„Ein Volkswagen für alle Lebenslagen“

Herr Winterkorn, auf dem Pariser Salon stellt VW den neuen Passat der Öffentlichkeit vor. Welche Bedeutung hat dieses Modell für die Marke Volkswagen?

Der Passat ist eine der wichtigsten Baureihen im gesamten Konzern. Allein im vergangenen Jahr haben wir weltweit 1,1 Millionen Einheiten verkauft. Seit seinem Debüt vor 41 Jahren ist der Passat neben dem Polo und dem Golf somit eine echte Erfolgsgeschichte für die Marke Volkswagen – besonders in China, in Europa und natürlich in unserem Heimatmarkt Deutschland. Unser Passat ist dabei gleichermaßen ein Auto für Familien und Geschäftskunden. Ich bin überzeugt: Daran kann und wird die achte Generation anknüpfen.

Auf den ersten Blick ist das neue Auto ein konventionelles Fahrzeug geworden, das Design orientiert sich stark am Vorgänger. Welche Fortschritte hat der neue Passat technologisch gemacht?

Dann sollten Sie sich den neuen Passat einmal genau ansehen. Bei diesem Auto haben wir nicht nur technisch, sondern auch gestalterisch einen Riesenschritt nach vorn gemacht. Ich gehe so weit, zu sagen, mit diesem Passat beginnt eine neue Ära in der Mittelklasse: in Sachen Design und Proportionen, bei den Motoren und Antrieben, bei Infotainment und Assistenzsystemen, bei Sicherheit, Komfort und Fahrspaß. Der neue Passat setzt in der Mittelklasse in vielfacher Hinsicht erneut Maßstäbe. Die ersten Reaktionen zeigen, dass unsere Kunden das genauso sehen. Wir haben zum Beispiel die Vorderachse weiter nach vorn verlagert und den Radstand vergrößert – ohne das Auto dabei zu verlängern. Durch die verbesserten Proportionen strahlt der neue Passat deutlich mehr Dynamik aus. Unter Beibehaltung aller funktionalen Tugenden hat das Auto so merklich an Charisma, Exklusivität und Dynamik gewonnen.

Und was ist mit der Technik?

Dank innovativem Leichtbau ist der neue Passat um bis zu 85 Kilogramm leichter als der Vorgänger. Das sind im Automobilbau Welten. Alle Motoren sind neu im Programm und begnügen sich mit bis zu 20 Prozent weniger Kraftstoff. Und erstmals wird es den Passat mit einem wegweisenden Plug-in- Hybridantrieb geben. Hinzu kommen neue Assistenz-, Infotainment- und Komfortsysteme. Dazu gehören das Active Info Display, ein komplett digitales Kombiinstrument, ein ausfahrbares Headup- Display, ein neues Rear-Seat- Entertainment für Tablet-Computer, der Front Assist plus City-Notbremsfunktion mit Fußgängererkennung, der Emergency Assist, ein automatischer Fahrzeugstopp im Notfall, der Trailer Assist, der beim Rangieren mit Anhänger hilft, und ein ebenfalls neuer Stauassistent. Zudem bieten wir nun auch eine elektromechanische Progressivlenkung im Passat. Ich könnte die Liste noch weiter fortsetzen. Sie sehen: Der Passat gibt Antworten auf die großen automobilen Trends unserer Zeit: Verbrauchsreduzierung, Infotainment und Connectivity, Sicherheit und Fahrspaß.

Kommt eine rein elektrisch angetriebene Passat-Version?

Wenn es die Kunden wünschen, könnten wir den neuen Passat wie den Golf aus dem Baukasten heraus auch mit reinem Elektroantrieb auf die Straße bringen. Diese Möglichkeit haben wir bei der Entwicklung von Anfang an mit eingeplant. Eine rein elektrische Variante ist aber erst mal nicht vorgesehen. Wir sind überzeugt, der Plugin- Hybrid bietet alles, was die Kunden wünschen: 50 Kilometer rein elektrisch in der Stadt und die volle Flexibilität dank sparsamem Benzinmotor für die Langstrecke.

Wollen Sie mit dem Fahrzeug neue Kundengruppen erschließen?

Der neue Passat hat viel Eroberungspotenzial. Er ist noch wertiger, präziser, komfortabler, innovativer und effizienter als der Vorgänger. Der Passat ist ein Volkswagen für alle Lebenslagen und die unterschiedlichsten Kundengruppen. Um es auf den Punkt zu bringen: Dieser Passat bietet größere Kundenvorteile denn je.

