Herr Früh, Mercedes stellt die C-Klasse radikal um. Mit dem Nachfolger, der Baureihe W206, endet die Ära der Sechs- und Achtzylinder – CO2 zwingt Mercedes dazu. Warum haben Sie als Konsequenz daraus nicht die Chance genutzt, das Modell auf Quermotor umzustellen um so Kosten, Bauraum und Komplexität zu reduzieren?
Früh: Weil der Längsmotor im Wettbewerbsumfeld die Voraussetzung für ein rundum überlegenes Auto ist. Zusammen mit der E-Klasse bildet die C-Klasse den Kern der Mercedes Heckantriebs-Architektur MRA. Auch die S-Klasse gehört zu dieser DNA, aber Größe und Gewicht bedingen hier diverse eigenständige Strukturen. Man darf in diesem Segment nicht nur die theoretischen Nachteile des Längsmotors ins Kalkül ziehen - was aus meiner Sicht viel wichtiger ist, das sind die unbestreitbaren Vorzüge. Dazu gehören die souveränere Traktion, eine Lenkung ganz ohne Antriebseinflüsse und ein Premium-Fahrwerk mit entsprechend aufwändig konstruierter Hinterachse. Das Ergebnis sind Fahreigenschaften – Komfort, Handling, Stabilität –, die einem Fronttriebler klar überlegen sind.
Dass der V8 keine Zukunft hat, ist nachvollziehbar. Aber der neue Reihensechszylinder hätte doch perfekt zu diesem Fahrzeugkonzept gepasst.
Früh: Stimmt. Doch mit dem 3,0-Liter-Motor wäre der Vorderwagen in der Länge um 50mm gewachsen, von der höheren Achslast und deren fahrdynamische Auswirkungen ganz zu schweigen. Leistungsmäßig haben wir die Differenz zwischen Vier- und Sechszylinder durch die PHEV-Module mehr als ausgeglichen. Dem leichten Plus an Laufruhe steht außerdem eine deutlich bessere Effizienz gegenüber.
BMW bringt im Herbst den i4, Tesla dominiert das Segment mit dem Model 3, Audi arbeitet am A4 e-tron. Wo bleibt die vollelektrische C-Klasse?
Früh: Die wird es geben, aber nicht in naher Zukunft. Warum nicht? Weil die aktuelle MRA-Matrix sich nicht ohne weiteres elektrifizieren lässt. Klar, man hätte die bestehende Bodengruppe mit Akkus vollpacken, größere Raddurchmesser einsetzen und das Fahrzeug höherlegen können. Aber damit hätten wir zum einen die DNA der C-Klasse verfälscht und uns zum anderen diverse Kompromisse – Stichwort Hinterachse, Packaging – eingehandelt. Mercedes hat mit EVA2 einen herausragenden Elektrobaukasten in petto, der in Sachen E- und S-Klasse alle Register zieht, aber leider das Maßkonzept und das Budget der C-Klasse sprengt.
Vom neuen T-Modell ist erstmals ein All-Terrain-Ableger geplant. Gleichzeitig fällt die Airmatic-Luftfederung aus dem Programm. Wie passt das zusammen?
Früh: Kurz nach der Einführung kam die Airmatic auf einen Bestellanteil von fast sechs Prozent. 2020 entschied sich leider nur mehr jeder hundertste Kunde für die Luftfederung. Das rechnet sich nicht. Die All-Terrain-Anforderungen decken wir mit einem Schlechtwegefahrwerk samt entsprechender Bereifung ab. Die neu abgestimmte Verstelldämpfung ist zwar nicht mit einer Vierrad-Niveauregulierung kombinierbar, aber ihre deutlich komfortablere Auslehung sorgt für eine klare Differenzierung zum strafferen Sportfahrwerk.
Die neue S-Klasse ist auf Wunsch mit einer extrem ausgelegten Hinterachslenkung bestellbar, die den Wagen fast wendig macht wie eine A-Klasse. Warum führt Mercedes diese USP nicht top down quer über alle Baureihen ein, also auch für die C-Klasse?
Früh: Weil es nicht notwendig ist. Wir bieten den W206 mit einer Hinterradlenkung an, die als Dynamik-Feature ausgelegt ist und den Wendekreis um 0,4 auf 10,6 Meter verringert. Der maximale Lenkwinkel von 2,5 Grad ist durch elastokinematische Applikationen darstellbar. Für größere Winkel müsste man eine lenkbare Achse einbauen – dafür gibt es weder Platz noch Geld. Während die Allradlenkung die Manövrierfähigkeit der S-Klasse in der Tat dramatisch verbessert, macht das anders ausgelegte System den W206 zum sportlich-flinken Spurwechselchampion, der von Anschlag zu Anschlag nur zwei Lenkradumdrehungen benötigt.
Mit dem X256 war in der frühen Entwicklungsphase ein angeblich bildhübsches fünftüriges C-Klasse Coupé angedacht, in dessen eigenständiger Karosserie sogar der Reihensechszylinder genug Platz gefunden hätte. Warum hat der Vorstand dieser emotionalen Variante die rote Karte gezeigt?
Früh: Bekanntlich ist es in diesem Geschäft an der Tagesordnung, dass nicht jedes Konzept den langen Weg bis zur Serienfreigabe überlebt...
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