Herr Ulbrich, Sie waren die letzten drei Jahre als E-Mobilitätsvorstand für die neuen ID-Modelle zuständig, seit 1. Februar sind sie Entwicklungsvorstand der Marke Volkswagen. Ist es ungewohnt, plötzlich wieder mit Verbrennern zu tun zu haben?
Nein. Wenn man so lange mit Verbrennern zu tun hatte wie ich, dann ist das ein bisschen wie Rollschuhlaufen. Das verlernt man nicht.
Sie wollten sich nach dem ID.-Hochlauf doch eigentlich eine Auszeit gönnen. Was hat Sie umgestimmt?
Vor allem der Reiz der Aufgabe. In den letzten Jahren habe ich ja schon die Umsetzung der E-Mobilitätsstrategie von der Nische ins Volumen verantwortet. Da hat es mich einfach gereizt, jetzt an dieser Stelle in der Technischen Entwicklung mitwirken zu können, Produkte mit zu entwerfen, aber vor allem auch die Transformation des gesamten Unternehmens mitgestalten zu können.
Und wie fällt Ihre Bilanz nach fünf Monaten aus?
Sind es schon fünf Monate? So lange kommt es mir noch gar nicht vor. Erstmal ging es darum, zu stabilisieren. Wir haben ja in den vergangenen zwei, drei Jahren einiges vorgelegt. Und wir haben noch das eine oder andere, wo wir jetzt nachbessern müssen. Deshalb überarbeiten wir gerade die Strategie der Technischen Entwicklung und richten sie neu aus. Die TE muss im Unternehmen zeigen, wo vorn ist und wo oben ist. Da müssen und wollen wir wieder hin.
Und wie geht es bei der E-Mobilität weiter?
Wir sind gut unterwegs! Und wir werden weiter ausbauen und noch einmal beschleunigen. Deshalb werden wir den MEB weiterentwickeln und die Plattform nach oben und unten ausbauen. Nehmen Sie den ID. Buzz, der nächstes Jahr anläuft, oder den Small-BEV, den wir 2025 bringen. Spätestens dann werden wir in der Plattform auch auf mehr als 200 kW Ladeleistung kommen, unser Langstrecken-Hero Aero B wird dann 700 Kilometer Reichweite nach WLTP bringen. Und dann haben wir 2026 und es kommt unser nächster Paukenschlag: unser Leuchtturmprojekt, der Trinity.
Gehen Ihnen da nicht bald die Nummer aus? ID.3, ID.4, demnächst ID.5, ID.6 in China, dann Small-BEV, Aero-B, Trinity, ID. Buzz.... Wird es nicht langsam eng?
(lacht) Keine Sorge, das haben wir im Griff. Wir haben die Nomenklatur vor zweieinhalb Jahren wirklich sehr ausführlich diskutiert. Man muss sich das ja eigentlich so vorstellen, dass die Nummern Fahrzeugsegmente ausdrücken. Da reichen dann die Nummern, ohne dass wir zweistellig werden müssen. Wichtig ist, dass wir erst einmal in jedem Segment ein Elektrofahrzeug haben.
Was soll der Trinity denn alles können?
Wir haben uns da wirklich viel vorgenommen. Sicher ist, dass er von Beginn an automatisiert nach Level 2+ fahren kann und immer vorbereitet ist, Level 4 zu ermöglichen. Es ist unser klares Ziel, das bis 2030 verfügbar zu machen. Unsere Herausforderung ist es heute, das Auto schon so zu gestalten, dass der Kunde dann von Level 2+ auf Level 4 upgraden kann, sobald es verfügbar ist und die Regulatorik das erlaubt. Das heißt, die Hardware und die Sensorik, die man dafür braucht, muss in den Autos dann schon drin sein.
Und Level 3 überspringen sie dann ganz?
Es mag da noch einen Zeitraum dazwischen geben, wo Level 3 zum Tragen kommt. Aber der Sprung vom automatisierten zum autonomen fahren findet ja mit der Verantwortungsübergabe vom Fahrer an das Auto statt. Die haben wir schon beim Wechsel zu Level 3. Der Schritt zu Level 4 ist es dann nicht mehr weit.
Und die Funktion lässt sich dann Over-the-air nachbuchen?
So ist es gedacht. Das gibt dann auch die Möglichkeit, das dann stundenweise zur Verfügung zu stellen. Wenn man zum Beispiel eine längere Strecke fährt, kann man das vorher zeitlich befristet freischalten. Das gibt dann auch Menschen Zugang zu dieser Technik, die vielleicht nicht die finanziellen Möglichkeiten haben, sich ein Fahrzeug in der Preisklasse zu kaufen, wo dies inklusive ist. Damit demokratisieren wir das autonome Fahren.
Was würde das kosten?
Wenn man die Kosten für den Einbau der Hardware, die ja ab Werk vorgehalten werden muss, nimmt, die Laufzeit eines Fahrzeugs ansetzt und eine geschätzte Nutzungsdauer der Funktion, dann kommen wir irgendwo bei sieben Euro pro Stunde heraus.
Was Ihnen dann auch eine neue Einnahmequelle erschließt.
Das gehört natürlich auch dazu. Es wird auch für Automobilhersteller künftig nicht mehr so sein, dass wir die Erlöse nur aus dem Verkauf des Autos erzielen. Wir werden auch Erlöse aus der Nutzungsphase generieren. Mit den software-basierten Produkten gibt es nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Notwendigkeit, das Geschäftsmodell der Automobilindustrie neu auszurichten.