Ihr Entwicklungschef betont, der neue Passat sei eine halbe Klasse oberhalb des Vorgängers positioniert. Kommt er damit nicht dem Audi A4 zu nahe?

Der neue Passat ist wieder durch und durch ein echter Volkswagen geworden. Weil er – typisch Volkswagen – Technologien und Features in die Mittelklasse bringt, die sonst nur in höheren Klassen zu finden sind. Unser Anspruch war: mehr Auto, mehr Passat denn je – und zwar fürs gleiche Geld. Generell gilt im Volkswagen- Konzern: Jedes neue Modell macht in seiner Evolution einen Schritt nach oben. Das erwarten die Kunden, das gilt für jede Marke – und damit auch für den Audi A4. Es gibt wohl keinen zweiten Automobilkonzern, der die Modelle seiner Marken so eigenständig am Markt positioniert. Auch insofern sehen wir uns gut aufgestellt.

Die klassischen Mittelklasseautos stehen seit Jahren zunehmend unter Druck. Kunden weichen auf SUV- und Crossover-Modelle aus. Kann der neue Passat den Trend stoppen?

Neue Trends und Segmentverschiebungen sind in unserem Geschäft ganz normal. Wichtig ist, flexibel auf diese Veränderungen zu reagieren. Mit unserer Baukastenstrategie sind wir dazu mehr denn je in der Lage: Wir bauen exakt die Autos, die unsere Kunden wollen und die ihnen gefallen – und das mit Erfolg. Diese Tradition wird der neue Passat als Limousine und Variant fortsetzen. Und wer ein SUV, einen City-Flitzer oder einen Van bevorzugt, wird bei Volkswagen ebenfalls fündig.

Planen Sie beim Passat neben Kombi, Limousine und CC zusätzliche Karosserieformen?

Aus heutiger Sicht nicht. Aber wir beobachten selbstverständlich die Bedürfnisse der Kunden überall auf der Welt sehr genau. Für China zum Beispiel, den wichtigsten Einzelmarkt für die Passat-Baureihe, wird es wieder eine Version mit verlängertem Radstand geben.

Neben China ist Nordamerika ein bedeutender Markt für den Passat. Wann stellen Sie den US-Passat, der im amerikanischen Chattanoogagebaut wird, auf den Modularen Querbaukasten um?

Zunächst einmal arbeiten wir intensiv daran, den aktuellen US-Passat attraktiv und frisch zu halten. 2016 wird in unserem Werk in Chattanooga das neue Midsize- SUV auf Basis des MQB anlaufen. Ein ganz neuer US-Passat wird dann zu gegebener Zeit folgen.

Ist denn ein so komplexes Produkt wie der neue Passat mit Einzelradaufhängung und vielen Hightech- Features das richtige Auto für die USA? Dort schätzen viele Kunden einfachere – und somit auch deutlich billigere – Fahrzeuge.

Sie haben recht, der amerikanische Markt hat seine ganz eigenen Gesetze. Die Autofahrer dort wollen dem Nachbarn beispielsweise regelmäßig zeigen: „Ich habe ein neues Auto.“ Entsprechend wollen US-Kunden regelmäßig Produktneuheiten sehen. Das wird sicher ein wichtiger Punkt auch für unser kommendes Midsize-SUV. Sie können sicher sein, dass wir dies auch bei der Einführung des neuen Passat in den USA entsprechend berücksichtigen. Generell wird Volkswagen in den USA künftig schneller auf Markt- und Kundenwünsche reagieren. Auch deshalb bauen wir in Chattanooga ein neues, großes Entwicklungsteam speziell für Amerika auf.

Die Volkswagen-Händler in den USA hätten am liebsten jedes Jahr ein neues Auto im Showroom.

Es geht ja nicht um ein komplett neues Auto pro Jahr, es geht vielmehr um die intelligente und erfolgreiche Modellpflege. Das wissen auch unsere Händler. Und darauf stellen wir uns gemeinsam ein.

Mit dem Einsatz des MQB und vielen Gleichteilen wächst das Risiko, dass ein technisches Problem zu einem riesigen Rückruf führt. Wie will Volkswagen dies verhindern?

