München. Nichts weniger als ein phänomenaler Siegeszug in der Reifenindustrie wurde ihnen vorhergesagt, als die Runflats zu Beginn des Jahrzehnts auf den Markt kamen. BMW brachte sie im Jahr 2000 mit dem Modell Z8 als erster Autobauer in die Serienausstattung. Die Berater von Roland Berger waren von der Technik so begeistert, dass sie den Reifen mit Notlaufeigenschaften für das Jahr 2013 einen Marktanteil von 80 Prozent bei den Pkw vorhergesagt haben. Bei J.D. Power war man noch euphorischer. 80 Prozent Marktanteil weltweit prognostizierten die Experten auch hier, aber schon für das Jahr 2010. Diese Prognosen waren das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt wurden. Die hochgelobten Runflat- Reifen haben sich nicht durchgesetzt, weder in Deutschland noch weltweit. Obwohl von fast allen Reifenherstellern angeboten, sind Runflats auch acht Jahre nach ihrer Einführung eine Randerscheinung, der Unternehmensberater heute keine Chance mehr auf den Durchbruch einräumen. Notch Consulting kommt in einer umfassenden Marktbetrachtung zu dem Ergebnis, dass Runflat- Reifen „eine Nischenspezialität mit kleinem Marktvolumen in der großen Reifenindustrie“ bleiben werden.
Die Begeisterung weicht immer mehr der Ernüchterung. Weltweit brachten es Runflats im Jahr 2006 auf einen Marktanteil von knapp 0,5 Prozent, bei den Personenfahrzeugen waren es 0,7 Prozent. Die Prognosen sehen zwar noch immer ein Wachstum für die Runflats voraus, aber auf sehr niedrigem Niveau: Im Jahr 2010 könnte der Marktanteil weltweit bei einem Prozent liegen, im Jahr 2025 bei etwas mehr als zwei Prozent, so die Reifenexperten von Notch Consulting. Die Argumente, mit denen Kunden von Runflats überzeugt werden sollten, hörten sich für sicherheitsbewusste Autofahrer gut an: Wer sein Fahrzeug mit den neuen Reifen ausrüste, müsse sich wegen einer Reifenpanne nicht mehr aus dem Wagen begeben. Ein Vorteil vor allem dann, wenn die Panne bei finsterer Nacht in abgeschiedener Gegend eintritt und der Regen gerade heftig gegen die Windschutzscheibe prasselt. Ein Auto mit Runflat- Reifen darf auch nach völligem Druckverlust eines Reifens noch 150 Kilometer gefahren werden. Das sollte reichen, um Reifenhändler oder Werkstatt zu erreichen. Der kleine Schönheitsfehler dieser Argumentation: Im Schnitt hat der Autofahrer auf Deutschlands Straßen nach 100.000 bis 150.000 Kilometern eine Reifenpanne, also etwa alle zehn Jahre.
Dass diese dann gerade unter den ungünstigsten Umständen eintritt, ist eher unwahrscheinlich. Der Runflat-Technik bleibt der Durchbruch verwehrt, weil sich die Autobauer nicht zum Einsatz in der Serie durchringen. Doch nur die flächendeckende Erstausrüstung könnte die Zukunft der Notlaufreifen sichern. Außer BMW verzichten bisher aber alle Autobauer auf den Runflat als Serienausstattung. Sie bieten die Reifen mit Notlaufeigenschaften für einzelne Modelle optional an – gegen einen saftigen Aufpreis. Selbst BMW, größter Verfechter der Runflat-Technik, ist bei deren Einsatz nicht konsequent. Zwar seien die Runflats einem BMWSprecher zufolge „ein wichtiger Aspekt für mehr Sicherheit der Kunden“, aber den Fahrern großer Fünfer und Siebener bietet man dieses Sicherheitsplus nicht serienmäßig. Auch für Mini One und Mini Cooper gibt es die Runflats nur gegen Aufpreis. Für die Runflat-Bereifung eines BMW 520i liegt der Aufpreis dem Sprecher zufolge zwischen 510 und 2550 Euro. Das führt zu der kuriosen Situation, dass der Fahrer eines Einser-BMW trotz Plattfuß weiterfahren kann, der Geschäftsmann im Fünfer aber bei Regen zum Wagenheber greifen muss, wenn er keinen Aufpreis zahlen wollte. Den Fahrern eines Fünfer oder Siebener bietet BMW Runflats wohl deshalb nicht serienmäßig an, weil sie wegen der versteiften Flanken weniger komfortabel als herkömmliche Reifen sind. Das bestätigt eine Analyse der Technischen Universität Eindhoven: „Der Fahrkomfort verschlechtert sich tatsächlich, wenn die konventionellen Reifen durch Runflat-Reifen ersetzt werden.“
Doch der hohe Preis und der mangelnde Komfort sind längst nicht die größten Probleme der neuen Technik. Die Montage der versteiften Reifen ist kompliziert und steckt voller Fehlerquellen. Ein Kfz- Sachverständiger überprüfte montierte Reifen auf Schäden. Erschreckendes Ergebnis: Von mehr als 50 untersuchten Runflats waren lediglich drei unbeschädigt. Die Schäden wurden offenbar bei Montage und Demontage verursacht. Das kann dramatische Folgen haben: Ein Runflat ist nach mangelhafter Montage bei 240 Stundenkilometern geplatzt. Wenn die Pneus nicht ordentlich aufgezogen werden, weicht ihr Gewinn an Sicherheit schnell einem erhöhten Risiko.
Um dem Problem Herr zu werden, setzten sich Vertreter der Reifenproduzenten, des Handels und der Autohersteller zusammen und entwarfen eine Montageanleitung für Runflats und UHP-Reifen. 59 Seiten ist sie lang – plus 31 Seiten starkem Anhang. BMW hat wegen der Montageprobleme bereits daran gedacht, die Runflats wieder aus der Serie zu nehmen, sagt Peter Drust vom Bundesverband der Hersteller und Importeure von Automobil- Service-Ausrüstungen (ASA). Bislang aber halten die Bayern an den Runflats fest. Michelin hingegen sieht für Notlaufreifen keine Zukunft. Die Franzosen hatten mit ihrem PAX-System jahrelang versucht, eine Alternative zu Runflats zu bieten. Inzwischen steht fest, dass Michelin PAX nicht länger weiterentwickeln wird. „Die Marktnachfrage reicht nicht aus, um die Kosten dafür zu rechtfertigen“, sagt Philippe Denimal, Entwicklungsdirektor von Michelin.