"Starre Strukturen sind nur hinderlich"

Karsten Schnake, Beschaffungsvorstand von Škoda, ist aktuell als Leiter der Chip-Task-Force des VW-Konzerns gefordert. Im Gespräch erklärt Schnake, was einen guten Einkäufer ausmacht.

Herr Schnake, nutzen Sie tatsächlich vier Smartphones?
Karsten Schnake: Ja, ich habe tatsächlich vier. Ich mag Elektronik. Smartphones sind Produkte, die das Konsumentenverhalten gut widerspiegeln. Das hilft mir bei meinen jetzigen Aufgaben. Ich habe übrigens ganz unterschiedliche Geräte und kann dann sehen, wie sie bereits in unsere Fahrzeuge integriert sind.

Sie müssen viel kommunizieren als oberster Chipeinkäufer von VW?
Alle in dieser Industrie strengen sich extrem an. Viele Kollegen saßen jetzt eineinhalb Jahre oder auch teilweise zwei Jahre zu Hause im Homeoffice und kämpfen alleine mit ihren Herausforderungen. Dafür habe ich großen Respekt, und ich habe mit vielen darüber gesprochen, was sie bewegt. Wenn Millionen von Menschen davon abhängig sind, ob unsere Arbeit funktioniert oder nicht, dann lässt sie das unter Umständen nicht ruhig schlafen.

Was macht einen erfolgreichen Chipeinkäufer aus?
Man muss sich sehr schnell damit auseinandersetzen, wie dieser Markt funktioniert. Im Moment ist das ein Verkäufermarkt. Er ist extrem eng und bleibt es wahrscheinlich auch die nächsten Jahre. Es gibt zwei Faktoren: Unsere Industrie hat insofern einen Teil beigetragen, indem sie im ersten Corona-Jahr 2020 mit all den Shutdowns Bestellungen stornierte. Das ging ja nicht nur Volkswagen so, sondern auch unseren Wettbewerbern rund um den Erdball.

Und der zweite Faktor?
Zur gleichen Zeit entwickelte sich ein enormer Nachfrageschub von der Privatseite. Also alle, die wegen Corona zuhause saßen. Im Homeoffice und abends auf dem Sofa. Es gab eine enorme Nachfrage nach Computern, Netzwerktechnik, Routern, Webcams – und was auch immer. Und diese beiden Effekte haben sich überlagert und für ein riesiges Ausdünnen der Pipelines und Lager geführt.

Warum dauert es nun so lange, bis sich die Situation bei den Halbleitern entspannt?
Wir haben ja weiterhin mit Lockdowns zu kämpfen. Gerade haben wir monatelang daran gearbeitet, die Engpässe in China auszugleichen. Wir haben in Schanghai drei wichtige Partner, die alle von Lockdowns betroffen waren. Inzwischen sind wir routinierter geworden und stimmen uns noch enger ab mit den Kollegen in Technik und Qualitätssicherung. Wir haben für viele Chips alternative Lieferanten gefunden. Aber das gilt natürlich nicht für den gesamten Bedarf.

Wo finden Sie denn Ersatz?
Bei Anbietern, die ähnliche Spezifikationen haben. Man spricht in der Industrie von Pin-Kompatibilität. Diese Chips lassen sich dann schneller ersetzen, und wir brauchen keine komplette Neuentwicklung.

Wie lange wird die Unsicherheit bei Chips noch anhalten?
Die Grundversorgung mit Wafern wird besser. Da die Zwischenlager bei den Händlern aber leer sind, spüren sie weiterhin jede Störung. Qualitätseinbußen in einer Fertigung wirken sich sofort auf dem Weltmarkt aus. Wir arbeiten heute mit vier Partnern im Broker-Management zusammen. Ziel für uns ist es, dass wir auf kurzfristige Abmeldungen aus dem Markt schnell reagieren können. Das klappt mittlerweile recht gut. Dieses erfolgreiche Broker-Management hat uns dieses Jahr im Konzern eine große Menge an Fahrzeugen abgesichert, die wir sonst durch Störungen nicht hätten bauen können.

Wie läuft die tägliche Arbeit in der Task Force?
Bedingt durch meine Aufgabe bei Skoda läuft natürlich viel in Mladá Boleslav und dem Büro in Prag zusammen. Die Task Force selber verteilt sich über alle Märkte und über alle Regionen. Schwerpunkte sind natürlich dort, wo im Konzern Plattformen entwickelt werden. Dies ist bei uns eben Cariad, Porsche, Audi und Volkswagen selbst.

Wie groß ist die Task Force?
Täglich arbeiten ungefähr 400 Mitarbeiter aus allen Fachbereichen, also aus der Logistik, aus der Beschaffung, aus der technischen Entwicklung, aus der Qualitätssicherung und aus dem Vertrieb zusammen. Wir müssen flexibel und agil handeln. Das erfordert einen engen Austausch. In Summe sind es im Moment über 1000 Mitarbeiter im Konzern, die einen Großteil ihrer Arbeitszeit für das Projekt Chipeinkauf investieren.

Was kann noch besser laufen?
Mein alter Chef bei Skoda und neuer VW-Markenvorstand Thomas Schäfer hat es ja neulich in einem Automobilwoche-Interview beschrieben. Wir wollen uns beim Einkauf noch mehr vernetzen und mehr Synergien heben. Insbesondere bei der Markengruppe Volumen bei VW, aber auch innerhalb des gesamten Konzerns. Wenn Sie die Weltmärkte heute anschauen, ist das Halbleiter-Thema eigentlich nur die Spitze des Eisberges. Die Versorgungsrisiken bei vielen Rohstoffen sind  immer schwerer kalkulierbar. Starre Strukturen sind dabei nur hinderlich. Sie brauchen hoch agile Teams, die gut miteinander vernetzt sind.

