Überfälliges Signal

Dass er in Personalfragen nicht lange fackelt, hatte VW-Konzernchef Oliver Blume bereits mehrfach bewiesen: Gleich an seinem ersten Arbeitstag hatte er im September den Konzernvorstand verkleinert, Murat Aksel (Produktion) und Hildegard Wortmann (Vertrieb) mussten ihre Stühle im obersten Führungsgremium räumen. Wenig später musste auch VW-Chefdesigner Jozef Kaban gehen.

Jetzt trifft es fast den gesamten Cariad-Vorstand. Dirk Hilgenberg tritt ab und mit ihm fast die komplette Spitzenriege der Software-Tochter. Richten soll es nun Peter Bosch, wie Blume selbst ein ausgewiesener Produktionsexperte, der schon Bentley wieder in die Spur gebracht hat.

Die Entscheidung war überfällig. Dass sich Hilgenberg überhaupt noch so lange an der Spitze halten konnte, hatte er wohl vor allem Blumes pragmatischer Art zu verdanken. Denn auch der Konzernchef weiß, dass für die Probleme bei Cariad nicht in erster Linie der Mann an der Spitze verantwortlich war. Es war Blumes Vorgänger Herbert Diess, der der neuen Tochter schon zum Start eine quasi unlösbare Aufgabe mit auf den Weg gegeben hatte. Oben drauf mit völlig unrealistischen Zeitplänen.

Quasi aus dem Nichts musste Hilgenberg eine neue Einheit aufbauen und aus der zusammengewürfelten Mannschaft ein Team formen. Bis 2025, so die Ansage, sollte Cariad eine neue Supersoftware 2.0 entwickeln, gleichzeitig den halbfertigen Programmcode 1.2 für Audi Q6 e-tron und Porsche E-Macan vollenden und die Fehler bei der Ur-Version 1.1 der ID-Familie ausmerzen. Und das alles gleichzeitig und in Rekordzeit. Was einem Himmelfahrtskommando gleichkam. Mit dem Ergebnis, dass am Ende nichts davon funktionierte.

Dies sorgte vor allem bei Porsche und Audi für Verdruss. Deren wichtige Modelle Audi Q6 e-tron und Porsche E-Macan sind inzwischen zwei Jahre überfällig. Die Hardware beider Autos, die in Leipzig und Ingolstadt bereits im Probelauf vom Band rollen, sei super, doch leider fehle die Software, heißt es bei beiden Töchtern. Bis Jahresende, so Blumes Ansage, muss die nun endlich fertig werden.

Hilgenberg stand seither unter Bobachtung. Dass er nun - vor Ablauf der Bewährungszeit - abgelöst wird, hat aber wohl vor allem symbolische Gründe. Auch nach dem Wechsel an der Konzernspitze und dem entzerrten Zeitplan, den Blume der Tochter verordnet hatte, war Hilgenberg nie aus der Defensive gekommen. Als Symbol des Neuanfangs war er schlicht ungeeignet. Ebenso, wie 2015 der Neustart nach dem Dieselskandal unter Martin Winterkorn undenkbar gewesen war. Das ist am Ende wohl auch Blume aufgefallen. Mit dem Austausch fast der kompletten Cariad-Spitze gibt er der Tochter nun die Chance, auch öffentlich sichtbar neu durchzustarten.

Damit die Software-Offensive bei VW gelingt, muss die Tochter endlich aus dem Krisenmodus herauskommen. Hilgenberg ist das nie gelungen. Ein neuer Kopf an der Spitze kann nun ohne Altlasten nach vorn blicken. Wenn es gelingt, wäre es der Befreiungsschlag auch für Blume. Ein erneutes Scheitern bei Software, die bereits seinem Vorgänger Diess den Job gekostet hatte, kann sich Blume nicht leisten. Zu sehr hängt die Zukunft des gesamten Konzerns davon ab, dass die überfälligen Programmcodes für die kommenden Modelle endlich fertig werden.

Dabei fällt der Strategieschwenk inhaltlich geringer aus, als es scheint. Cariad, so heißt es nun, soll sich aufs Wesentliche konzentrieren und nur die Basis liefern und vor allem koordinieren. Um Details kümmern sich die Marken selbst. Auch bei der Software. Wirklich neu ist das aber nicht. Das Gleiche hatte Blume bereits im vergangenen Jahr auch Hilgenberg mit auf den Weg gegeben. Und mit der Bestellung von Sajjad Khan zum Vorstand für Car-IT bei Porsche hatte er bereits deutlich klargestellt, wo künftig die Musik spielt: nicht bei Cariad, sondern bei den Marken. Deshalb, so hieß es bereits damals, wurde Khan auch gezielt zu Porsche geholt und nicht zu Cariad weitergereicht.

Im Vergleich zum E-Auto-Pionier Tesla, mit dem sich Diess so gern maß, aber auch zu den neuen Herausforderern aus Fernost hinkt VW bei der Software weit hinterher. Gerade in China, wo Software längst als Schlüssel des Erfolgs gilt, bekommt der Konzern das immer mehr zu spüren. Weiteren Verzug kann man sich hier nicht leisten.

Auch nicht beim Autonomen Fahren. Seit dem Aufkündigen der Partnerschaft mit Argo AI vor gut einem halben Jahr herrscht hier öffentlicher Stillstand. Zwar ist intern längst klar, dass Mobileye als neuer Partner einspringen soll. Doch in trockenen Tüchern ist das nach wie vor nicht. Jetzt soll Mobileye nicht nur bei VW Nutzfahrzeuge als Ersatz für Argo AI einspringen, sondern auch bei Cariad. Auch diese Entscheidung war überfällig