Herr Aksel, Sie sind seit Anfang 2021 Einkaufsvorstand des Konzerns und hatten bisher fast nur mit Chipmangel und Lieferengpässen zu kämpfen. Ihr erstes Jahr hatten Sie sich sicher anders vorgestellt, oder?
Ja, absolut. Das ist sicher keine Phase, in der man als Einkäufer eine leichte Aufgabe hat. Teile waren oft nicht verfügbar, und die Preise gingen tendenziell nach oben. Das ist ein Umfeld, das man sich schwieriger nicht vorstellen kann, gerade im ersten Jahr als Einkaufsvorstand. Aber wie hat mein Vater schon gesagt: Das einzige, was uns schützt, ist Leistung. So habe ich die neue Aufgabe dann auch angepackt. Und aus heutiger Sicht kann ich sagen: Wir haben im Einkauf das Beste daraus gemacht. Davon bin ich überzeugt.
Sie waren vorher schon sechs Monate Einkaufsvorstand der Marke VW. Was hat sich durch den Wechsel in den Konzernvorstand verändert?
Die Verantwortung ist natürlich sehr viel größer, die Aufgabe komplexer. Aber alle Ansätze, die wir in der Marke Volkswagen realisieren wollen, gelten auch für den Konzern. Inhaltlich hat sich also nicht viel verändert. Alle Ideen, die ich mit meinem Team für die Marke Volkswagen in den ersten sechs Monaten umgesetzt habe, kann ich jetzt auch im Konzern anpacken. Im Konzern hat man aber natürlich viel mehr Möglichkeiten, etwas in einer kleineren Einheit oder in einem Pilotprojekt auszuprobieren, bevor man es komplett ausrollt.
Bisher hieß Ihr Ressort schlicht Beschaffung, jetzt sagen Sie Einkauf.
Ja, darauf lege ich Wert.
Was macht denn den Unterschied aus?
Das ist Ausdruck eines veränderten Selbstverständnisses, wie wir unsere Rolle im Konzern sehen. Das Wort Beschaffung steht für eine traditionelle, aber auch nicht mehr zeitgemäße Sicht: Der Entwickler sagt, welches Bauteil er braucht. Wir holen drei Angebote ein und vergleichen sie. Die wertschöpfende Leistung besteht dann darin, das günstigste auszuwählen. Moderner, automobiler Einkauf ist für mich aber viel mehr: Bereits in frühen Phasen mitgestalten, mit den Entwicklern gemeinsam Ziele, Vergabestrategien und Qualitätsstandards definieren.
Das klingt jetzt aber nicht nach einem guten Zeugnis für die bisherige Konzernbeschaffung.
Im Gegenteil: Die Konzernbeschaffung von Volkswagen hat einen guten Ruf, das kann ich aus meiner früheren Zeit bestätigen. Hier wurde ein Werkzeugkoffer entwickelt, der Standards in der Industrie gesetzt hat. Viele Dinge, die in der Vergangenheit erarbeitet wurden, sind auch heute noch immer absolut richtig. Aber die Welt um uns herum verändert sich. Ein Lenkradhersteller verkaufte bisher sein Lenkrad nur an die Autoindustrie. Das ist bei den neuen Playern anders. Da haben wir es mit Unternehmen zu tun, bei denen wir plötzlich nur einer von vielen Kunden aus unterschiedlichen Industrien sind. Das ist eine ganz neue Ausgangslage, da müssen auch wir uns anpassen.
Was heißt das für die Zulieferer?
Wir wollen die Zulieferer viel früher einbinden. Ich sage: Gemeinsam mit den rund 100.000 Ingenieuren bei unseren Zulieferern, die allein an unseren Projekten arbeiten, bilden wir mit unserer eigenen Technischen Entwicklung einen riesigen Kreativpool aus Top-Ingenieuren, die viele innovative Ideen einbringen. Warum sollen wir das nicht nutzen? Genau diese Ideen von außen wollen wir jetzt ins Unternehmen holen. Und dafür müssen wir die Zulieferer schon früh einbinden und auch einmal ohne fertiges Lastenheft einen Lieferanten nominieren. Das Verhältnis zu den Zulieferern wird also neu definiert, das ist schon eine andere Denkweise.
Das darf ihr Vor-Vor-Gänger José Ignacio López aber nicht hören.
In unserer heutigen Welt ist es nicht mehr so, dass man nur eine Kunden-Lieferanten-Beziehung hat. Früher lief es so: Ich bin der Kunde und definiere die Konditionen, der Lieferant hat zu liefern. Diese Zeiten sind einfach vorbei. Wir brauchen heute ein anders Verhältnis in der Zusammenarbeit, es braucht wirklich viel mehr Kooperation. Denn alleine werden weder die Zulieferer noch wir als Konzern die Zukunft erfolgreich gestalten können, dafür brauchen wir alle Partner. Und darum müssen wir auch partnerschaftlich mit ihnen umgehen.
Ändert das auch die Rolle des Einkaufs im Konzern?
