Herr Abendroth, im Vorfeld der IAA haben Sie Ihre Neuheiten unter dem Motto „Mobility is the Heartbeat of Life” präsentiert. Für welches Projekt schlägt ihr Herz am meisten?
Ich habe den CUbE, unser autonomes Shuttle, umarmt. (Lacht). Der ist für mich die Verkörperung all dessen, wie ich mit der Mannschaft hier weltweit arbeiten möchte.
Das müssen Sie erklären.
In diesem Produkt gibt es kein „Meins oder Deins“, sondern nur „funktioniert“ oder „funktioniert nicht“. Das ist eine Haltung, die meine Einstellung spiegelt. Und mein Herz schlägt für das human engineering, und das ist im Cube für mich voll abgebildet.
Human engineering?
Ein Führungsprinzip, bei dem es unter anderem darauf ankommt, dass jeder Entwickler mindestens eine Aufgabe hat, für die sein Herz schlägt, ein Identifikationsthema also.
Ihr Fokus als neuer CTO liegt aber nicht nur darauf, Menschen Aufgaben zu geben, an denen Sie besonders viel Spaß haben...
Meine wichtigste Aufgabe besteht darin, für die Zukunftsfähigkeit von Continental zu sorgen und das sowohl, was die technischen Grundlagen, als auch neue Produkte und Lösungen angeht.
Zweitens müssen wir in der Entwicklung noch effizienter werden. Die technischen Herausforderungen, die wir lösen müssen, werden immer komplexer. Da stoßen wir an eine Grenze der Leistbarkeit, insbesondere beim Thema Software.
Und drittens: Ich muss die Systemintegration vorantreiben. Das ist ein völlig anderes Arbeiten als bei der Entwicklung einzelner Komponenten.
Sie sagten, Ihre Aufgabe sei es, Continental zukunftsfähig zu machen. Ist der Konzern das aktuell denn nicht?
Continental hat natürlich über viele Jahre, vieles sehr gut gemacht. Nun stecken wir mitten in einer riesengroßen Transformation. Manche Teile - oder Bereiche - des Geschäfts treten in den Hintergrund – siehe Verbrenner – während andere – siehe E-Mobilität exponentiell wachsen. Das ist das Eine.
Auf der anderen Seite müssen wir Zusatzgeschäfte etwa über Assistenzsysteme für automatisiertes und vernetztes Fahren schaffen. Die werden nicht vom Himmel fallen, die müssen wir uns erkämpfen. Wir müssen also sehr gut überlegen: Wo liegen die Zukunftsfelder?
Und wo liegen sie?
In der Systemintegration. Das ist ein Wachstumsgeschäft. Der Trend geht weg von der Komponente hin zum integrierten System. Dazu muss man aber wissen: wenn man einzelne Komponenten zusammenpackt, funktionieren sie nicht einfach so zusammen.
Wie verändert sich die Arbeit in der Entwicklung dadurch?
Ich bearbeite zum Beispiel die Frage, wie einzelne Bausteine geschnitten sein müssen, damit sie später zusammenpassen und wir sie immer wieder verwenden können.
Ein zweites Thema ist, wie wir Software eine Qualität geben. Wenn bestimmte Merkmale erfüllt sind, erbt das System diese Qualität. Veränderungen in der Software wirken dann nur noch lokal. Ich muss also nicht das gesamte System neu testen. Das ist ein riesiger Effizienzgewinn. Eines Tages wollen wir Software haben, die selbst Software schreibt. Das brächte enorme Effizienzgewinne
Und wie verändern sich dadurch die Strukturen Ihres Ressorts?
Ich bringe Leute zusammen, die bisher nicht miteinander geredet haben, weil sie getrennte Systeme entwickelt haben. Die gesamte Vorentwicklung Automotive ist nun ein einziges Team. Wir entwickelt dort Standards, die für alle Divisionen gelten.
Muss sich mit der neuen Arbeitsweise, den neuen Fragestellungen und den neu geformten Teams auch die Kultur im Unternehmen ändern?
Ja, das ist sogar immens wichtig. Ein Beispiel: Wie bewerten Sie die Relevanz eines Mitarbeiters? Ein Entwickler wird sagen: „Ich habe so und so viele Mitarbeiter“. Der Vertriebsmann sagt: „Ich habe so und so viel Umsatz“. Wenn Sie einen Software-Entwickler fragen, wie wichtig er ist, wird es schwierig, denn er hat unter Umständen weder Mitarbeiter noch Umsatz. Bei der agilen Softwareentwicklung gibt es den Scrum-Master. Der trifft sich mehrmals am Tag mit dem Team und sagt an, wie weitergemacht wird. Er muss die Interessen verschiedener Leute unter einen Hut bringen und muss viel moderieren. Das ist ein schwieriger und extrem wichtiger Job, für den man schwer Leute bekommt.
Die müssen sie gut bezahlen. Disziplinarisch hat so jemand aber null Zugriff auf die Ressourcen.
Die klassischen Bewertungssysteme funktionieren also nicht mehr...
