Wie Oliver Blume Volkswagen verändern will

Seinem Ruf als Gegenentwurf zu Herbert Diess wurde Oliver Blume gleich nach seiner Ernennung gerecht. Als Erstes wandte er sich, kaum hatte der Aufsichtsrat in Wolfsburg den Wechsel an der Volkswagen-Spitze verkündet, an die Mitarbeiter. "Lassen Sie uns die Zukunft des Volkswagen-Konzerns mit Teamgeist, Fairness und Leidenschaft gestalten", schrieb er in einem offenen Brief im Intranet. "Jede und jeder kann einen Beitrag leisten, um unseren Konzern voranzubringen."

Welch Kontrast zu seinem Vorgänger, der die Belegschaft regelmäßig mit Forderungen nach mehr Effizienz und Gedankenspiele über Personalabbau verunsicherte und mit ständigen Tesla-Vergleichen nervte. Blume dagegen stellte klar: "Der Mensch steht für mich immer im Mittelpunkt. Erfolg ist eine Teamleistung. Das gilt für den Konzern ebenso wie für die Marken."

Wenn der gebürtige Braunschweiger, der gleichzeitig Porsche-Chef bleibt, das Zusatzamt an der Konzernspitze nun am heutigen Donnerstag antritt, wartet eine lange Liste an Baustellen auf ihn. "Das ist schon eine Herkulesaufgabe", sagt Analyst Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler. Eine Schonfrist wird Blume in Wolfsburg nicht haben.

Seinen Einstand gibt er dabei fernab von Wolfsburg: Gleich an seinem  ersten Arbeitstag trifft sich Blume in Lissabon in Portugal mit den Führungskräften des gesamten Konzerns zur zweitägigen Managementtagung. Das alljährliche Treffen war bereits lange vor dem Beschluss über den Wechsel an der Spitze geplant. Jetzt kann Blume den Termin nutzen, um das Management auf die neue Zeit und den von ihm gewünschten Teamgeist einzuschwören und erste Einblicke in seine Pläne zu geben, mit denen er VW wieder auf Kurs bringen will.

Wirklich gerissen hat sich Blume um den Job nie. Dass er nun doch ran muss, hat er Familienoberhaupt Wolfgang Porsche zu verdanken. Denn es waren die Familien Porsche und Piëch, die lange zu Diess gehalten hatten, am Ende aber das Vertrauen verloren und seine Absetzung betrieben. Deshalb muss Blume nun in Wolfsburg übernehmen.

Der 54-Jährige willigte ein - unter der Bedingung, dass er weiter auch Porsche-Chef bleibt. Und das auch nach einem möglichen Börsengang im Herbst. Um den Doppeljob stemmen zu können, wurde ihm VW-Finanzvorstand Arno Antlitz an die Seite gestellt, der nun zusätzlich als COO fungiert. Blume selbst führt für sich die Sechstagewoche ein - drei Tage in Wolfsburg, drei in Stuttgart.

Die wohl wichtigste Aufgabe gab der Aufsichtsrat Blume dabei gleich mit auf den Weg: Er soll den Vorstand neu ausrichten und daraus ein schlagkräftiges Team bilden. Hier hatte es bei Diess massive Defizite gegeben. "Es war ein Riesenfehler von Diess, zu glauben, dass man besser wird, wenn man die Leute unter Druck setzt", kritisiert Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach. "Ich traue Blume da mehr kooperative Kraft zu, aus dem Vorstand ein echtes Team zu bilden und als Primus inter Pares zu führen statt als großer Zampano, der die Ansagen macht."

Die erste Bewährungsprobe soll dabei die Verkleinerung des Vorstands werden. Das Gremium war unter Diess auf zwölf Mitglieder angewachsen, weil es nach jedem Machtkampf erweitert wurde, um den Chef einzuhegen. Mit Diess' Ausscheiden bleiben immer noch elf. Das sei schlicht zu viel, hieß es übereinstimmend in Wolfsburg und Salzburg. Mindestens drei Posten sollen bis Jahresende wegfallen. Spätestens im Oktober dürfte der Aufsichtsrat darüber entscheiden.

Ganz oben auf der Streichliste stehen drei Vorstände mit Doppelfunktionen: Murat Aksel (Einkauf), Hildegard Wortmann (Vertrieb) und Thomas Schmall (Technik). Vorteil: Keiner muss wirklich gehen. Aksel bliebe Beschaffungsvorstand der Marke VW, Wortmann Vertriebschefin bei Audi und Schmall Leiter der konzerneigenen Zuliefersparte VW Components.

Im Gegenzug sollen die Marken mehr Freiheiten erhalten, wie sie Blume als Porsche-Chef schon bisher für sich eingefordert hatte. "Man wird den Marken mehr Spielraum geben - auf Kosten der einen oder anderen Synergie, die Diess heben wollte", sagt Bratzel. "Dadurch schafft Blume sich auch weniger Konflikte. Da können sich Leute wie Audi-Chef Markus Duesmann dann mehr ausleben, ohne ständig zurückgepfiffen zu werden."

Die größte Baustelle, die Diess seinem Nachfolger hinterlässt, ist aber die Software-Schmiede Cariad. Die Konzerntochter liegt weit hinter dem Zeitplan zurück, sowohl bei der Software 1.2 für Porsche und Audi als auch bei der eigentlichen Einheitssoftware 2.0 für alle Konzernmarken.

Blume muss hier nun die Prioritäten neu setzen. Nach Informationen der Automobilwoche soll Cariad schlanker, effizienter, moderner und auch mutiger werden. Und sich für Kooperationen öffnen. Bei Porsche hatte Blume im März eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit Apple angekündigt. Das könnte nun auch bei Cariad die Richtung werden.

Grundsätzliche Änderungen an der Strategie wird es unter Blume aber nicht geben. "Sie können hier große Kontinuität erwarten", stellte COO Antlitz bereits klar. "An den langfristigen Zielen ändert sich nichts." Und auch Blume selbst bekennt sich ausdrücklich zur Strategie "New Auto" von Diess. Die gebe dem Konzern "die nötigen Leitplanken". Denn, so heißt es im Konzern: Von der strategischen Vision her hat Diess alles richtig gemacht. Nur mit der Umsetzung haperte es.

Blume brachte es in seinem Brief an die Mitarbeiter treffend auf den Punkt: "Der Zeitpunkt des Wechsels ist gut gewählt", schrieb er. Man verlasse jetzt die strategisch-planerische Phase. "Nun liegt der Schwerpunkt auf dem operativen Umsetzen." Und hier trauen die Familien ihm offenbar mehr zu als seinem Vorgänger.