Vom Händler zum „Connected Dealer“

Die Digitalisierung stellt nicht nur Autohersteller vor große Herausforderungen, sie bewirkt auch einen erheblichen Umbruch im Vertrieb. Laut einer Studie der Managementberatung Bain & Company sucht bereits jetzt fast die Hälfte aller Autokaufwilligen online nach dem nächsten Neuwagen. Zudem treffen zwei Drittel der Kunden grundsätzliche Entscheidungen über Marke, Modell und Preisrahmen, noch bevor sie einen Händler aufsuchen.

Die Folge: Der Händler tritt beim Autokauf zunehmend in den Hintergrund. Er wird erst dann aktiv, wenn es um Testfahrt, Endkonfiguration oder die Bestellung geht. „Autohersteller und Händler müssen sich auf die veränderten Erwartungen und Bedürfnisse der Digital Natives einstellen, denn diese werden für den breiten Automarkt immer wichtiger“, sagt Klaus Stricker, Co-Autor der Studie von Bain & Company. Zwar werden derzeit nur zwei Prozent aller Neuwagenkäufe ohne jeden Kontakt zum Händler komplett übers Internet abgewickelt. Allerdings kann der Anteil laut Prognosen in den nächsten Jahren auf mehr als 25 Prozent steigen.

Längst haben Berater daher auch das Thema Digitalisierung in Handel und Vertrieb für sich entdeckt. Jede größere Beratung sieht das alsihre Expertise an. Die großen Consulting-Firmen haben daher sogenannte Digital Labs als interne Denkfabriken etabliert, in denen strategische und technologische Kompetenzen sinnvoll gebündelt und neue digitale Strategien – eben auch für den Automobilvertrieb – entwickelt werden. Zudem gibt es Beratungsunternehmen, die sich auf das Thema Vertrieb spezialisiert haben, etwa Sales Group-International.

Alles mündet stets in der Frage: Wie wird der Autovertrieb in der Zukunft aussehen? Eine mögliche Antwort lieferte Berylls in Form des „Lifestyle-Konfigurators“ für Daimler. Mit dieser App können Kunden durch wenige Klicks und mit einem intelligenten Algorithmus im Hintergrund ihren Wunsch-Mercedes konfigurieren. Abgefragt werden aber eben nicht die typischen Merkmale wie "Kombi oder Limousine", PS-Zahl etc. sondern Vorlieben bei Architektur und Einrichtung, Sport und Freizeitgestaltung und andere Teile der persönlichen "Lebenswelt", wie die Berater dies nennen. Berylls begleitete das Projekt „end to end“, von der Idee bis zur Implementierung, vom Algorithmus bis zur Anpassung an die jeweilige Landessprache.

Auf den Handel kommen nun herausfordernde Zeiten zu. „Im Gebrauchtwagengeschäft hat der traditionelle Automobilhandel bereits heute die Kundenschnittstelle verloren“, sagt Willi Diez, Professor für Automobilwirtschaft. „Kein Händler kann es sich mehr leisten, seine Gebrauchtwagen nicht bei einer der großen Autobörsen anzubieten.“ Diese Entwicklung werde es auch bei den Neuwagen geben. Das Autohaus müsse zu einem „Digital Store“ werden.

Trotz der Digitalisierung besuchen Neuwagenkäufer das Autohaus während des Kaufprozesses laut der Bain-Studie immer noch durchschnittlich 2,4-mal. „Das Beratungsgespräch beim Händler wird auch in Zukunft noch sehr wichtig sein“, sagt Peter Caracciolo von der Managementberatung MHP. Doch in Zukunft? Autovertrieb wird laut Caracciolo digital und kundenzentrierter, der Händler zum „Connected Dealer“.

Das immer selbstverständlichere Onlineshopping steigert ebenfalls die Ansprüche der Kunden. Der Autokäufer möchte sein Produkt individualisiert, unkompliziert undam besten sofort haben, und zwar an dem Ort, an dem er es braucht, und zum Zeitpunkt seiner Wahl.

„Es wird in Zukunft nicht nur darum gehen, den Vertrieb zu digitalisieren, sondern die Händler in dieses digitale Vertriebsnetz einzubinden, von der ersten Online-Suche bis hin zum Kauf und den After-sales-Bereich“, so Caracciolo. Gemeint ist damit das nahtlose Zusammenspiel von Apps, Social Media, Websites unddem Händler. Da kommt jede Menge Arbeit auf die Berater zu.

Eine größere Rolle werden auch neuartige Showrooms spielen, wie es sie schon von Herstellern wie DS, Tesla oder Mercedes gibt. „Die Kunden haben keine Lust mehr, ins Industriegebiet zu fahren, um sich ein Auto anzuschauen. Daher werden Showrooms mit Innenstadtlage zunehmend wichtiger“, sagt Caracciolo. In diesen Showrooms kommt die virtuelle Realität ins Spiel. Der Kunde kann sich mit ihrer Hilfe sein individuell zusammengestelltes Fahrzeug virtuell und dreidimensional anschauen, noch bevor es ausgeliefert wird. „Das hat den Vorteil, dass das Autohaus weniger Ausstellungsmodelle benötigt und man dem Kunden exakt das Auto zeigen kann, das er kaufen will“, sagt Caracciolo.

Ein Beispiel liefert Porsche mit dem Standort auf der Nordseeinsel Sylt. Dort können alle fünf Modellreihen des Sportwagenherstellers mithilfe eines iPads und verschiedener Modellautos, die den typischen Tonmodellen aus dem Designstudio nachempfunden sind, virtuell durch Augmented -Reality in der Wunschfarbe visualisiert werden. Auch Audi testet derartige Möglichkeiten. Mercedes-Benz wiederum pilotiert gerade einen Onlinestore, bei dem der Kunde sein Wunschauto bestellen und sich direkt vor die Haustür liefern lassen kann.

Der einzelne Händler allerdings kann diese Hauslieferung logistisch nicht stemmen – was wiederum Auswirkungen auf das Geschäftsmodell hat. Denn bisher hatder Händler das Auto bis zum Kauf in Besitz. Künftig könnte das Eigentum bis zum Kaufabschluss beim Hersteller verbleiben, da nur dieser in der Lage ist, den radikal individualisierten Vertrieb zu stemmen. Der Händler würde dann zunehmend eine beratende Funktion im Auftrag des Herstellers einnehmen und könnte künftig nach einem festgelegten Satz für ein Beratungsgespräch, ein Übergabegespräch oder eine Ersteinweisung bezahlt werden.

Hinzu kommt, neben der Digitalisierung, eine weitere Entwicklung: Künftig wird vermehrt nicht mehr der Autoverkauf das Geschäft der Hersteller bestimmen, sondern das Bedürfnis der Kunden, bequem und kostengünstig von A nach B zu kommen. Das Fahrzeug steht nicht mehr im Fokus des Geschäftsmodells der Autohersteller, es wird lediglich als Mittel zum Zweck gesehen. Berater müssen abschätzen, was sich durchsetzt und was nicht. Anstelle des Verkaufs treten etwa spezielle Nutzungs- und Gebührenmodelle, welche die Mobilitätsbedürfnisse der Kunden erfüllen. Das gesamte System Automobilvertrieb steht zur Disposition.

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