Genau. Aber es gibt auch große Unterschiede zwischen Auto- und Software-Entwicklung beim Thema Fehlerkultur. In der Autoindustrie ist Fehler machen ein Riesenproblem. Da lautet das Credo: „Ja nur keinen Fehler machen!“ Aber wenn man innovativ und schnell sein möchte, ist das hinderlich. Aber am Ende sollte alles sicher sein.
Dann muss die Software fehlerfrei sein, das ist klar. Aber während des Entwicklungsprozesses häufen sich die Fehler. Das ist normal. Sie brauchen also Menschen, die die Fehler der anderen aufspüren und melden. Das schafft zwar Transparenz fürs Produkt, aber auch für den einzelnen Mitarbeiter. Er wird messbar. Das ist in vielen deutschen Industriebereichen sehr untypisch und auch ein Punkt, den sie unter Umständen mit dem Betriebsrat besprechen müssen.
Ist das nicht überall so?
Im Silicon Valley ist das völlig anders. Ich versuche das, was ich dort gelernt habe auf Continental zu übertragen und zu vermitteln: „Es ist mir egal, wer die Fehler gemacht hat. Ich brauche Leute, die sie finden und mir sagen, wie wir sie verhindern können.“ Ich habe bei meinem alten Job mit Kollegen gefeiert, wenn wir Fehler gefunden haben. Das war am Anfang wirklich heikel. Man ist ja ganz schnell ein Anschwärzer, wenn man bei anderen Fehlern findet. Das ist ein großer Kulturwandel.
Und am Ende gilt: Sicherheit vor Geschwindigkeit. Dieser Wechsel der Modi, wann ist Fehler machen erlaubt und wann nicht, das ist ein Spagat - den auszubalancieren, ist eine meiner Hauptaufgabe.
Schauen wir auf den Wettbewerb. Haben Sie Angst vor Apple & Co?
Nein. Diese Techkonzerne haben alle tiefe Taschen, das macht sie zu erstzunehmend Spielern. Aber sie müssen unter den gleichen Bedingungen auf dem Automotive-Markt kämpfen wie wir. Und den kennen wir besser. Damit haben wir keine Waffengleichheit, aber beide eine gute Ausgangsposition.
Geben Sie uns ein Beispiel.
Nehmen wir einen asiatischen Computer-Hersteller. Der sagt: „Wir bauen euch den einen Computer, der alles kann“. Um zu verstehen, wie das im Auto funktionieren muss, müssen die ganz schön arbeiten.
Wir wissen dagegen wie das Auto funktioniert und was es braucht. Um den Zentralrechner, das „one brain“ für Auto zu konzipieren, brauchen wir dann auch eine Weile.
Wo sehen Sie mittelfristig die größten Wachstumschancen für Continental?
Im Softwarebereich und in der künstlichen Intelligenz liegen die größten Potenziale. Mit den Rechenleistungen, die die Prozessoren jetzt liefern, sind wir an dem Punkt wo es funktionieren kann. Natürliche Spracherkennung etwa war vor ein paar Jahren noch eine Riesenkatastrophe. Heute ist das schon richtig gut – in nur 12 Monaten hat sich da wahnsinnig viel getan. Große Potenziale sehen wir auch bei den Fahrassistenzsystemen.
Wie beziffern sie das Marktpotenzial?
Das ist sehr schwer zu beziffern. Für einzelne Geschäftsmodelle - sagen wir große Flotten ohne Fahrer – geht es vielleicht. Aber für vieles andere kaum.
Woher wissen Sie dann, welche Entwicklungen sich lohnen?
In erster Linie kostet das, was ich im Moment mache Geld. Aber die Vorbereitung auf die Zukunft kostet immer.
Das autonome Fahren muss bezahlt werden aus dem Geld, das wir mit ADAS-Produktenverdienen. Und teilweise gibt es Quersubventionierungen. Wenn wir effizienter arbeiten spart das auch wieder Millionen.
Continental mag groß sein, aber wir müssen mit Investitionen aktuell gezielt umgehen. Beim autonomen Fahren sprechen wir immer in der Entwicklung von jährlich dreistelligen Millionenbeträgen. Das ist auch für uns wahnsinnig viel Geld.
Wichtig ist das Timing.
Warum?
Vor sechs Monaten dachten wir, wir wachsen im Bereich Services viel schneller als in Software. Und plötzlich war es andersrum. Jetzt ziehen die Services wieder an. Und das alles in einem Zeitraum von unter 12 Monaten.
Alles verändert sich wahnsinnig schnell und bringt riesige Umwälzungen.
Zum Beispiel?
Über das Thema Personal und Kulturwandel haben wir schon gesprochen. Aber schauen sie nur, was passiert, wenn sie statt Hardware Software verkaufen: Sie vertreiben plötzlich eine Lizenz. Das heißt sie müssen auch im Vertrieb- und die Finanzsysteme anpassen. Das ändert alles. So groß ist die Veränderung.
Vielen Dank für das Gespräch.
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