Frau Fontaine, Sie waren bei Mercedes und Porsche in Nordamerika, zuletzt fast vier Jahre bei Bentley in England. Jetzt seit 2021 Volkswagen Nutzfahrzeuge. Ist das nicht eine gewaltige Umstellung vom Luxus- zum Nutzfahrzeug?
(lacht) Überhaupt nicht! Das waren ja vorher auch sehr unterschiedliche Unternehmen, alle mit ihrer ganz eigenen Transformationsgeschichte. Ich mag es einfach, an etwas Neuem mitzuwirken. Und auch Volkswagen Nutzfahrzeuge ist ja gerade extrem im Wandel. Im Moment ist dies für mich die spannendste Marke, die es gibt. Deshalb kann ich nur sagen: Ich bin glücklich, bei den Nutzis zu sein. Ich finde es klasse!
Spannender als Bentley?
Bentley war auch extrem spannend. Aber was ich bei VWN so beeindruckend finde: Wir definieren hier gerade, wie die Mobilität der Zukunft aussieht: Wie können wir Menschen verbinden, die Mobilität der Zukunft gestalten? Autonomes Fahren, Mobility as a Service, Transport as a Service. Und wie richten wir die Marke strategisch auf diese Themen aus? Das ist eine große strategische Verantwortung – zumal VWN hierfür das Mandat des gesamten Konzerns hat.
Was macht den Umbruch bei VWN denn so spannend?
Denken wir doch nur mal darüber nach, was der Fachkräftemangel für die Mobilitätsbranche bedeutet: Es gibt nicht genug Lkw-Fahrer, immer weniger Busfahrer. In fünf bis zehn Jahren werden wir weder Logistik noch Nahverkehr ohne digitales Fahren darstellen können, weil uns einfach die Leute fehlen. Deshalb sind autonomes Fahren, Mobility as a Service und Transport as a Service für unsere Gesellschaft so wichtig. Und genau daran arbeiten wir.
Und was fahren Sie privat? Bentley oder Bulli?
Natürlich einen Multivan, als Hybrid.
Ihr Ressort heißt jetzt nicht mehr Personal, sondern People and Transformation. Was ist dadurch anders?
Beides gehört einfach zusammen. Das haben wir jetzt in der Krise gesehen. Ohne die Menschen tut sich mal gar nichts, da können wir noch so viel digitalisieren. Es sind die Menschen, die Veränderungen gestalten – und die müssen wir jetzt mitnehmen: ihnen sagen, warum und wie sich etwas ändert, wo es hingeht und welche Qualifizierungen nötig sind, um so die Energie im Team zu halten. Den Umbruch, in dem die gesamte Branche steckt, den kriegen wir nur hin, wenn die Mannschaft mitzieht und nicht resigniert. Das ist aus meiner Sicht unsere größte Herausforderung.
Ohne Personalabbau wird die Transformation aber nicht gelingen, bis 2029 sollen 5000 Stellen wegfallen. Was tun Sie, um die Leute mitzunehmen?
Wir haben eine Standortvereinbarung mit Beschäftigungssicherung. Auch 2029 werden hier am Standort Hannover noch mehr als 10.000 Menschen arbeiten. Dabei bewegen wir uns entlang der demografischen Kurve, mit Abgängen in Altersteilzeit und Ruhestand. Das Thema ist jetzt eher, welche Kompetenzen die Mitarbeitenden brauchen.
Das heißt?
Einerseits haben wir bereits einen Teil der Belegschaft in Hannover für den ID. Buzz und zuvor für den Multivan umgeschult. Jetzt geht es darum, die Belegschaft auf den Auslauf des T6.1 Mitte nächsten Jahres vorzubereiten. Dann werden hier auf zwei Linien ID. Buzz und Multivan solitär laufen. Das mag einfach klingen, aber das ist jetzt die Herausforderung und ein Riesenprojekt bezüglich der Qualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Und das im laufenden Betrieb?
Ja. Wir laufen hier in Hannover im zweiten Halbjahr hoch auf ungefähr 900 Einheiten am Tag. Das heißt, wir fahren dann fast Volllast. Weil wir eben auch sicherstellen wollen, dass die hohen Auftragsbestände schnell an die Kunden gehen, dass die Leute ihren T6.1 bekommen, ihren Multivan, ihren ID. Buzz. Von daher ist das ein Kraftakt für die Mannschaft.
Wie gehen Sie damit um?
Da hast du wirklich dieses Familiengefühl hier bei den Nutzis. In solchen Phasen merkt man, dass wir eng zusammen stehen, dass alle mitziehen, wenn es darauf ankommt. Seit einiger Zeit hat jeder Vorstand die Patenschaft für einen Teil der Produktion, da gehen wir ans Band, treffen die Kollegen, reden mit ihnen, hören zu. Das finde ich ganz wichtig, dass man diese Wertschätzung zeigt und nicht nur im Glashaus sitzt. Wir müssen verstehen, was in der Produktion passiert, gerade in so einer Umbruchphase.
