheren und vernetzten Fahren umzusetzen", teilt NXP auf Anfrage der Automobilwoche mit. Für die Suche nach solchen Talenten, reicht es allerdings nicht, Anzeigen in Hochschulmagazinen zu schalten oder auf den einschlägigen Webportalen aktiv zu sein. "Halbleiter sind ja erst mal ein abstraktes Thema. Deswegen müssen wir andere Wege gehen", heißt es bei NXP.

Hier kommt nun die "Formula Student" ins Spiel. Innerhalb eines Jahres entwickeln Studierende aus der ganzen Welt im Rahmen des Ingenieurs- und Konstruktionswettbewerbes in ihren Teams Rennwagen mit Elektroantrieb, mit denen sie dann gegeneinander antreten. Bei der Formula Student Germany finden diese Rennen im August auf Rennstrecken in Österreich (Red-Bull-Ring), Ungarn (Hungaroring) sowie am Hockenheimring statt. Die TU München tritt dabei an, genauso auch ein Team der RWTH Aachen oder der TU Braunschweig sowie Teams von vielen weiteren Hochschulen. Sie alle haben namhafte Unterstützer aus der Autobranche an ihrer Seite: zum Beispiel Bosch, Tesla, VW, Schaeffler, BMW, Porsche oder Audi. Und eben NXP. Der Halbleiterhersteller engagiert sich in der Formula Student als Sponsor des Teams "e-gnition" der Technischen Universität Hamburg (TUHH). Von einem solchen Sponsorenumfeld dürften viele Motorsportveranstaltungen nur träumen.

Doch woher kommt das Interesse am "größten Ingenieurswettbewerb der Welt", als der sich die Formula Student selbst bezeichnet? Eine Antwort gibt bereits der Blick auf das Studenten-Team der TUHH. An deren Rennwagen für die anstehende Saison haben 80 Studenten und Studentinnen mitgearbeitet. Und die Zusammensetzung des Teams für den Wettbewerb wechselt quasi jährlich. Die Software, die Leistungssteuerung der E-Maschine, das Design und den Aufbau des Fahrzeugs – all das sind studentische Eigenentwicklungen.

Bei der Vorstellung des neuen Rennwagens des TUHH-Teams "e-gnition" sagte Stephan zur Verth, General Manager bei NXP, er würde sich natürlich freuen, wenn sich die Wege auch weiterhin kreuzen würden. "Programme wie e-gnition sind für uns sehr wichtig für das Recruiting", teilt eine NXP-Sprecherin ergänzend mit. Einige der Team-Mitglieder würden bereits nebenbei bei NXP arbeiten. "Unsere Basis für die Zukunft", wie die Sprecherin sagt.

Doch diese Basis steht auf ziemlich dünnen Beinen. "In der Halbleiterindustrie herrscht ein akuter Fachkräftemangel. Das führt dazu, dass der Umsatz der Halbleiterhersteller auf absehbare Zeit eher nicht durch die Nachfrage begrenzt wird, sondern durch einen Mangel an Fachkräften", sagt Ondrej Burkacky, Halbleiter-Experte bei der Unternehmensberatung McKinsey & Company. Ein Problem, das weit über den deutschen und europäischen Markt hinaus geht. Dem Wall Street Journal zufolge sind etwa in Taiwan, einem der wichtigsten Halbleiter-Standorte der Welt, derzeit rund 27.000 Stellen in der Chipfertigung unbesetzt. Und in den USA wiederum müssten 300.000 neue Fachkräfte eingestellt werden, um die Unabhängigkeit von den Halbleiter-Hochburgen in Asien zu gewährleisten.

Neue Fachkräfte werden also dringend und überall gesucht. Auch deshalb, weil ihre Bedeutung mit dem Einzug der E-Mobilität nochmals zunehmend wird: Denn E-Autos haben mehr als doppelt so viele Chips an Bord wie ein Fahrzeug mit Verbrenner. Allein für den Wechselrichter im Antriebsstrang werden mitunter 600 Halbleiter benötigt, mehr als für manches Verbrennermodell insgesamt. Bei NXP und zahlreichen anderen der engagierten Sponsoren herrscht daher die Hoffnung, durch die Unterstützung der "Formula Student" neue Fachkräfte zu gewinnen.

Das Studenten-Rennprojekt eröffnet dem Halbleiterhersteller noch eine andere Möglichkeit. Denn im Rahmen des Konstruktionswettbewerbs können beispielsweise neue NXP-Technologien unter weniger rigiden Sicherheits- und Qualitätsanforderungen erprobt werden. Die Arbeiten der TUHH-Truppe als Testfeld zu bezeichnen, sei vielleicht etwas übertrieben, heißt es bei NXP. "Aber wir geben dem Team gern schon mal Technik, die noch nicht auf der Straße ist", so eine Sprecherin.

Prominentes Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist das Batteriemanagementsystem des modularen E-Antriebs-Baukasten (MEB) von Volkswagen. Noch bevor es im ersten rein elektrisch konzipierten E-Auto von VW, dem ID.3, zum Einsatz kam, wurde es in der "Formula Student" getestet. NXP konnte so Rückschlüsse für die Serienfertigung des Bauteils, das jetzt auch im Elektro-Kleinbus ID.Buzz zum Einsatz kommt, ziehen. Am Rande der Vorstellung des neuen Rennwagens am Großmarkt in Hamburg wurde bereits besprochen, welche Komponente künftig vom Studenten-Team der TUHH vorangebracht werden könnte: der neueste Radar-Chip von NXP. Bei der "Formula Student" werden nämlich nicht nur elektrische Rennwagen gebaut, sondern auch autonome Fahrfunktionen entwickelt.

Aus dem Datencenter:

Top 25 IT-Dienstleister der Autoindustrie in Deutschland 2021

Umfrage zu den Folgen der Chipkrise