2019 war seit langem das beste Jahr für Lotus. Die knapp 1700 produzierten Fahrzeuge spielten jedoch im weltweit schrumpfenden Sportwagenmarkt bestenfalls eine Statistenrolle - im Schnitt verkaufte jeder Händler nur alle zwei Monate ein Auto. Der Anfang vom Ende? Mitnichten. Am Stammsitz im englischen Hethel legen Arbeiter dieser Tage letzte Hand an eine neue, hochmoderne Fertigungsstätte. Die Feuertaufe des 100 Millionen Pfund-Projekts ist für den nächsten Sommer in Form des T130 geplant, der als Mittelmotorcoupé mit Hybridantrieb und Toyota-V6 in die Spuren des unvergessenen Esprit treten soll. Als zweites Modell ist für Ende 2022 die Reinkarnation der inzwischen 24 Jahre alten Elise eingeplant, die als teilweise baugleiche kleine Schwester des Esprit mit einem hybridisierten 2.0 Liter-Vierzylinder vorlieb nehmen muss. Im 40 Stunden-Zweischichtbetrieb kann das mit einer vollautomatisierten Lackierung ausgerüstete, 15.000 Quadratmeter große Werk jährlich maximal 5000 Sportwagen herstellen. Kunden dürfen im Rahmen einer Experience Tour miterleben, wie ihr künftiges Auto die Monsun-Prüfung (Dichtigkeit) besteht ehe es sich auf der hauseigenen Teststrecke dem großen Funktionscheck unterziehen muss. Angeschlossen an die moderne Fabrik sind das neue Heritage Center und die Boutique-Fertigung des vollelektrischen, 2000 PS starken und 1,9 Millionen teuren Evija Hypercar, von dem nur 130 Stück in Handarbeit entstehen.
Sportwagenhersteller:
Lotus auf der Überholspur
Die Expansion in England ist freilich nur der Auftakt eines beispiellosen Wachstumsplans, den Geely (seit 2017 Besitzer von Lotus - und von Benelli sowie der London Electric Vehicle Company) dem 1948 von Colin Chapman gegründeten Unternehmen verordnet hat. Die neue zweite Heimat der Marke, die von den Chinesen im Verbund mit Volvo, Polestar und Lynk geführt wird, ist Wuhan in der Provinz Hubei. Dort wird mit einem Investitionswand von 1,1 Milliarden Euro eine neue Mega-Montagestätte hochgezogen, die Ende 2021 fertiggestellt werden soll und schon im ersten Bauabschnitt für eine Jahreskapazität von 150.000 Einheiten ausgelegt ist. Die Aufteilung des Volumens auf die einzelnen Marken ist noch nicht in Stein gemeißelt. Fest steht jedoch, dass Lotus die Anlage mit seinen drei komplett neu konstruierten Elektrofahrzeugen mindestens zur Hälfte auslasten wird. Das zweite Standbein neben den Sportwagen liest sich portfolio-technisch wie eine Blaupause des Porsche-Produktfahrplans:
- Lotus E-SUV (Projekt Lambda), AWD Crossover im Cayenne-Format, Basis SEA, SOP MY 2023
- Lotus D-SUV (Projekt Gamma), AWD Crossover im Macan-Format, Basis SEA, SOP MY 2025
- Lotus E-sedan (Projekt Alpha), AWD Sports Tourer im Panamera-Format, Basis SEA, SOP MY2024
Das Lastenheft sieht einheitlich zwei Motoren und zwei Batteriegrößen vor. Schon die günstigere Variante steht mit kolportierten 575 PS und 750 Nm ausgesprochen gut im Futter. Der SE-Version werden sogar 700 PS und 1000 PS nachgesagt, wobei die Kraft über eine sequentielle Zweigang-Automatik an alle vier Räder verteilt wird. Die von Geely markenübergreifend eingesetzte SEA-Matrix steht für Sustainable Experience Architecture, frei übersetzt für Nachhaltigkeit, Innovation und Modularität. Software, Akkus, Assistenzsysteme und die Befähigung zum autonomen Fahren werden übrigens allesamt in China auf den Weg gebracht. Die stringente Skalierbarkeit betrifft Abmessungen, Packageing, Batteriegröße, Antriebsform (Front/Heck/Allrad) und Motorisierung (eine bis drei E-Maschinen). Sogar den Einbauraum für eine Brennstoffzelle und für kompakte, als Range Extender prädestinierte Verbrenner haben die Konstrukteure bereits im Vorfeld berücksichtigt.
Lotus will jedoch noch einen Schritt weitergehen und im Teamwork mit der verlängerten Geely-Werkbank GATD bei Frankfurt die Plattform und den Antriebstrang nachschärfen. Anders als bei den günstigeren Modellen sitzen die mittig montierten Motoren des Lotus-Trios nämlich nicht innerhalb, sondern leicht außerhalb der gedachten Verbindung zwischen den Vorder- und Hinterrädern. Das schafft rund 300 Millimeter mehr Platz für das Skateboard mit entsprechend größeren Akkus, optimiert die Gewichtsverteilung und garantiert noch überlegenere Platzverhältnisse im Innenraum. Analog zum ID-Bausatz von VW will auch Geely später seine SEA-Hardware Dritten zugänglich machen. Auf den ersten Blick mag sich SEA nicht dramatisch von alternativen Ansätzen wie Mercedes MMA oder BMW FAAR/CLAR unterscheiden, doch der Chairman Li Shufu sieht die Stärke seines Konzepts im bezahlbaren Premium-Anspruch: “Ein Stück Kohlefaser ist für sich betrachtet keine Revolution, aber wenn man es mit Hingabe poliert, wird vielleicht ein Diamant daraus.” Keine Frage - der umtriebige Chinese, der 2019 beinahe Jaguar gekauft hätte und eine noch engere Verflechtung mit Daimler anstrebt, hat sein Lebensziel noch lange nicht erreicht.
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