Wackersdorf/Landshut/Leipzig. Diese werden auf 15 Kilo schweren Spulen transportiert und im Werk Wackersdorf auf einem sogenannten „Gatter“ mit bis zu 600 Spulen abgewickelt. Zum Start der Serienbelieferung der neuen Modelle i3 und i8 plant das Joint Venture aus SGL und BMW – SGL Automotive Carbon Fibers, kurz ACF – zunächst mit einer jährlichen Kapazität von 3000 Tonnen Fasern. In einem ersten Schritt hat das Gemeinschaftsunternehmen 20 Millionen Euro investiert und dafür zehn große Anlagen auf einer Fläche von 10.000 Quadratmetern in Wackersdorf errichtet. Vor drei Jahren, im Juli 2010, ging die Fabrik an den Start. Hier entstehen Carbonfasergelege, das Ausgangsmaterial für die spätere Herstellung von Bauteilen aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff (CFK) in den BMW-Werken Landshut und Leipzig. In Wackersdorf legen 130 Beschäftigte im Dreischichtbetrieb an fünf Tagen in der Woche die Fäden. Nach dem Anlauf der i-Modelle plant das Joint Venture mit 100 ständigen Mitarbeitern. Die Beschäftigten erstellen ein neuartiges Gelege, das in der Autoindustrie erstmals zum Einsatz kommt. „Ein Gelege ist eine zweidimensionale Struktur, wie eine Stoffbahn“, erklärt Andreas Wüllner, Geschäftsführer des Gemeinschaftsunternehmens. „In Wackersdorf werden Hunderte Carbonfasern nebeneinander und übereinander auf eine definierte Breite gebracht, anschließend auf Glasfäden gelegt und vernäht.“ Die besondere Kunst: Die Fasern werden jeweils in der erforderlichen Menge entlang der späteren Belastungsrichtung angeordnet.
Bislang werden Carbonkomponenten für herkömmliche Fahrzeuge aus Geweben gemacht. Doch zwischen Gelege und Gewebe besteht ein wesentlicher Unterschied. „Das Besondere an Gelegen ist, dass die Carfonfaser nicht gekrümmt wird“, erklärt Wüllner. „Bei Geweben sind beide Fäden, die verwoben werden, aus Carbon. Bei diesem Vorgang wird die Carbonfaser gekrümmt.“ Die Krümmung hat zur Folge, dass sich die mechanischen Eigenschaften der Faser verschlechtern, „was sich später auf das betroffene Fahrzeug auswirkt“. Die fertigen Gelege werden per Lkw ins rund 100 Kilometer entfernte BMW-Werk Landshut gebracht – zur Keimzelle der automobilen Carbonproduktion. „Als Kompetenzzentrum für Leichtbau und Elektromobilität ist das BMW-Werk Landshut von zentraler Bedeutung für die Fertigung von Komponenten aus carbonfaserverstärktem Kunststoff “, sagt BMW-Entwicklungsvorstand Herbert Diess. Hier haben sich die Experten innerhalb von 14 Jahren Verfahrens-Know-how und Werkstoffkompetenz angeeignet. Bereits seit einem Jahrzehnt kommt CFK in Komponenten der BMW M-Modelle zum Einsatz – so besteht beispielsweise das Dach des M3 komplett aus dem leichten Carbon. Ziel von BMW war es, den Fertigungsprozess für die i-Modelle so weiterzuentwickeln und zu automatisieren, dass erstmals eine Großserienfertigung von Komponenten aus Carbon möglich wird, die sich rechnet. 40 Millionen Euro hat der Konzern in das neue CFK-Produktionsgebäude in Landshut investiert, das innerhalb von nur acht Monaten aus dem Boden gestampft wurde. 