Die Neuordnung des Automobilvertriebs hat auch die Politik aufgeweckt. Das zeigen die neuen Rahmenbedingungen für den Vertrieb, die die Europäische Kommission nun in der neuen Vertikal-Gruppenfreistellung und deren Leitlinien veröffentlicht hat. Bereits Anfang Juni tritt die Vertikal-GVO in Kraft, die Übergangsfrist für die Umsetzung der Vorgaben beträgt lediglich ein Jahr. Drei Regelungsbereiche sind für Automobilhersteller und deren Vertriebspartner besonders signifikant.
Viele Hersteller müssen umdenken
In der neuen Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung hat die EU-Kommission den Fokus auf das Agentursystem gelegt. Dabei macht sie einige Vorgaben, die für Hersteller sehr unangehm sind.
Handelsvertreter werden als Erfüllungsgehilfe des Anbieters angesehen, also des Herstellers oder des Importeurs. Deswegen werden sie dem Anbieter selbst zugerechnet und fallen nicht unter das Kartellrecht. Ihnen dürfen daher unter anderem Preise bindend vorgegeben werden. Jede Preisänderung zugunsten des Kunden kann der Lieferant verbieten, auch einen "Rabatt" des Handelsvertreters durch Verzicht auf Provisionsteile gegenüber dem Kunden.
Die Gefahr des Missbrauchs des Handelsvertreterkonzeptes hat die EU veranlasst, noch schärfer als bisher zu verlangen, dass in diesem Fall wirklich sämtliche Risiken vom Anbieter getragen werden: alle vertrags-, markt- und markenspezifischen Investitionen hat ausschließlich der Anbieter zu tragen. Dies schreibt die Kommission unter dem Stichwort "risk protection" fest, die in den Randnummern 29 bis 40 der Leitlinien erläutert sind. Dabei sind die tatsächlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten und nicht die rechtliche Ausgestaltung der Vereinbarung entscheidend.
Das kann soweit führen, dass ein Hersteller oder Importeur zusätzliche marktspezifische Kosten ersetzen muss, wenn für einen bestimmten Zeitraum nur geringe oder keine Verkäufe erzielt werden: Die Pflicht, die Kosten zu tragen, ist also unabhängig vom Provisionsvolumen. Reicht die "risk protection" nicht aus, greift die GVO nicht. Die Folge: Der Vertrag kann insgesamt unwirksam sein, wenn die Regeln der GVO nicht hinreichend beachtet wurden.
Auch der sogenannte "unechte Handelsvertreter" ist keine Lösung. Bei dieser Variante will der Anbieter keine "risk protection" übernehmen, weswegen er dem Vertriebspartner die Möglichkeit eröffnen muss, ähnlich wie ein Händler Teile seiner Provision an den Kunden weiterzugeben. Aber in diesem muss die Vertikal GVO im gleichen Umfang beachtet werden wie beim Vertragshändler. Weil aber der unechte Handelsvertreter genauso wie der echte nur vermitteln und nicht selbst verkaufen soll, ist allerdings ist die Gefahr des Missbrauchs der Vertreterstellung durch den Anbieter besonders hoch, insbesondere auch hinsichtlich Preisbindung und der erweiterten Vertriebsmöglichkeiten. Das kann schnell zur Nichtigkeit des Agentenvertrages führen.
Einen besonderen Fokus legt die Kommission auf die Kombination aus Handelsvertretung und Händler. Dies ist dann der Fall, wenn der Vertriebspartner für einige Vertragswaren als Händler, für andere jedoch (wie beispielsweise für e-Autos) als Handelsvertreter agiert. Dann ist die Gefahr groß, dass der Anbieter markt- und markenspezifische Investitionen dem Händlerbereich zugeordnet, obwohl sie zum Handelsvertreterbereich gehören.
Die EU erkennt die Komplexität der Aufteilung der Investitionen und zeigt in Randnummer 40 die Zuordnungsmethoden für markspezifische Kosten auf. Letztlich hat die Darstellung zur Konsequenz, dass der Anbieter sich generell im höheren Umfang an allen markt- und markenspezifischen Investitionen beteiligen muss.
Offen sind allerdings noch verbindliche Regeln, wenn der Vertriebspartner teilweise als Händler, teilweise als sogenannter unechter Handelsvertreter agiert.
Vertreibt der Anbieter einen Teil der Fahrzeuge selbst zum Beispiel über einen eigenen Onlinekanal, einen anderen Teil jedoch über Vertragshändler, spricht man vom zweigleisigen Vertrieb. Hier ist zu befürchten, dass der Hersteller und Importeure Kundeninformationen von den Händler unentgeltlich nutzen.
Die neuen Rahmenbedingungen schränken den Austausch von Informationen extrem ein. Ein Verstoß führt zum Entzug der Freistellung und stellt damit die Wirksamkeit des jeweiligen Händlervertrages insgesamt in Frage. Die Risiken für den Anbieter sind damit kam noch zu überschauen.
Aus dem Datencenter: