AMG und Aston Martin rücken noch enger zusammen

Schön langsam fügt sich, was zusammengehört. Die Rede ist von der vereinheitlichen Portfolio-Strategie, die vom SEO von Aston Martin Lagonda (AML) schon in seiner früheren Funktion als AMG-Chef initiiert wurde. Ohne das Okay vom Vorstand hätte Tobias Moers den Karrieresprung über den Kanal wohl ebenso wenig gewagt wie Mercedes das Invest in die notorisch klamme englische Sportwagenschmiede. Philipp Schiemer, der künftig bei den Submarken AMG, G und Maybach das Zepter schwingt, darf die Strategie seines Vorgängers eins zu eins in die Tat umsetzen. Der Vorgänger war klug genug, sich beizeiten die Rückendeckung von Ola Kallenius zu sichern, denn erst mit dem abgesegneten Zukunftsplan in der Tasche ist es dem Vollbluttechniker und Markenspezialisten gelungen, beim kanadischen Investor Lawrence Stroll das für den Turnaround nötige Kleingeld loszueisen.

Der Plan, der in Stuttgart im Rekordtempo und ohne nennenswerte Gegenwehr durchgewunken wurde, sah ursprünglich vor, für AMG und AML jeweils fünf neue Elektromodelle auf die Räder zu stellen:

• 2025 startet dem Vernehmen nach der AMG GT-Nachfolger als EV. Gleichzeitig soll in England ein emissionsfreier Nachfolger des Vanquish vom Band laufen.
• Für 2026 steht ein elektrifizierter SL auf der Agenda. Das entsprechende AML Pendant ist ein CO2-neutraler Stromer im DB11-Format, der eines Tages auch den DBS ablösen soll.
• 2027 erwarten Branchenkenner die Plug-in Variante des viertürigen AMG Coupé, das bei Aston entweder den Rapide wiederbelebt oder - aktuell weniger wahrscheinlich - den Reifenspuren der Lagonda Taraf-Limousine folgt.
• 2028 soll der Nachfolger des GLE im Rahmen einer spannenden AMG-Solonummer vom Verbrenner zur Hochvolttechnik wechseln - obwohl ein ähnliches SUV-Format auf EQS-Basis schon deutlich früher marktreif ist. Der neu positionierte, sportliche-elegante GLE EV findet in der zweiten Generation des Aston Martin DBX seine Entsprechung.

Die angedachte fünfte AMG/AML-Speerspitze - ein großes und luxuriöses viersitziges CO2-neutrales Cabrio - liegt zwar aktuell auf Eis, könnte aber langfristig als Derivat für Maybach (Ocean Cruiser) oder Mercedes (SSC) eine zweite Chance erhalten.

Wieso kommt 2025 ein neuer AMG GT mit Akkus im Bauch, wenn schon 2022 der Nachfolger des Breitspur-Coupés als Plug-in Hybrid in Serie geht? Warum startet 2026 ein neuer SL als EV, wenn bereits Ende dieses Jahres der Nachfolger des R230 präsentiert wird? Ähnliche Fragen könnte man Porsche stellen, wo im Windschatten des modellgepflegten Macan der flammneue Macan E schon im nächsten Frühjahr das SUV-Segment aufmischen soll. Der Grund für diese Überlegungen liegt darin, dass vor allem Premiumhersteller unter keinen Umständen den Elektro-Expresslift in den Stückzahlhimmel verpassen wollen.

Stattdessen setzen sie lieber auf einen Mix aus Laufzeitverlängerung und der gestaffelten Einführung sortenreiner Elektroautos. Die Kunden freut das, weil sie länger zwischen zwei Alternativen wählen dürfen. Bei den OEMs läuten dagegen die Alarmglocken, denn die Portfolio-Verdoppelung erhöht den Kostendruck und mindert die Marge - vor allem dann, wenn das vor längerer Zeit entwickelte Alteisen mit beträchtlichem Aufwand auf markt- und gesetzkonformem Stand gehalten werden muss. Dazu kommen Unwägbarkeiten wie die schmerzende Kannibalisierung und das kaum planbare Innovationstempo.

Mercedes hätte es sich leicht machen und die künftige AMG-Palette vom AG-Baukasten nach dem Vorbild von Audi RS und BMW M ableiten können. Doch für die Herren Kallenius und Moers war das offenbar keine Option, denn sie wollen mit AMG künftig Porsche Konkurrenz machen und so in Sachen Stückzahlen und Gewinn ein noch größeres Rad drehen. Gemeinsam mit Aston Martin käme man zwar nicht auf Anhieb auf die 320.000 Fahrzeuge, die Porsche 2025 in der Spitze produzieren will, aber das Wachstumspotenzial ließe wohl den hohen Aufwand für eine komplette Neuentwicklung in einem freundlicheren Licht erscheinen - selbst wenn die Zusatzkosten für eine Zwei-Marken-Strategie die Kasse am Ende des Tages etwas leiser klingeln lassen dürften.

Wie hoch dieser Aufwand wirklich ist, verrät ein Blick auf die vorläufige Faktenlage, die fast keine Synergien zwischen der Mutter und der ehrgeizigen Submarke erkennen lässt. Im Gegenteil: AMG hat eine völlig eigenständige Architektur durchgesetzt, die in punkto Gewicht, Steifigkeit und Variabilität neue Maßstäbe aufzeigen soll. Dazu kommt ein spezieller, vom Sportwagen über den Supersportler bis zum Hypercar im gewissem Rahmen skalierbarer Materialmix, der nur noch in Extremfällen die Schützenhilfe externer Spezialisten wie Multimatic benötigt. Natürlich ist auch die Rechnerleistung der Software der von Mercedes applizierten Bits und Bytes haushoch überlegen. Gleiches gilt für die High-Performance-Akkus, das mutige Kühlkonzept, die Hochdrehzahlmotoren, die Dauerbelastbarkeit und die Regenerationsfähigkeit. Es bleibt zwar bei Lithium-Ionen-Batterien, aber bei Zellchemie, Leistungselektronik, Spannungslage, Ladeströmen und Ladezeit will die deutsch-englische Allianz gleich reihenweise Ausrufezeichen setzen.

Theoretisch könnten AMG und AML sogar das auf die lange Bank geschobene Project Two - ein vollektrischer Zweisitzer, gegen den selbst ein Rimac Nevera angeblich alt aussieht - wiederbeleben, doch nach der Drohkulisse aus Kaiserschnitt und Zangengeburt, die das verspätete Project One wie ein böses Omen verfolgt, werden sich die handelnden Personen wohl nicht sofort wieder die Finger verbrennen wollen. Während Magna als Entwicklungspartner für die sportliche E-Offensive als gesetzt gilt, dürfte die Sache für Rimac anders aussehen. Die Kroaten haben zwar in der Konzeptphase kräftig mitgemischt, doch die neue Nähe zu Porsche passt so gar nicht zu den Ambitionen der Vordenker aus Stuttgart, Affalterbach und Gaydon.

Lesen Sie auch:

Fahrvorstellung Aston Martin Vantage F1 Edition: Formel-1-Safety-Car für 162.000 Euro

EXKLUSIV – Mercedes formt Luxus-Gruppe: AMG, Maybach und G-Klasse werden gebündelt

Aston-Martin-Chef Tobias Moers im Interview: "Bis Ende Juni entsteht ein messbar produktiveres Unternehmen"

Aus dem Datencenter:

Modellvorschau Mercedes-AMG 2021 bis 2023

Wer liefert was für den Mercedes-AMG One Baujahr 2020?