VW steht in China massiv unter Druck: Die Kernmarke des Konzerns hat im ersten Quartal die Marktführerschaft an den einheimischen Rivalen BYD verloren, wie das "Handelsblatt" unter Berufung auf Zahlen des Datendienstleisters Marklines sowie Versicherungsdaten berichtet. China ist für VW mit Abstand der wichtigste Markt. Mit seinen Verbrennern war der Wolfsburger Autobauer jahrzehntelang die unangefochtene Nummer 1, doch mit dem Umstieg auf E-Autos ändert sich das. Chinesische Hersteller wie BYD, Nio und Geely werden auf einmal zu ernsthaften Konkurrenten, die Stärken von VW zählen nicht mehr. Zu dem verloren gegangenen Vorsprung bei den Antrieben kommt ein zweites Problem: Beim Infotainment treffen die chinesischen Hersteller den Geschmack der Kunden deutlich besser als VW. Dass sie überdies ihre Autos günstiger anbieten, macht die Situation für VW nicht einfacher. Neue Modelle sollen jetzt die Wende bringen.
So kämpft VW gegen die Absatzkrise in China
Von der Messe in Schanghai muss der Konzern positive Signale senden. Auf seinem Hauptmarkt China steht er schwer unter Druck. Doch der wichtigste Termin für den Vorstand findet hinter verschlossenen Türen statt.
Es ist der Hingucker am VW-Stand auf der Automesse in Schanghai: Gut geschützt hinter Glas und noch mit Tarnfolie versehen steht die lang gestreckte Elektro-Limousine, die ID. Next heißen soll. Ein Ausblick auf den kommenden Trinity? Oder das erste reine E-Modell aus China, für China, das China-Vorstand Ralf Brandstätter zügig an den Start schicken will?
Die Besucher drücken Ihre Kameras ans Glas, um die geheimnisvolle Neuheit abzulichten, löchern die Mitarbeiter am Stand mit Fragen zu mehr Details. Doch bei genauerem Hinsehen sieht die getarnte Studie, die Jia Jainxu, CEO des Joint Ventures SAIC Volkswagen, bei der Weltpremiere des ID.7 überraschend mit enthüllt hatte, dem eigentlichen Premierenfahrzeug doch auffallend ähnlich.
Kein Wunder: Es handelt sich schlicht um die China-typische Süd-Version des ID.7, die sich äußerlich von der nun enthüllten Nord-Version nur durch Details unterscheiden wird. Wie schon ID.4 und ID.6 wird es auch den ID.7 in China doppelt geben: Den ID.7 Vizzion von FAW-Volkswagen im Norden, der weitgehend dem europäischen Modell aus Emden entspricht, und die Version von SAIC Volkswagen, die dann ID.7 S heißen könnte, im Süden. Während die Nordversion bereits im dritten Quartal anlaufen soll, wird die Süd-Version wohl erst 2024 folgen.
Der ID.7, eine Elektrolimousine im Passat-Format mit bis zu 700 Kilometern Reichweite, ist die wichtigste Neuheit der Marke Volkswagen in diesem Jahr. Entsprechend groß war die Weltpremiere in Schanghai bereits am Abend vor dem offiziellen Messestart bei einem eigenen Event in Szene gesetzt worden, mit zeitgleichen Veranstaltungen in Berlin und New York.
Auf der Messe, wo das Fahrzeug dann gleich am ersten Messetag früh vorgestellt wurde, fuhr der Konzern erneut groß auf. Fast der gesamte Markenvorstand war vor Ort, ebenso wie der komplette Konzernvorstand, den Blume nach Schanghai mitgenommen hatte.