Sie kennen uns: Qualität hat bei Volkswagen und bei mir ganz persönlich einen besonderen Stellenwert. Das A und O ist es, die Mannschaft immer wieder auf Qualität einzuschwören. Und das tun wir. Die wichtigsten Qualitätsprüfer sind dabei unsere Facharbeiter in der Fabrik. Sie haben sämtliche Bauteile Tag für Tag zigfach in der Hand. Diese Mitarbeiter sehen sofort, wenn sich ein mögliches Problem abzeichnet. Und wir ermutigen sie, sofort Alarm zu schlagen und Fehler schnellstmöglich zu benennen. Nur so kann man agieren. Wenn man ein so hohes Qualitätsbewusstsein im Unternehmen verankert hat und lebt, ist der MQB mit seinen qualitativ hochwertigen Gleichteilen keine Gefahr, sondern ein echter Wettbewerbsvorteil.

Bessere Qualität muss also nicht unbedingt mehr Geld kosten?

Nicht zwangsläufig. Es geht vor allem um eine hohe Sensibilität und clevere Ideen der Mitarbeiter. Top- Qualität gelingt dann, wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen und jeden Tag auf dieses Ziel hinarbeiten. Das ist ein fortlaufender Prozess. Aber natürlich investieren wir auch in neue und noch effektivere Maßnahmen und Systeme zur Qualitätssicherung.

VW bekennt sich „ohne Wenn und Aber“ zum 95-Gramm-Ziel bei den CO2-Emissionen. Sind darüber hinaus weitere Reduzierungen möglich – zu wirtschaftlich vertretbaren Kosten?

Wir waren der erste Automobilkonzern, der sich offensiv zum 95-Gramm-Ziel bis 2020 bekannt hat. Dafür gehen wir mit Milliarden- Investitionen in Vorleistung. Wir arbeiten nicht nur parallel an alternativen Antriebsvarianten wie Plug-in-Hybrid, E-Antrieb, Brennstoffzelle oder Erdgas-Aggregaten. Wir trimmen auch die traditionellen Benzin- und Dieselmotoren auf noch mehr Effizienz. Aus einst zwei Antriebsarten sind also sechs geworden. Mit Blick auf die aktuelle Diskussion über neue, noch ehrgeizigere Grenzwerte sage ich allerdings auch: Am Ende entscheiden nicht Unternehmen oder Politik über den Erfolg einer neuen Technologie, sondern einzig und allein der Kunde. In zwei bis drei Jahren sehen wir in Sachen Elektromobilität bereits klarer. Und dann kann man auch die Grenzwerte fürs nächste Jahrzehnt sinnvoll festlegen. Das ist im Sinne der Umwelt, und das ist auch im Sinne des Industriestandorts.

Wie viele elektrifizierte Passat wird VW verkaufen müssen, damit das Auto von seinem Anteil am Portfolio her zum Erreichen des 95-Gramm-Ziels beiträgt?

Das ist Kaffeesatzleserei. Fakt ist, dass wir mit ganzer Kraft daran arbeiten, dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen. Dazu wird auch der neue Passat seinen Beitrag leisten.

Dafür müssen viele Komponenten noch erheblich günstiger werden.

Das stimmt. Ich glaube aber, dass wir das schaffen werden. So streben wir etwa an, dass die Kilowattstunde Batterie in Zukunft nur noch rund 100 Euro kosten darf. Ich denke auch, dass mittlerweile alle verstanden haben, dass der Plug-in- Hybrid die beste Lösung ist. Rund

50 Kilometer rein elektrische Reichweite und dennoch volle Flexibilität für lange Strecken, das ist der richtige Ansatz.

Müssen Elektrofahrzeuge vom Staat gefördert werden, um das erhoffte Volumen zu erreichen?

Eine direkte staatliche Förderung für diese Autos wird es in Deutschland vermutlich nicht geben. Es gibt andere Anreize, die ich für zielführender halte, etwa Steuervorteile oder Privilegien im Stadtverkehr wie die Freigabe von Busspuren oder die Ausweitung exklusiver Parkplätze für E-Autos.

Der neue Passat macht unter anderem beim Infotainment einen großen Schritt nach vorn. Wird Konnektivität im Auto weiter rasant an Bedeutung gewinnen?

Modernste Informationstechnologien sind schon heute in den Fahrzeugen extrem wichtig. Computer, Smartphone und das Auto wachsen immer enger zusammen. Das ist neben den alternativen Antrieben der zweite große Trend in unserer Branche. Aber auch hier gilt: Innovative Lösungen müssen in jeder Hinsicht technisch ausgereift sein.

