Die große Zahl nimmt VW-Deutschland-Vertriebschef Holger Santel lieber nicht in den Mund: "Das ist ein substanzieller Betrag in dreistelliger Millionenhöhe", sagt er zurückhaltend mit Blick auf das neue Investitionsprogramm, das VW für den deutschen Handel aufgelegt hat. Dabei kann sich die Zahl sehen lassen: 200 Millionen Euro sollen nach Informationen der Automobilwoche in den nächsten drei Jahren investiert werden. Die Mittel dafür wurden nun in Wolfsburg freigegeben. Zugleich lässt Santel keinen Zweifel daran, dass es das größte Programm ist, das VW je aufgelegt hat.
Insgesamt sechs Schwerpunkte mit zwei Dutzend Einzelmaßnahmen hat VW ausgemacht, in die nun Geld fließen soll. "Es ist ein echtes Boost-Programm für unseren Handel", sagte Santel. "Damit wollen wir den Handel wieder anschieben und motivieren, um Maßstäbe im Kundenerlebnis setzen zu können." Und dabei geht es sowohl um den Online-Vertrieb, den VW zügig ausbauen will, als auch um die Aufwertung der klassischen Autohäuser. "Eine starke Marke braucht ein starkes Gesicht", betont Vertriebsvorstand Klaus Zellmer. Und dafür brauche man Kundennähe und lokale Präsenz. "Deutschland ist unser Heimatmarkt. Wir werden den Vertrieb hier noch einmal deutlich stärken."
Showrooms: Mit dem Programm will VW nun endlich dafür sorgen, dass das neue Markendesign samt neuem VW-Logo auch in den Autohäusern ankommt. Vorgestellt hatte der Konzern das bereits 2019 auf der IAA. Doch als es dann ab Anfang 2020 ausgerollt werden sollte, macht die Corona-Pandemie einen Strich durch die Rechnung. Nur wenige Autohäuser haben bisher umgestellt. Das soll mit den Zuschüssen aus dem Boost-Programm nun nachgeholt werden. "Die Umsetzung gehen wir jetzt kraftvoll an und wollen das New Brand Design so in die Breite tragen", sagt Santel.
Online-Vertrieb: Zugleich will VW den Online-Vertrieb ausbauen. Ab Sommer sollen die Elektro-Modelle der ID-Familie komplett im Internet gekauft werden können, samt digitalem Abschluss. Bis Ende des Jahres soll dies auch auf Verbrenner ausgeweitet werden. Aber nur auf Bestands- und Lagerfahrzeuge, die bei den Händler stehen und auch von diesen angeboten werden. Ein Direktvertrieb durch VW direkt an die Endkunden sei bei Verbrennern nicht geplant, versichert Santel. "Das ist dann aber reine Vermittlungsplattform, der Abschluss erfolgt über die Händler."
Werkstattersatzwagen: In den Werkstätten sollen E-Auto-Fahrer künftig auch einen Stromer als Ersatzwagen erhalten. "Die heutigen Werkstattersatzwagen sind ja in der Regel Verbrenner", räumt Santel ein. "Unser Ziel ist es, dass der Kunde, der mit einem Elektrofahrzeug kommt, auch als Ersatzwagen ein Elektrofahrzeug angeboten bekommt." Mit Zuschüssen wollen VW nun die Anschaffung entsprechender Fahrzeuge unterstützen.
Digitalisierung: Auch die Umstellung auf das neue IT-System Thunder und die einheitliche Schnittstelle Nadin will VW im Rahmen des Boost-Programms vorantreiben. Bei den ID-Modellen war VW hier schon voran gegangen, innerhalb von drei Jahren wolle man nun nach und nach auch alle anderen Modelle umstellen. Damit soll endlich Schluss sein mit dem Systembruch zwischen Online- und Offline-Konfigurator. Nutzen soll das auch den Mehrmarkenautohäusern, die neben VW etwa Seat oder Skoda im Angebot haben. Bisher müssen sie mit verschiedenen Schnittstellen arbeiten. Nadin werde künftig der neue Standard im gesamten Konzern, sagt Santel. Und bei der Marke VW sei Deutschland hier der Pilotmarkt, wo das System erstmals ausgerollt wird.
Händlerschulung: Intensiveren will VW auch die Schulung der eigene Händler zu neuen Modellen und rund um die E-Mobilität. Bisher waren viele der Schulungen zur Einführung von ID.3 und ID.4 der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen. "Wir haben dann eine Roadshow gemacht, sind mit dem Produkt direkt zum Handelsbetrieb gefahren", berichtet Santel. "Ergänzt haben wir das mit vielen digitalen Angeboten." Das wolle man auch fortsetzen. "Aber wir wissen auch, dass man nicht alles digital machen kann. Ein Auto ist ein emotionales Produkt, und wir müssen diese Emotionalität auch rüberbringen." Und das gehe virtuell einfach nicht. "Darum werden wir auch wieder mehr Schulungen vor Ort anbieten."
Fließen sollen die Mittel aus dem Boost-Programm zusätzlich zu den bereits beschlossenen Corona-Hilfen, betont Santel. Bei den Zuschüssen etwa für Showrooms und Ersatzwagen werde von den Händlern aber einen Eigenanteil erwartet. Die bisher aufgelegten Corona-Hilfen würden von den Händlern gut angenommen, sagt Santel. So hätten rund 90 Prozent der Händler den Flat Bonus gewählt, bei dem statt des individuell ermittelten Bonus ein Durchschnittswert gezahlt werde. "Damit haben wir dem Handel Planungssicherheit gegeben - und das ist sehr gut angekommen bei unseren Partnern", sagt Santel. "Ein Großteil der Händler hat den Flat Bonus gewählt." Das Programm werde daher auch 2021 fortgesetzt. "Diese Wahlmöglichkeit besteht auch in diesem Jahr."
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