Deutschland hat für das autonome Fahren jetzt ja zumindest ein Regelwerk aufgestellt. Hilft Ihnen das? Brauchen Sie nicht eigentlich weltweit einheitliche Standards?
Es ist gut, dass jetzt überhaupt etwas existiert. Nichts ist schlimmer, als ein Vakuum, dann stehen Sie als Entwickler im Nirwana. Wir haben jetzt etwas, mit dem wir arbeiten können. Das hilft uns.
Was machen Sie beim Trinity denn in der Entwicklung anders als bisher?
Das Auto wird von innen nach außen entwickelt. Und das Fahrzeug wird noch einmal deutlich mehr über die Software definiert, deswegen machen wir die Elektronikarchitektur quasi als erstes. Das ist schon ein echter Paradigmenwechsel. Früher hat man gesagt: Höhe, Länge, Breite, wie schnell, was soll das Auto tragen. Und danach überlegte man, wie man das mit Elektronik und Software verbindet. Jetzt ist das genau andersherum. Wir durchdenken erst die Elektronikarchitektur, bevor wir mit der Hardware überhaupt angefangen haben.
Welche Rolle spielt denn künftig die Software im Auto?
Wahrscheinlich die wichtigste. Die Elektro-Mobilität ist das eine, doch in Zukunft werden sich unsere Fahrzeuge immer mehr über die Software definieren. Das wird der nächste Game-Changer. Und unsere neue Strategie Accelerate ist dabei wahrscheinlich der ehrgeizigste Plan, den man sich als Automobilist für das digitale Zeitalter geben kann. Mit vier klaren Kernfeldern: Der Software-Integration, die wir sukzessive zu unserer Kernkompetenz ausbauen. Neue Geschäftsmodelle rund um diese softwarebasierten Produkte. Das autonome Fahren. Und die Elektromobilität, die wir weiter vorantreiben.
Beim ID.3 haben sie beim Thema Software aber nicht wirklich geglänzt. Am Ende mussten Sie ein Bootcamp ansetzen, um den Start des Fahrzeugs zu retten. Wie wollen Sie verhindern, dass sich so etwas wiederholt?
Ja, da gab es Themen, die gelöst werden mussten. Das muss man so offen sagen. Aber wir haben schnell gelernt und schnell Lösungen angeboten. Aus diesen Erfahrungen ist ein umfangreicher Katalog entstanden, den wir jetzt in die Elektronik-Architektur des Trinitiy einbringen. Dadurch haben wir hier einen ganzen anderen Ausgangspunkt.
Die versprochenen Over-the-air-Updates für ID.3 und ID.4 gibt es aber nach wie vor nicht. Wann kommen die?
Wir haben immer gesagt, Mitte des Jahres. Wir bieten jetzt im Juli die ersten Updates in unserem First Mover Club an, kurz danach dann allen Kunden eines ID.3 und ID.4. Wir stellen damit sicher, dass bei den Kunden Updates mit einem hohen Reifegrad ankommen, dass alles reibungslos funktioniert. Denn beim Auto sind tiefgreifende Updates anspruchsvoller als beim Smartphone. Wenn das Smartphone ausfällt, können sie nicht telefonieren oder Nachrichten lesen. Beim Auto müssen wir aber sicherstellen, dass es zu jeder Zeit richtig fährt, lenkt und bremst. Von daher haben wir uns die Zeit genommen, das weiter und weiter zu erproben.
Welche Rolle spielt da noch der Verbrenner? Audi will ja schon ab 2026 nur noch neue E-Modelle bringen und auch Ihr Vertriebsvorstand Klaus Zellmer kündigte jüngst an, dass bei VW der Verbrenner wohl zwischen 2033 und 2035 auslaufen wird, zumindest in Europa.
Die Marke Volkswagen ist ein Global Player. In Europa haben wir die klare Zielsetzung, 70 Prozent rein elektrisch im Jahr 2030, in den USA und China 50 Prozent. Aber wir wissen auch, dass es in Südamerika und Indien wahrscheinlich etwas länger dauern wird. Und 70 Prozent elektrisch in Europa bedeutet ja im Umkehrschluss 30 Prozent Verbrenner. Wir werden daher auch unsere MQB-Verbrennerplattform noch weiterentwickeln und an neue Anforderungen anpassen, nicht nur bei den Emissionen, sondern auch bei Infotainment und Fahrzeugsicherheit. In den nächsten Jahren gibt es da keinen Stopp.
Was fahren Sie den selbst, jetzt wo sie nicht mehr nur für Elektro zuständig sind? Wieder Verbrenner oder weiter elektrisch?
Ich fahre weiter elektrisch. Und zwar aus Überzeugung. Normalerweise würde man bei einem gebürtigen Wolfsburger wie mir, der seit über 30 Jahren bei VW ist, wohl von einem echte Car Guy sprechen. Und das bin ich auch. Ich habe tierisch Spaß an Autos. Und ich habe inzwischen richtig Spaß am Elektrofahrzeug gefunden und bin überzeugter E-Auto-Fahrer.
Thomas Ulbrich spricht auf der "Smart Data Car Data" am 1. September 2021 in der Motorworld in München. Sein Thema: "Software wird zur DNA von Volkswagen – und wie das unsere Arbeitsweise ändert".
Anmelden: www.smartdata-cardata.de
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