München. Automessen haben es zunehmend schwer. Potenzielle Käufer betrachten die neuesten Modelle im Internetzeitalter lieber bequem und kostenlos vom heimischen Sofa aus oder auf der Automeile um die Ecke. Aussteller müssen ihr begrenztes Budget auf immer mehr Kanäle und Märkte verteilen, da will der Return on Investment einer teuren Messepräsenz wohlbegründet sein. Und auch die Medien müssen sich in der Flut der Ereignisse diejenigen herauspicken, die die stärksten News und die frischesten Fotos versprechen. Für die AMI in Leipzig bedeutete all dies das Aus. Das Team der Automobilwoche nennt die größten Probleme der Automobilmessen.
Die Messe ist gelesen
Messeauftritte kosten die Autohersteller sechs- bis siebenstellige Beträge. Besonders wenn die Zielgruppe groß ist, treffen die Unternehmen aber nur einen Bruchteil ihrer potenziellen Kunden in den Ausstellungshallen an. Die Streuverluste sind hoch, die Kontakte ungewiss. Neue Investitionen in Marketingaktionen oder Marken-Events haben in die einst üppigen Messe-Budgets tiefe Löcher gerissen. Deshalb beschränkt sich Volvo beispielsweise in Europa mittlerweile auf den Genfer Auto-Salon. Statt auf sämtlichen Messen ein Aussteller unter vielen zu sein, gehen die Schweden mit einer Roadshow auf Tour. Auch Mini wendet sich von den traditionellen Automessen ab. Kein Genf, kein Paris – dafür unter anderem Brüssel, Neu-Delhi und Bangkok. Hinzu kommen neue Event-Formate, die Kontakte zu den begehrten Neukunden versprechen. So zeigte sich Mini zuletzt auf der Pitti Uomo – einer Herrenmodenmesse in Florenz. Trend: Die Hersteller kommen zur Zielgruppe.
Wer im Internetzeitalter ein neues Auto in Augenschein nehmen will, muss dafür heute weder eine Messehalle noch ein Autohaus aufsuchen. Viele Konsumenten erkunden neue Produkte bequem am heimischen PC oder Tablet. Auf dem Mobile World Congress in Barcelona präsentierte Fiat jüngst eine Augmented-Reality-Anwendung fürs Tablet, die virtuelle Dinge in eine reale Umgebung projiziert. Man kann sich dann zum Beispiel ansehen, wie das neue Auto in der heimischen Garage aussehen würde. Autohäuser können sich vorerst noch darauf verlassen, dass der Kundenkontakt bei der Probefahrt oder beim Abholen oder Anliefern des neuen Fahrzeugs bestehen bleibt. Diese Kundenbindungsgarantie aber fehlt bei Messen. Trend: Das Internet ist Anlaufstelle Nummer eins.
Neue Automodelle bestechen heute immer weniger durch Power unter der Motorhaube, sondern vermehrt durch integrierte WLAN-Hotspots, Konnektivität und Unterhaltungsprogramme. Hersteller konzipieren neue Geschäftsmodelle rund um das Auto, das sich zum mobilen Endgerät wandelt. Diese Entwicklung verläuft rasant, ist spannend und wartet mit neuen Playern auf. Deshalb macht der wachsende Zustrom der attraktiven Technikmessen selbst den europäischen Platzhirschen IAA und Mondial de l'Automobile in Paris das Leben schwer. So ist die Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas in den vergangenen Jahren zu der bestimmenden Technikmesse auch für Autobauer geworden. Neben der CES sind auch der Mobile World Congress in Barcelona und die Internationale Funkausstellung in Berlin auf dem Vormarsch. Wenn die Autobauer ihr Messejahr planen, tragen sie daher immer häufiger Las Vegas und Barcelona in den Kalender ein, Regionalmessen haben das Nachsehen. Vor einigen Tagen erst präsentierte Ford-Chef Mark Fields in Barcelona die dritte Generation des Infotainmentsystems Sync und brachte zudem den rundum überarbeiteten Ford Kuga mit. So etwas hatte es neben Smartphones und Tablets, die in Barcelona präsentiert werden, noch nie gegeben. Fields formulierte es folgendermaßen: "Wenn wir in die Zukunft schauen, ist klar, dass wir am Scheitelpunkt einer Revolution der Mobilität stehen." Trend: Die Autobranche sucht die Nähe zur IT-Industrie.
Wer in der Heilbronner Straße im Stuttgarter Norden nicht sein Traumauto findet, der fährt wohl besser Fahrrad. Dort entsteht derzeit eine der größten Automeilen Deutschlands. Mercedes ist schon lange da, in den vergangenen Jahren investierten aber auch Toyota, Peugeot und Audi zig Millionen Euro in repräsentative Autohäuser entlang der sechsspurigen Straße.
Auch der Volkswagen-Konzern plant den Bau von zwei Autohäusern für die Marken VW und Seat. Im Herbst nächsten Jahres soll eröffnet werden. Porsche hat sich ebenfalls ein Filetstück gesichert. Und Renault-Händler Klaus von der Weppen will seinen Hauptsitz an die Heilbronner Straße verlagern.
Die Mutter der deutschen Automeilen findet sich in Düsseldorf. Die Automeile Höherweg wurde schon ab 2003 errichtet. Auf einem großen Gelände sind mehr als zehn Automarken und ein Motorradfabrikat versammelt. Dienstleister wie Autovermieter oder Dekra haben sich ebenfalls angesiedelt. Trend: Die permanente Messe vor der Haustür ersetzt IAA & Co.
Auf dem Weg zu immer bombastischeren Shows halten manche Hersteller inzwischen inne und stellen alte Messegewohnheiten infrage: "Für mich gehört zum ‚neuen‘ Volkswagen-Konzern auch, dass wir unser Auftreten hinterfragen, etwa bei Veranstaltungen oder großen Messen", mahnte etwa der VW-Vorstandsvorsitzende Matthias Müller vor seinen Führungskräften. "Das werden wir neu justieren." Trend: Bombast ist out, Nachhaltigkeit ist in.
Das Internet hat auch die Spielregeln im Nachrichtengeschäft massiv verändert. Oftmals ist Realtime-Journalismus statt Reflexion in der Schreibstube angesagt. Die Schwelle, ab der ein Ereignis von Lesern oder Autokäufern wahrgenommen wird, ist gestiegen: Wer jederzeit sämtliche Neuheiten der Autowelt frei Haus serviert bekommt, langweilt sich, wenn sie Wochen später auf einer Messe präsentiert werden. Trend: Ohne Top-News keine Schlagzeilen.