Die Präsentation am Messestand überließ Konzernchef Oliver Blume wie bereits bei der Vorabenthüllung am Abend zuvor den Markenverantwortlichen: Markenchef Thomas Schäfer, der im ID Buzz (der hier gar nicht verkauft wird) auf die Bühne fuhr, VW-Pkw-Chinachef Stefan Mecha sowie die CEOs der beiden Joint Ventures mit SAIC und FAW. „Wir freuen uns auf die nächsten 40 Jahre in China“, sagte Mecha selbstbewusst. "Volkswagen bleibt China eng verbunden", fügte Schäfer hinzu. Mit schnelleren Entscheidungen wolle man dazu beitragen, die elektrische Zukunft im Land zu gestalten.
VW, seit 40 Jahren Marktführer in China, fährt bei der ersten Automesse im Land nach Corona, Lockdowns und Reisesperren, auch insgesamt wieder groß auf. VW und Audi füllen mit ihren beiden Ständen gut ein Drittel der Halle 4, jeder für sich hatte einen der drei größten Stände auf der Messe. Nur BMW konnte mit seinem Messeauftritt mithalten. Der chinesische Newcomer BYD folgte aber bereits knapp dahinter.
Alle Konzernmarken zusammen hätten eine der acht Messehallen komplett füllen können, verteilten sich aber auf zwei Hallen: Audi und VW zusammen mit der konzerneigenen China-Billigmarke Jetta bei anderen Volumenherstellern in Halle 4, Porsche, Bentley, Lamborghini und Ducati bei den Luxusanbietern in Halle 8.
Für Audi geht es dieses Jahr darum, bei den chinesischen Kunden wieder den Anschluss zu finden. Die Nachricht des Verkaufsstopps von Plug-In-Hybriden in China sorgte direkt vor der Messe für weitere Unruhe. Konzernchef Markus Duesmann versuchte neues Vertrauen aufzubauen. „Wir sind Schanghai besonders verpflichtet“, stellte der CEO der Ingolstädter im Rahmen seiner kurzen Rede klar. Und weiter: „Nirgendwo ist die Transformation zur Elektromobilität so weit fortgeschritten wie in China.“ Duesmann beschwor: „Elektrische Modelle aus China für China, das ist unsere Mission.“
Der Audi-Chef teilte sich die Bühne mit China-Chef Jürgen Unser, der ebenfalls noch einmal die enge Verbindung von Audi und China beschwor: „Audi aktiviert Emotionen in China.“ Große Produktneuheiten von den vier Ringen gab es am Dienstag in Schanghai nicht. Audi begann seine Präsentation mit dem Formel-1-Projekt und zeigte ein energiegeladenes Video, gefolgt vom Formel-1-Showcar, mit dem die Ingolstädter gerade weltweit für ihren Einstieg in die Königsklasse ab 2026 trommeln. Auch die vier Sphere-Konzeptautos, die Audis Visionen in der automobilen Zukunft zeigen, waren wieder Teil der Präsentation. Außerhalb des Kongressgeländes plakatieren die Ingolstädter in Schanghai vor allem mit dem vollelektrischen Q5 e-tron, der aber in Europa nicht auf den Markt gebracht wurde.
Am Stand der eigenen Marke Porsche, die Blume in Personalunion leitet, ergriff der Konzernchef dann auch selbst das Wort. Und ist dann voll in seinem Element. Für das Cayenne-Facelift, das er hier enthüllte, sei Schanghai der perfekte Ort, sagte er. Schließlich hätten viele Chinesen die Marke Porsche überhaupt erst mit dem SUV kennengelernt. Anders als im Rest der Welt werde Porsche hier nicht mit dem 911, sondern mit dem Cayenne verbunden.
Dass Blume mit dem kompletten Konzernvorstand zur Messe antrat, hat seinen Grund: Am Mittwoch will man sich hier hinter verschlossenen Türen zur Klausurtagung zusammensetzen, um über ein neues "Zielbild 2030" für China zu entscheiden. „Eine starke Präsenz auf dem chinesischen Markt stärkt unsere Wettbewerbsfähigkeit weltweit“; sagte Blume. Denn: „China ist mit seiner hohen Innovationskraft ein wichtiger Taktgeber für die gesamte Automobilindustrie.“