Stehen Sie hinter der Priorisierung? Dass also die höher margigen Fahrzeuge bevorzugt mit Chips bestückt werden?
Das war eine klare Entscheidung des Vorstands, und es war die richtige Entscheidung in einer so kritischen Versorgungslage. Man sieht es doch an den Konzernergebnissen. Die Priorisierung gibt uns die Möglichkeit, mit den finanziellen Mitteln, die sich daraus ergeben, die Zukunft zu gestalten. Wir investieren ja viel in elektrische und emissionsfreie Mobilität.

Können Sie für Skoda extra etwas herausholen?
Wenn ich das tun würde, wäre ich mit Sicherheit fehl am Platz. Wir bauen Fahrzeuge mit einem sehr guten Preis-Leistungsverhältnis. Bei der Verteilung kritischer Halbleiter stehen wir nicht unbedingt ganz oben in der Liste. Das mag schmerzhaft sein, aber wir müssen fair bleiben.

Wie fällt denn die Rückmeldung der Kunden aus, die so lange warten müssen?
Das bekommen wir intensiv widergespiegelt von unseren Kolleginnen und Kollegen im Vertrieb.

Finden Sie überhaupt Zeit, sich um Nachhaltigkeit zu kümmern?
Ja, wir wollen möglichst schnell in das hineinkommen, was heute als Circular Economy bezeichnet wird. Weniger Anfall von Abfall. Und mithilfe nachhaltiger Werkstoffe und Materialien soll der CO2-Footprint der Fahrzeuge möglichst gering ausfallen.

Was sind ihre konkreten Ziele?
Wir möchten es bei Skoda in den nächsten 10-15 Jahren schaffen, dass 50 bis 60 Prozent unserer Fahrzeug-Materialien recycelbar sind. Mit jedem neuen Modell soll sich dieser Anteil erhöhen.

Ist dem wartenden Kunden Nachhaltigkeit überhaupt wichtig gerade?
Ja, das ist deutlich zu spüren. Und das zeigen auch das Feedback bei den Händlern. Ein Enyaq-Kunde fragt sich: Was kann ich von meinem Fahrzeug zusätzlich zur emissionsfreien Fortbewegung noch erwarten?

Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Da gibt es viele Aha-Effekte. Ich habe mir etwa Gedanken darüber gemacht, was mit alten Matratzen passiert. Einer unserer langjährigen Partner macht aus den Fasern nun Dämmstoffe für den Motorraum. Das sind typische Investitionsprojekte, von denen Sie als Endkunde nichts sehen. Aber sie haben natürlich eine Wirkung auf die Umwelt.

Wird es Engpässe geben, von denen wir bislang noch gar nichts ahnen?
Es wird in der weiteren Zukunft einen Kampf um Alt-Materialien geben, die wiederverwertet werden. Aber es ist doch gut, wenn zum Beispiel ein im Meer treibendes Fischernetz so wertvoll ist, dass sich Menschen Mühe geben, es da rauszuholen und wiederzuverwerten. Und das ist doch erstrebenswert, wenn Müllberge verschwinden, da sie zu Rohstofflagern geworden sind. Ein wichtiges Thema wird auch sein, die Lebensdauer der Fahrzeuge durch gute Serviceleistungen solange wie möglich zu verlängern.

Wann kommt das hundertprozentig recycelbare Auto?
Ich weiß nicht, ob wir die Marke 100 Prozent tatsächlich erreichen können. Ich halte eine solche Zahl auch für extrem riskant. Sie gehen ein Versprechen ein, was dazu führen kann, dass Sie krampfhaft versuchen, dieses Ziel zu erreichen. Und vielleicht verursacht dieses Streben mehr Kollateralschäden, als wenn Sie moderat an das Thema herangehen. Wir planen, ein Maximum an recycelbaren Materialien ins Fahrzeug zu bringen. Und was noch ein wichtiger Aspekt ist: Die Entwicklung nachhaltiger Materialien ist nicht zwingend teurer. Der Preis ist also kein Grund, es nicht zu tun. Und wir werden das auch definitiv für alle Märkte gleich tun.

Wird mit der Kreislaufwirtschaft der Job als Beschaffungsvorstand eigentlich irgendwann überflüssig?
Wenn man sich als Einkäufer nur als jemand versteht, der harte Verhandlungen führt und Preise drückt – dann wird man zum Auslaufmodell. Als Einkäufer muss man Innovationen erkennen. Die hoch kreativen Ketten mit den Millionen von Mitarbeitern bei unseren Partnern müssen ja irgendwo zusammengeknüpft werden. Sie müssen dieses enorme Potenzial erschließen und für alle Partner zu einem Mehrwert machen.

Also auf Schmusekurs mit den Zulieferern?
Wenn Sie einen Skoda kaufen, setzen Sie voraus, dass das Auto wirklich ein gutes Preis-Leistungsverhältnis hat. Sie erwarten von uns im Einkauf, dass wir vorher mit unseren Partnern um den Preis jedes einzelnen Produktes hart verhandelt haben. Dazu stehen wir! Aber wenn wir jetzt zum Beispiel eine Krise haben und unsere Partner Unterstützung brauchen, dann ist es selbstverständlich, dass man zu ihnen steht und hilft, Risiken abzufedern. Beides gehört zu einem modernen Einkauf und zu einer modernen Beschaffung dazu.

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