Und welchen Bereich haben Sie selbst als Patin?
Ich habe die Bandabschnitte 6 und 7, dazu gehört der sogenannte Finishbereich. Da sind die Autos eigentlich fertig, werden nochmals kontrolliert. Ich mache regelmäßige Runden vor Ort, spreche mit Meistern, Teamsprechern und Kolleginnen und Kollegen. Einmal die Woche sind wir mit dem kompletten Vorstand in der Produktion, um für die Leute ansprechbar zu sein. Für mich ist das wirklich ein Kulturthema.
Zugleich gibt es in den USA immer mal Gedankenspiele, den ID. Buzz, der dort ja gerade als Langversion enthüllt wurde, dann auch dort zu bauen statt nur in Hannover.
Nein, die werden alle in Hannover gebaut. Das steht klar in der Standortvereinbarung, dass der ID. Buzz – egal in welcher Form – aus Hannover kommt. Das macht hier auch die Mannschaft stolz. Das ist ein Auto aus Hannover, und von hier geht es in die Welt.
Hilft das, die Mannschaft mitzunehmen in der Transformation?
Ja, weil man jetzt mal wirklich etwas Greifbares hat. Oft ist Veränderung ja nur Gedankenspielerei. Damit kannst du die Menschen nicht emotional greifen. Aber der ID. Buzz ist ein Symbol, er zeigt, wo die Mobilität hingeht, nachhaltig, voll elektrisch. Und das Auto hat so viele positive Reaktionen bekommen, dass er für die Leute jetzt ein Motivationsträger ist.
Und das autonome Fahren, wo VWN ja auch Vorreiter sein will?
Autonomes Fahren ist hier in der Belegschaft im Werk ja noch nicht so sichtbar. Das ist eher etwas, was uns in der Entwicklung umtreibt. Und das verändert ganz stark unseren Außenauftritt: Wie definieren wir uns als VWN in der Zukunft? Das ist für uns natürlich eine Wahnsinnsmöglichkeit. Und auch etwas, was dann wieder die Leute begeistert. Nicht mehr nur die Hülle, also das Fahrzeug zu bauen, sondern das komplette Paket mit AD-Technologie und Mobilitäts-Diensten anzubieten.
Sind Sie denn schon mal autonom mitgefahren?
Ja, erst kürzlich in München, wo unsere Fahrzeuge bereits im Straßenverkehr entwickelt und getestet werden. Natürlich noch mit Sicherheitsfahrerinnen an Bord. Und ich muss sagen, das hat einen extremen Sprung nach vorn gemacht. Ich hab mich da wirklich sicher gefühlt. Aus meiner Sicht ist das nicht mehr aufzuhalten. Für mich ist das nur noch eine Frage der Zeit, bis das komplett in der Gesellschaft angekommen ist. Das verändert dann wirklich die Welt der Mobilität. Da bekomme ich fast ein bisschen Gänsehaut.
Beim autonomen Fahren hat VWN jetzt ja sogar die Führungsrolle im Konzern. Was bedeutet das fürs Selbstverständnis? Und Ihre Rolle im Konzern?
Wir sind stolz darauf, dass der Konzern uns vertraut, dass wir mit unseren Leuten das Thema nach vorn treiben. In einem Zeitrahmen, der jetzt realistisch ist. Und nicht nur für VWN, sondern für den ganzen Konzern – da sind wir uns unserer Verantwortung sehr wohl bewusst. Und wir haben im Moment genau die richtigen Fahrzeuge und Geschäftsmodelle dafür.
Inwiefern?
Man braucht Fahrzeuge, die immer laufen und nicht 23 Stunden am Tag in der Garage stehen. Die Technologie ist teuer. Mit den Jahren wird es Skaleneffekte geben, aber am Anfang wird das sehr teuer sein. Und da braucht man ein Geschäftsmodell, dass diese Kosten wieder auffängt. Das geht nur, wenn man ein Fahrzeug hat, das so viel wie möglich am Tag läuft. Deswegen Mobilitäts- und Transportdienstleister in den Städten, wo die Fahrzeuge laufen, laufen, laufen. Und wir haben dafür die Business Cases, jetzt schon mit MOIA in Hamburg und in Zukunft mit Transportunternehmen, mit denen wir Piloten starten.
Hilft Ihnen der Imagewandel, in dem VWN steht, jetzt auch beim Recruiting? Oder stellen Sie gar nicht neu ein?
Diese neuen Themen sprechen natürlich vor allem junge Leute an. Und Recruiting ist für uns im Moment hauptsächlich ein Thema beim autonomen Fahren. Da brauchen wir Softwareleute, Spezialisten, die wir heute nicht haben. Diese Mobilität der Zukunft zu gestalten, ist vor allen Dingen in der jungen Generation ein starker Motivationsfaktor. Wie ein junger Kollege neulich zu mir sagte: I’m not writing Code, I’m writing History.
Aus dem Datencenter: