Tavares hat Fehler gemacht – sein Rauswurf ist dennoch würdelos

Eigentlich ist es noch zu früh, um über ein Lebenswerk wie das von Carlos Tavares Bilanz zu ziehen. Wir wagen es dennoch.

Carlos Tavares hat in den vergangenen zehn Jahren die weltweite Herstellerlandschaft geprägt wie kein anderer. Mit seinem Ausscheiden bei Stellantis mündet seine Ära des Auf- und Ausbauens in eine Ära der Konsolidierung. Denn Tavares hinterlässt ein Haus, in dem es an vielen Ecken knirscht, an manchen brennt es sogar.

Zuletzt überstieg der 14-Marken-Konzern Stellantis wohl auch die Fähigkeiten eines Carlos Tavares, stets und überall den Überblick zu bewahren. Strategische Fehler schlichen sich ein, Probleme wurden nicht mehr bis zur Wurzel behoben, frustrierte Partner und Mitarbeiter nicht mehr ausreichend gehört.

Möglicherweise erfordert es einen Übermenschen, gleichzeitig bei 14 Marken auf drei Kontinenten allzeit im Detail informiert zu sein und stets perfekt begründete Entscheidungen zu treffen.

Möglicherweise ist das Prinzip eines einzigen CEO an der Spitze eines rund 258.000 Mitarbeiter zählenden Konzerns mit Produktions-, Verwaltungs- und Entwicklungsstandorten in mehr als 30 Ländern und Kunden in mehr als 130 Märkten dem rasenden Tempo unserer Zeit nicht mehr angemessen.

Und möglicherweise ist auch die Methode von Carlos Tavares, stets noch mehr Effizienz aus Mensch und Maschine herauszuholen, an eine Grenze gestoßen.

Mögen die Gründe für das Ausscheiden von Carlos Tavares nach zehn Jahren permanenter Effizienz-Treiberei auch gerechtfertigt sein, so wirkt es doch würdelos. Verwaltungsratschef John Elkann entschied an einem Wochenende, das angebliche "Rücktrittsgesuch" von Tavares anzunehmen. Ein CEO muss nicht um seinen Rücktritt bitten, er tut es.

Mit dem überhasteten Rauswurf von Tavares ohne Benennung eines Nachfolgers hat Elkann dem Konzern keinen Gefallen getan. Die Anleger sind verunsichert und trennen sich deshalb von der Aktie, derzeit steht sie knapp sieben Prozent unter der letzten Notierung.

Unsicherheit herrscht nun auch bei den eigenen Mitarbeitern und Partnern im Handel und in der Industrie. Wie unnötig!

Carlos Tavares war zwar schon vor seinem Start bei PSA im Jahr 2014 ein bestechender Manager. Die alte Garde der Automobil-Manager überholte er lässig mit niemals nachlassender Zielstrebigkeit, Scharfsinnigkeit, persönlicher Askese und einem klaren Blick für die Gunst der Stunde. 

So führte er zunächst PSA aus der Beinahe-Insolvenz, übernahm dann den maroden Autobauer Opel von General Motors zum Schnäppchen-Preis von 1,3 Milliarden Euro, danach sanierte er Opel in atemberaubendem Tempo. Schon ein Jahr nach der Übernahme schrieb Opel wieder schwarze Zahlen – nach neunzehn Jahren mit Defiziten.

Doch dies war nur sein Gesellenstück, zum Meisterstück wurde die Fusion – es war mehr eine Übernahme – von PSA und FCA zum neuen Stellantis-Konzern. Die Früchte dieser Fusion sind noch lange nicht alle geerntet: Synergien bei den milliardenschweren Plattformen sind noch zu heben, die flächendeckende Präsenz in Europa und Nordamerika hat noch viel Potenzial.

Carlos Tavares hat seine Arbeit nicht zu Ende bringen können. Es ist nicht möglich, einen neuen globalen Konzern nur drei Jahre nach seiner Gründung mängelfrei und perfekt aufzustellen.

Doch offenbar haben diese Mängel nun zum vorzeitigen Ende des Vertrages für die Nummer eins geführt. Wir können sie an dieser Stelle nur kurz streifen: Den 14 Marken (mit Leapmotor sind es eigentlich schon 15) fehlt es an vielen Stellen an einer klaren Differenzierung und Identität.

Beispiel Citroen: Es gehört schon eine gewisse Kaltblütigkeit dazu, diese historische Marke so lieblos agieren zu lassen, wie das unter Tavares aus Kostengründen erwünscht wurde.  

Beispiel Opel: Bei aller Anerkennung für die Sanierung, die komplette Integration dieser einst so stolzen deutschen Marke in die Konzern-Entwicklung hat Opel einen großen Teil seiner Identität und auch seines Potenzials genommen.

Es ist heute noch nicht bekannt, was konkret zu dem Zerwürfnis zwischen Tavares und Elkann geführt hat. Momentane Schwächen in Nordamerika dürften es eher nicht gewesen sein, Stellantis ist bereits auf dem Weg, diese Probleme zu "fixen."

Elkann dürfte in einem anderen Punkt nicht mit sich diskutieren lassen wollen: Tavares ist seit langem klar, dass die Kapazitäten in Europa deutlich zu groß sind. Die Frage ist, welcher Produktionsstandort zum größten Verlierer der unvermeidbaren Schrumpfkur werden wird.

Dem Vernehmen nach wollte Tavares diese Last vor allem den italienischen Standorten aufbürden. Dagegen kommt aber massiver Widerstand von der Regierung von Giorgia Meloni. Sie beharrt darauf, dass Italien als große Autonation behandelt wird und nicht allein die Zeche zahlen darf. Das schmeckt naturgemäß Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nicht, der politisch mit dem Rücken zur Wand steht.

Auch die ungewöhnliche Geduld von Tavares mit den defizitären Nobelmarken DS, Maserati, Alfa Romeo und Lancia könnte die beiden Männer gegeneinander in Stellung gebracht haben. Tavares scheint die Fähigkeit teilweise eingebüßt zu haben, den Fokus auf seine zentrale Aufgabe zu legen: Ertragreiches vom weniger Ertragreichem zu trennen.

Ist Tavares womöglich zuletzt etwas müde geworden, sein immergleiches Mantra von Effizienz und Rendite herunterzubeten? Das fragten sich zuletzt jedenfalls manche Beobachter, die den jetzt Ex-CEO bei der jüngsten Automesse in Paris erlebten.

Statt über die Herausforderungen durch die Zollpolitik von Donald Trump und den Nachfrageschwund in Europa sprach der Portugiese bei der jüngsten Automesse in Paris lange über seine Pflicht als Familienvater und Großvater, Kindern und Enkeln eine gesunde Welt zu hinterlassen.

Das ist gewiss sehr richtig. Doch wenn die Hütte brennt, sollte man sich besser über die beste Methode zum Feuerlöschen austauschen, statt über die Zukunft seiner Enkelkinder nachzudenken.