Total! Wir sind das Scharnier des Konzerns zum Know-how der Außenwelt, können darum Ideen von außen hereinholen. Genau deswegen bin ich ja Einkäufer geworden. Am liebsten greife ich mir den Entwickler, nehme ihn mit und sage: Schau Dir das mal an! Und wenn daraus dann etwas Neues entsteht, gemeinsam mit dem Entwickler, dann macht das einfach Spaß.
Wie wollen Sie das praktisch umsetzen?
Das machen wir schon. Nehmen Sie unser neustes Projekt Trinity. Da haben wir bereits im Herbst 2021, also fünf Jahre vor dem geplanten Serienstart, eine Lieferantentag veranstaltet. Wir haben viele unserer wesentlichen Zulieferer, aber auch potenzielle neue Partner eingeladen, ihnen gezeigt, was wir vorhaben, aber auch erklärt, dass das Konzept noch nicht fertig ist. Und wir haben die Zulieferer aufgerufen, sich mit ihren Vorstellungen und Ideen einzubringen. Jetzt gehen wir in die Einzelgewerke, wo wir mit den Lieferanten konkret besprechen, was sie einbringen können.
Trinity soll ja nicht nur ein völlig neues Fahrzeug werden, sondern auch die Produktion in Wolfsburg revolutionieren. Welche Rolle spielt hier der Einkauf?
Eine sehr wichtige und strategische Rolle. Ohne Einkauf wird es nicht gelingen, das effizienteste Werk der Welt zu bauen. Nehmen Sie etwa die Idee, bei der Karosserie Großmodule einzusetzen, was ja gerade geprüft wird. Wo kommen diese Module denn her? Vom Zulieferer! Und da kommen wir ins Spiel. Deswegen arbeiten wir schon heute ganz eng mit der Entwicklung zusammen. Normalerweise fängt man damit etwa drei Jahre vor dem Serienstart an. Beim Trinity-Projekt machen wir das schon fünf Jahre vorher.
Das Trinity-Werk soll also nicht nur auf Augenhöhe mit Tesla sein, sondern sogar besser?
Das ist das zumindest das Ziel. Wenn es einem Unternehmen, das erst seit zehn Jahren Autos baut, gelingt, in Deutschland, nur zwei Stunde von uns entfernt, ein hochmodernes und effizientes Werk aufzubauen, dann werden wir als Automobilhersteller mit vielen Jahrzehnten Erfahrung das ja wohl auch hinkriegen. Davon bin ich überzeugt. Auch wenn viele sagen, der Konzern sei zu träge und zu komplex: Wenn der Kurs des Tankers erst einmal gesetzt ist, dann sieht man auch, wie viel Kraft dahinter steckt.
Der Beschaffungsvorstand galt früher vor allem als Kostendrücker. Spielt das jetzt gar keine Rolle mehr?
(lacht) Das heißt nicht, dass wir nicht mehr kostenbewusst wären. Mir geht es darum, dass wir vom reinen „Kostenschrubber“ zum „Kostengestalter“ werden.
Das heißt?
Früher wurde unheimlich viel Energie darauf verwendet, die Kosten in der laufenden Serie weiter zu senken. Diese Energie möchte ich stärker auf den Anfang der Zusammenarbeit konzentrieren, um später nicht beidseitig wiederholt viel Mühe in weitere Verhandlungen investieren zu müssen. Die Dinge zu Beginn einmal richtig klären und sich dann beidseitig darauf verlassen können, ist unser Ziel. Wir nennen das die „Best Price at Start of Production“- Strategie: Es wird schon hart verhandelt, bis man Zulieferer bei uns ist. Aber wenn man einer ist, dann sind wir zuverlässige und dauerhafte Partner.
Trotzdem sollen Sie die Materialkosten bis Ende 2022 um sieben Prozent drücken. Ist das nicht ein Rückfall in die alte Rolle?
Nein. Mit unserer neuen „Best Price at SOP“-Strategie haben wir 2021 begonnen. Sie wird erstmals in den Projekten umgesetzt, die ab 2023 anlaufen. Das erste Projekt der Marke Volkswagen, bei dem wir diese Strategie anwenden, ist der neue Tiguan. Für den Übergangszeitraum von 2021 und 2022, in dem noch die alten Verträge gelten, wollen wir das Potenzial heben, das wir in der Vergangenheit nicht ausgeschöpft haben. Das sind eben sieben Prozent, 3,5 Prozent pro Jahr. Das ist ein Niveau, das wir auch in früheren Jahren schon hatten. Ab 2023 haben wir dann von Anfang an wettbewerbsfähige Preise.
Und wie weit sind Sie dabei?
Zur Halbzeit haben wir knapp die Hälfte erreicht. Wir liegen zwischen drei und 3,5 Prozent. Wir sind also auf Kurs.
Und das trotz explodierender Rohstoffpreise?
Das sind wirklich nur die reinen Bruttokosten. Inflation und Rohstoffpreise laufen dem natürlich entgegen. Das können wir nicht kompensieren, und das war auch nie die Erwartungshaltung. Sieben Prozent netto, das schafft keiner. Wir haben mit den Lieferanten ja zum Teil Materialteuerungszuschläge vereinbart, und die zahlen wir natürlich auch. Alles andere wäre auch unverantwortlich. Trotzdem haben wir es geschafft, auch netto eine Einsparung zu realisieren.
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