100 Mitarbeiter sollen in der rund 7000 Quadratmeter großen Fertigungsstätte beschäftigt werden. Im März 2012 startete die Vorserienproduktion. Eines wird dem Besucher des Werks schnell klar: Mit dem herkömmlichen Autobau hat dieser Produktionsort nichts mehr zu tun.In Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern hat BMW komplett neue Anlagen und Produktionsabläufe installiert. Zunächst werden die aus Wackersdorf auf drei Meter breiten Rollen gelieferten Gelege in Empfang genommen. Dann werden diese Rollen auf der sogenannten Stackanlage ausgerollt und übereinandergelegt. Dieser Vorgang erinnert eher an die Abläufe in einer Textil- als in einer Autofabrik. Die Gelege werden in der Stackanlage verschweißt und zugeschnitten und gelangen dann in den „Preform-Prozess“ – das Vorformen im trockenen Zustand. Hier erhalten die noch flachen Gelege eine dreidimensionale Struktur. Anschließend werden mehrere dieser Preform-Rohlinge zu einem größeren Bauteil zusammengefügt. Im nächsten Schritt werden die vorgeformten Teile mit Harz imprägniert. Bei dem „Resin Transfer Moulding“ (RTM) genannten Prozess wird das Harz unter Hochdruck in die Preform-Rohlinge injiziert. Durch die Verbindung der Fasern mit dem Harz und dem anschließenden Aushärten erhält das Material seine Steifigkeit und damit die Eigenschaften, auf die BMW baut: Es ist äußerst stabil, sehr leicht – halb so schwer wie Stahl – und resistent gegen Korrosion. Mittels einer Druckluftstrahlanlage wird die Oberfläche des Carbonteils aufgeraut, damit sie den Kleber später besser aufnehmen kann. Das Stanzen und Fräsen, wie man es aus der herkömmlichen Autofertigung kennt, wird bei der CFK-Produktion von einer Wasserstrahl-Schneidanlage übernommen. Sie schneidet die Endkonturen mit einem sehr feinen Strahl und unter hohem Druck aus. „Die reine Produktionszeit liegt im zweistelligen Minutenbereich“, sagt Johann Wolf, Leiter Einkauf, Produktion und Technologie der CFK-Produktion. Doch die gesamte Durchlaufzeit eines Carbonteils, die auch die Zeit zwischen An- und Abtransport mit einschließt, liege bei durchschnittlich 1,5 Tagen.Landshut soll künftig ein Drittel der Karosseriekomponenten für die i-Modelle aus Carbon bauen. Die anderen zwei Drittel, darunter vor allem die großen Teile, werden bei BMW in Leipzig produziert, um die Transportwege so kurz wie möglich zu halten. Dort findet auch die Endmontage der i-Fahrzeuge statt. Wie viele das jährlich sein werden, gibt BMW noch nicht bekannt. Die Karosserie des i3 benötigt zwei Drittel weniger Bauteile als ein herkömmlicher BMW. Die Durchlaufzeit in der i-Produktion in Leipzig liegt bei 20 und nicht wie bei anderen Modellen bei 35 bis 40 Stunden. Um Zeit zu sparen werden das „Drive-Modul“, das Aluminium-Chassis und das „Life- Modul“, die Fahrgastzelle aus Carbon, parallel auf getrennten Bändern gefertigt. Hohe Kosten für ein Presswerk, eine Lackiererei und Korrosionsschutz entfallen – die neue Fertigungstechnik macht’s möglich: „Wir formen statt zu pressen, wir kleben statt zu schweißen“, erklärt Produktionsvorstand Harald Krüger. Zeit spart auch die Entwicklung eines neuen Klebers – der Aushärteprozess dauert statt bis zu einem Tag nur noch anderthalb Stunden.Bayerische Verknüpfung
Die Carbonfaser geht auf große Fahrt. Ihren Anfang nimmt sie in Moses Lake im US-Staat Washington. Hier, in einem Gemeinschaftswerk von BMW und SGL Carbon, entstehen die Carbonfäden, aus denen später Bauteile für die Elektrofahrzeuge der neuen Marke BMW i gestrickt werden. Von Moses Lake aus geht die vierwöchige Reise erst per Schiff und dann per Lkw ins bayerische Wackersdorf. Dort rollt jede Woche eine Ladung von drei Containern an. In jedem Container lagern rund 20 Tonnen Carbonfasern.