Worauf spielen Sie damit an?

Ich sage es Ihnen ganz offen: Vom digitalen Kombiinstrument im neuen Passat war ich zunächst nicht überzeugt. Wir arbeiten seit Langem daran, aber bei den frühen Ausführungen wurde die Qualität herkömmlicher Anzeigen nicht annähernd erreicht. Doch in den letzten Jahren hat sich die Entwicklungsgeschwindigkeit, die Farbechtheit, die Klarheit der Wiedergabe dramatisch verbessert. Mittlerweile stehen die neuen Anzeigen den analogen Instrumenten in nichts mehr nach. Das ist eine faszinierende Entwicklung.

Zumal diese Technologie Möglichkeiten eröffnet, die etwa ein iPhone längst bietet.

Richtig. Und wir müssen in der Autoindustrie ja permanent weiterdenken. Wieso brauchen wir Drehschalter für Licht oder Heizung im Pkw? Das kann man alles digital machen. Und die junge Generation, die mit Smartphones aufwächst, erwartet genau das auch im Automobil. Überdies gibt es Kostenvorteile, wenn man keine Mechanik mehr verbauen muss.

Was halten Sie von den Plänen des IT-Konzerns Google, ein autonom fahrendes Auto zu bauen?

Von autonom fahrenden Autos halte ich sehr viel. Wir arbeiten ja auch bereits seit vielen Jahren an dieser Technologie. Wir verfolgen dabei eine klare Philosophie: Bei uns wird der Fahrer immer die letzte Entscheidungshoheit behalten. Im Gegenzug wollen wir ihn dort entlasten, wo der Fahrspaß an Grenzen stößt. Etwa im Stau auf der Autobahn, im Stop-and-go-Verkehr in der City oder bei der zeitraubenden Parkplatzsuche. Diese Dinge werden kommen. Ich bin aber überzeugt: Einfach rein ins Auto, nur einen Knopf drücken und sagen „Bitte zum nächsten Supermarkt, mitten durch die Innenstadt“, und sich dann automatisch chauffieren lassen – das wird so schnell nicht gehen.

Google glaubt, dass all dies schon sehr bald möglich sein wird.

Das mag ja sein, aber über welche Fahrgeschwindigkeit würden wir denn dabei sprechen?

Über Stadtverkehrstempo.

Eben. Was die Software-Experten oft unterschätzen, ist die Hardware. Autos sind bei schnellerer Fahrt mit enormer kinetischer Energie unterwegs. Ein Beispiel: Um einen Golf zügig zu stoppen, der 100 km/h fährt, erfordert es leistungsfähige Bremsen. Und die müssen bei jeder Witterung verlässlich funktionieren. Das kann ich nicht allein mit Software darstellen, dafür braucht es jahrelange Erfahrung im Automobilbau.

2014 ist das Jahr der Leuchtturmprojekte: BMW hat nach dem i3 den i8 gebracht, Tesla kündigt ein neues Modell an, Toyota sorgt mit Neuigkeiten zur Brennstoffzelle für Aufsehen. Gerät VW in der öffentlichen Wahrnehmung technologisch ins Hintertreffen?

Definitiv nicht. Das unterstreichen übrigens auch alle einschlägigen Branchen-Rankings zur Innovationskraft. Der Volkswagen-Konzern bietet zum Beispiel in Sachen E-Mobilität bereits heute sechs rundum überzeugende, ausgereifte und alltagstaugliche Modelle. Damit sind wir Marktführer. Wir setzen dabei bewusst auf Autos, die seit vielen Jahren überaus erfolgreich im Markt sind, und statten diese mit E-Antrieb aus – etwa den Golf, Up oder Audi A3. Damit geben wir den Kunden Orientierung und Sicherheit. Und übrigens, wenn wir über die öffentliche Wahrnehmung sprechen: Der Volkswagen E-Golf ist bislang aus allen wichtigen Vergleichstests renommierter Fachmedien als Sieger hervorgegangen. Ich meine, das spricht für sich.

Gilt BMW mit dem Stromer i3 in der breiten Öffentlichkeit nicht dennoch als innovativer?

Der Marketingeffekt beim i3 mag groß sein. Wir setzen auf millionenfach bewährte Serientechnik.