Es ist eines dieser Gespräche, das es nie gegeben hat und das man doch nur zu gerne erlebt hätte: Carl Friedrich Benz, der deutsche Erfinder des Automobils, unterhält sich mit Tesla-Chef Elon Musk. Worüber beide wohl geredet hätten? Bei einem wären sich der Urvater des Autos und der heutige Innovationstreiber einig gewesen: Die Branche verändert sich durch neue Akteure im weltweiten Markt aktuell so stark wie noch nie seit der Zulassung von Benz' erstem patentierten Motorwagen 1886.
Vor allem Tesla hat die Branche wachgerüttelt. Der Analyst und Volkswagen-Kenner Frank Schwope von der NordLB sagt: "In den kommenden drei Jahren ist im Bereich der Elektromobilität Tesla sicher der größte Herausforderer von Volkswagen. Auch bedingt durch das neue Werk in Grünheide, das aktuell seinen Hochlauf hat." Andere neue Player auf dem automobilen Markt folgen Teslas Weg. Gleich sechs chinesische Autohersteller haben sich für 2022 die gewaltigen Druckgussmaschinen des chinesisch-italienischen Herstellers Idra gesichert, die auch Tesla verwendet. Sie wollen Autos nach dem Vorbild der Amerikaner bauen und so in Europa Marktanteile gewinnen. War in der ersten Ausgabe der Automobilwoche im Januar 2001 von großen chinesischen Autobauern noch nicht im Ansatz die Rede, sind heute Nio, BYD oder Great Wall Motors längst auf dem Weg, ernst zu nehmende Rivalen von Volkswagen oder BMW zu werden.
Jochen Siebert, Analyst der aufChina spezialisierten Beratungsfirma JSC Automotive, sagte der Automobilwoche: "Bei uns in Deutschland wird alles überprüft und dann noch mal überprüft. Die Devise lautet: Langsam, aber dafür sicher. Das ist ein Weg, der bei chinesischen Autobauern so gar keine Rolle spielt. Sie verfolgen einen ganz anderen Ansatz als traditionelle Hersteller."
Nio mit CEO William Li entwickelt sich rasant. Der studierte Soziologe stellt nach eigenen Worten die Perspektive des Menschen in den Vordergrund. Erklärtes Ziel von Nio war es bei der Gründung 2014, den Menschen den blauen Himmel zurückzubringen – also den durch Verkehr verursachten Smog in Chinas Großstädten verschwinden zu lassen. Klingt hochtrabend. China-Kenner Siebert sagt allerdings: "Nio gilt immer als chinesisches Tesla, aber diesen Vergleich sollte man nicht ziehen. Nio hat nicht die innovativen Produktionskonzepte von Tesla und ist bei der Software auch nicht soweit voraus. Da darf man sich nicht blenden lassen, Nio ist in diesem Bereich eher ein konventioneller Hersteller."
Gefährlicher für europäische OEMs könnte die seit 2016 bestehende chinesisch-schwedische Zusammenarbeit von Geely und Volvo sein. Da sind zum einen diebereits im Markt erfolgreichenPerformance-Stromer von Polestar, und zum anderen der neue Anbieter Lynk&Co, der auf ein Club-Vertriebsmodell setzt. Analyst Siebert: "Die Fahrzeuge entstehen nach dem gleichen Muster wie in der Zusammenarbeit von Volvo und Geely bei Polestar. Essind Autos, die schon jetzt demeuropäischen Standard entsprechen. Lynk&Co sind günstigere Volvos, vielleicht vergleichbar mit der Marke Škoda innerhalb des VW-Konzerns."
Und auch aus Teslas Mutterland USA drängen neue Player auf den Markt. Lucid wirbt mit seiner Luxus-Elektrolimousine Air, die mehr als 1000 PS und eine Reichweite von 1000 Kilometern mitbringen soll. Kopf des Unternehmens ist der Brite Peter Rawlinson, der bei Tesla lernte und sein Know-how mit zu Lucid nahm. Noch in diesem Jahr will der Hersteller auch in Deutschland ausliefern. Die enorme Reichweite schafft der Air übrigens laut CEO Rawlinson nicht einfach durch größere Batterien: "Ihr könntet die schlechteste Batterie einbauen, und er würde trotzdem eine höhere Reichweite haben als andere, weil das Auto so effizient ist." Damit greift Lucid ein Feld an, in dem eigentlich deutsche Hersteller traditionell die Spitzenplätze beanspruchen. Die strebt auch Rivian – ebenfalls aus den USA – mit innovativen, elektrischen Pick-ups an, die ab diesem Jahr hierzulande zu haben sind.
Spätestens seit der CES Anfang Januar in Las Vegas sind auch die großen Tech-Konzerne in der Automobilindustrie angekommen. Apples iPhone-Fertiger Foxconn aus Taiwan kaufte im vergangenen November die Fabrik des E-Pick-up-Herstellers Lordstown. Die selbst entwickelten Fahrzeugentwürfe von Foxconn sollen 2023 in den Verkauf gehen.
Auch bei Apple selbst träumt man vom eigenen Auto. 2025 könnte das "iCar" komplett selbstfahrend auf den Markt kommen. Das wurde zumindest zuletzt spekuliert. Spannend ist aber: Das Unternehmen verpflichtete im vergangenen Jahr den ehemaligen BMW-Ingenieur Ulrich Kranz, der in München die Entwicklung des i3 und des i8 verantwortete.
Expertise aus Deutschland ist also weiter so wichtig wie vor 20 Jahren. Analyst Siebert rät deswegen von Panik ab: "Bis die chinesischen Hersteller auf dem deutschen Markt signifikante Marktanteile erzielen können, wird es noch eine Weile dauern. Deutschland und Frankreich sind für Hersteller die beiden härtesten Märkte in Europa, weil die heimischen Hersteller diesen Markt vehement verteidigen werden. Und unsere Hersteller in Deutschland haben ja trotz neuer Wettbewerber nicht plötzlich alles verlernt." Und doch ist die Branche in 20 Jahren eine andere geworden.
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