So erschüttert hatte die Autowelt Martin Winterkorn noch nicht gesehen. "Die Unregelmäßigkeiten bei Dieselmotoren unseres Konzerns widersprechen allem, für was Volkswagen steht", sagte der damalige VW-Chef am 22. September 2015 in einer Videobotschaft. Die Bombe um manipulierte Selbstzünder platzte mitten in die Branchenmesse IAA. Zwei Jahre sind seither vergangen. Und noch immer ist Dieselgate ein Topthema auf der IAA.
Wie hat sich VW verändert?
Damals ging alles sehr schnell. Am 18. September 2015 machten US-Behörden massive Verstöße von VW gegen den "Clear Air Act" öffentlich. Am 23. September, nur einen Tag nach seinem Auftritt im Video, trat Winterkorn zurück.
Seinen Nachfolger berief der VW-Aufsichtsrat bereits am 25. September: Matthias Müller, seit 2010 Chef von Porsche. Und am 7.Oktober wechselte Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch an die Spitze des VW-Aufsichtsrats.
Die Personalie Pötsch war von Anfang an umstritten. Auch daher hagelte es auf der Hauptversammlung im Juni 2016 heftige Vor-würfe gegen den Konzern. Und immer wieder gibt es neue Schadenersatzklagen gegen VW.
Was zunächst aussah wie ein singuläres VW-Debakel, hat sich inzwischen zu einem generellen Problem für die Autoindustrie ausgeweitet. Etliche Hersteller und Zulieferer sind ins Visier der Ermittler geraten.
Bei Daimler gab es im Mai 2017 eine Großrazzia, um Beweismaterial zu sichern. Staatsanwälte ermitteln wegen des Verdachts auf Betrug und strafbare Werbung rund um mögliche Manipulationen der Abgasreinigung von Pkw mit Dieselantrieb.
Bei Bosch wird wegen verdächtiger Motorsteuerungen gegen drei Führungskräfte ermittelt. In Frankreich knöpft sich die Staatsanwaltschaft Paris Renault vor: "Verdacht auf substanzielle Täuschung bei der Abgaskontrolle". Ähnlichen Ärger hat Fiat Chrysler wegen eines "Auxiliary Emission Control Device" in den USA am Hals.
Den VW-Konzern sind die Folgen des Abgasskandals schon teuer zu stehen gekommen. Allein im Rahmen des in den USA ausgehandelten Vergleichsprogramms wegen Audi-, Porsche- und Volkswagen-Modellen mit manipuliertem 3.0-TDI-Motor werden bis zu1,2 Milliarden Dollar fällig. Insgesamt liegen die Folgekosten umein Vielfaches höher. Die bisherigen Rückstellungen von gut 18Milliarden Euro dürften kaum ausreichen, um alles abzudecken.
Auch VW-Mitarbeitern drohen harte Strafen. In den USA wurde der an Dieselgate beteiligte VW-Ingenieur James R. Liang jetzt zu 40 Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe von 200.000 Dollar verdonnert. Einem anderen VW-Mitarbeiter, Oliver Schmidt, drohen bis zu sieben Jahre Haft und 500.000 Dollar Bußgeld. Das Urteil soll am 6. Dezember fallen.
So stark hat der Ruf des Selbstzünders inzwischen gelitten, dass Anfang August ein "Nationales Forum Diesel" in Berlin tagen musste. Zentrales Vorhaben der Elefantenrunde von Politik und PS-Wirtschaft: Bestimmte Euro-5- und Euro-6-Diesel-Pkw erhalten Software-Updates. Diese bringen laut Branchenverband VDA "allein in Deutschland mehr als fünf Millionen Fahrzeuge auf ein deutlich besseres Emissionsniveau".
Doch unabhängige Experten wie Forscher Peter Mock vom International Council on Clean Transportation (ICCT) hegen erhebliche Zweifel: "Die Beschlüsse des ersten Diesel-Gipfels dürften nur wenig Wirkung zeigen bei der Verbesserung der Luftqualität – und selbst das erst nach langer Zeit" (Mehr im Interview).
Sogar die Bundestagswahl am 24. September wird von Dieselschwaden umwölkt. Für viel Aufregung im Vorfeld sorgt die – von interessierter Seite gern grob verkürzte – Aussage von Kanzlerin Angela Merkel, ein Abschied vom Verbrennungsmotor sei der "richtige Ansatz". Zur Einordnung sollte man den Kontext kennen. Die Regierungschefin sagte: "Ich kann jetzt noch keine präzise Jahreszahl nennen, aber der Ansatz ist richtig, denn wenn wir schnell in noch mehr Ladeinfrastruktur und Technik für E-Autos investieren, wird ein genereller Umstieg strukturell möglich sein."
Der erste Diesel-Gipfel ließ viele Fragen offen. So viele, dass etwa BMW seine Händler schon eilig mit Argumentationshilfen versorgen musste. Nun wurde für November ein zweiter Gipfel anberaumt. Anders als beim ersten will Bundeskanzlerin Merkel, so wiedergewählt, persönlich daran teilnehmen.
Staatsanwaltschaften in Braunschweig, München und Stuttgart sind dabei, den Manipulationsskandal aufzuarbeiten. Auch gegen einstige Topmanager wird ermittelt. Neben "Wiko" etwa auch gegen Ulrich Hackenberg, VWs und Audis Ex-Entwicklungschef.
Winterkorn zog sich aus der Öffentlichkeit zurück. Allenfalls bei Heimspielen des FC Bayern München lässt er sich blicken. Hackenberg hingegen erörtert auch nach seiner Zeit im VW-Konzern gern Details der Autotechnik. 2016 zog er in den Aufsichtsrat des finnischen Auftragsfertigers Valmet Automotive ein. Auch öffentlich zeigt Hackenberg keine Scheu: Als sich jüngst der Verband der Motorjournalisten in Hannover traf, um über autonome Autos zu diskutieren, saß er in der ersten Reihe. Und in den Frage-Antwort-Runden mischte "Hacki" munter mit.
Lesen Sie auch:
ICCT-Abgasexperte: "Es geht nicht ohne Hardware-Nachrüstung"
VDA-Präsident im Interview: "Da wird die Apokalypse ausgerufen"
VW-Compliance-Vorstand Hiltrud Werner: "Es wird keine Wiederholung geben"