Alex Chesterman hat eine Leidenschaft: Start-ups. Seit 2003 krempelt der Unternehmer mit seinen Neugründungen ganze Branchen um. 2018 kam mit Cazoo der Gebrauchtwagenmarkt hinzu. Im Interview spricht der 52-Jährige nun exklusiv über seine Expansionspläne.
Herr Chesterman, Sie sind im Dezember mit Cazoo in Deutschland gestartet. Dort gibt es mit Auto1 bereits einen Platzhirsch. Wie wollen Sie den Rivalen attackieren?
Wir sehen Auto1 nicht als Konkurrenten.
Das müssen Sie erklären.
Unser Geschäftsmodell ist, den Gebrauchtwagenmarkt zu transformieren, indem wir ihn konsequent ins Internet verlagern und dadurch eine bessere Kundenerfahrung bieten. Auto1 macht mit Autohero genau das gleiche, ebenso Carvana in den USA. Währenddessen machen aber 99 Prozent des Marktes weiter wie in den vergangenen 20, 30 oder 40 Jahren. Angesichts dessen glaube ich, dass es genug Platz für eine ganze Reihe von neuen Akteuren gibt.
In der Plattform-Ökonomie gilt das Prinzip "the winner takes it all". Ist das kein Widerspruch?
Ich glaube der Pkw-Markt funktioniert nicht nach diesem Prinzip. Dazu ist er zu fragmentiert. Bisher ist es noch nie jemandem gelungen sich durchzusetzen. Selbst die größten traditionellen Händler erreichen in den meisten europäischen Märkten höchstens einen Marktanteil von zwei bis drei Prozent. Auch die schiere Größe des Marktes macht es unmöglich, dass sich ein Akteur gegen alle anderen durchsetzt. Ich denke, dass in fünf bis sechs Jahren etwa 20 Prozent des Marktes online stattfinden werden. Die werden sich in jedem Land auf mehrere Akteure verteilen. Vorstellbar sind etwa drei oder vier mit jeweils fünf Prozent Marktanteil. Damit wären sie immer noch größer als jeder andere Händler der derzeit auf dem Markt ist.
Sind drei oder vier die Obergrenze?
Es könnten auch fünf oder sechs sein. Es wird allerdings einige Marktführer geben. Und wir werden einer davon sein. Es ist nebenbei bemerkt sogar ganz hilfreich, dass es mehrere Unternehmen wie Cazoo oder Auto1 gibt. Denn was wir tun, ist nicht nur eine Marke aufzubauen. Wir bauen auch ein neues Marktsegment auf. Das bedeutet: Die Konsumenten müssen erst noch lernen, dass es einen neuen Weg gibt, ein Auto zu kaufen oder zu verkaufen und dass er anders funktioniert als bisher. Das ist einfacher, wenn es mehrere Akteure gibt, die diese Botschaft senden.
Auto1 ist also nicht Ihr Hauptkonkurrent. Wer dann?
Die 99 Prozent der Autohändler, die Autos auf die traditionelle Art verkaufen. Wir werden Autohero keine Marktanteile streitig machen. Und Autohero uns umgekehrt auch nicht. Stattdessen werden wir beide dem klassischen Autohandel Marktanteile wegnehmen. Wenn neue disruptive Geschäftsmodelle in einen Markt kommen, geht das immer auf Kosten der bestehenden Akteure.
Im Moment kennt in Deutschland kaum jemand Cazoo. Wie wollen Sie das ändern?
Lassen Sie uns etwa zwei Jahre zurückgehen, in den Dezember 2019. Damals sind wir gerade in Großbritannien gestartet und viele haben genau dasselbe gesagt: Niemand hier kennt Cazoo. Heute hingegen haben 77 Prozent aller britischen Erwachsenen bereits von uns gehört. Um das zu erreichen, haben wir sehr viel Geld für Marketing ausgegeben, etwa in Form von Fernsehspots oder Sportsponsoring. Einen ähnlichen Weg werden wir auch in Deutschland gehen. Ich versichere Ihnen: Nächstes Jahr um diese Zeit wird so gut wie jeder in Deutschland Cazoo kennen.
Großbritannien ist also eine Blaupause für das, was in Deutschland bevorsteht?
Exakt. Wir sind hier lediglich zwei Jahre zurück.
Wie genau stellen Sie sich den Markthochlauf in Deutschland vor?
Wir werden sehr bald unsere Marketingaktivitäten hochfahren. Gleichzeitig stellen wir Personal ein und investieren in Aufbereitungszentren und Lieferwägen. 2020 haben wir in Großbritannien 10.000 Autos verkauft. Ein Jahr später waren es bereits 40.000. Unser Ziel für 2022 sind 100.000. Wir gehen davon aus, dass die Entwicklung in Deutschland ähnlich sein wird. Wir erwarten, dass wir in den ersten zwei oder drei Jahren nach dem Markteintritt die Gewinnzone erreichen.
Wenn ich bei Ihnen ein Auto kaufe: Wer ist dafür verantwortlich, dass es vor meine Haustür kommt?
Die Auslieferung übernehmen ausschließlich Cazoo-Mitarbeiter in Cazoo-eigenen Fahrzeugen. Wo immer es direkten Kontakt zu den Kunden gibt, machen wir das selbst. Bei der Aufbereitung der Fahrzeuge und bei Zusatzdienstleistungen wie Finanzierungen und Garantien hingegen arbeiten wir mit Partnern zusammen.
Arbeiten Sie auch mit Autohäusern zusammen?
Nein. Wir haben allerdings in Großbritannien einige gekauft und in Cazoo-Kundencenter umgewandelt. Dadurch haben unsere Kunden jetzt die Wahl, ob sie sich die Fahrzeuge liefern lassen oder an einem von 21 Standorten selbst abholen wollen. Das gleiche werden wir auch in Deutschland machen. Ich denke, 20 ist dafür ein guter Richtwert.
Wir werden also bald einige Autohausübernahmen sehen?
Nicht notwendigerweise. Vielleicht bauen wir die Standorte auch auf eigene Faust. Verkaufsautomaten wie bei Carvana in den USA wird es bei uns aber nicht geben. Wir wollen Kundenzentren, wo die Menschen hinkommen und ihr Fahrzeug bei unseren Mitarbeitern abholen können. In den Kundenzentren wird es übrigens auch Servicezentren geben, in denen wir sämtliche Wartungs- und Reparaturarbeiten anbieten.
Welche Rolle werden die Autohäuser vor Ort langfristig spielen?
Es wird sie auch in Zukunft geben. Das beweist der Blick in andere Einzelhandels-Branchen. Der Online-Handel ist zwar überall sehr wichtig geworden, konnte aber nirgends das traditionelle Modell vollständig verdrängen. Manche Kunden kaufen lieber online, manche lieber offline. Beide Modelle können darum ohne weiteres nebeneinander bestehen. Wie gesagt rechne ich damit, dass in fünf bis sechs Jahren 20 Prozent der Kunden online kaufen. Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass 80 Prozent das nicht tun und weiterhin ins Autohaus kommen. Dieses Verhältnis wird sich auch nicht groß verschieben. Für uns bleibt trotzdem genug übrig.
Eine letzte Frage noch: Sie belegen derzeit mit einem Nettovermögen von 750 Millionen Pfund Platz 215 auf der Sunday Times Rich List. Wo sehen Sie sich 2025?
Ich stehe nicht gern auf solchen Listen. Von daher hoffe ich, dass ich 2025 nicht mehr darauf zu sehen bin.
Herr Chesterman, vielen herzlichen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Armin Wutzer.
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