Wolfsburg. Dabei hätte der 67-Jährige allen Grund zu tiefer Besorgnis – und zwar in eigener Sache. Denn am Nachmittag des besagten Donnerstags musste Winterkorn nach Salzburg fliegen. Dort war das sechsköpfige Präsidium des VW-Aufsichtsrats zusammengekommen. Unter Vorsitz des VW-Patriarchen Ferdinand Piëch, 78, ging es um nichts weniger als Winterkorns berufliche Zukunft in dem Zwölf-Marken-Konzern. „Wiko“ hielt sich zur Verfügung. Wenige Tage zuvor hatte Piëch mit einem knapp formulierten Satz die schützende Hand von seinem Ziehsohn gezogen: „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn“, ließ der Österreicher auf „Spiegel Online“ verlauten. Schlagartig brach in Wolfsburg Unruhe aus. Vermeintliche Gewissheiten waren plötzlich dahin. Kein Blatt Papier würde zwischen die so qualitätsverliebten wie führungsstarken Ingenieure Piëch und Winterkorn passen, hieß es seit Jahren aus dem Umfeld des Duos. Und wenn Piëch, von 1993 bis 2002 selbst Vorstandsvorsitzender des VW-Konzerns, sein Amt als Chef des Aufsichtsrats 2018 abgeben würde, dann wäre Winterkorn der erste Kandidat für die Nachfolge. Ein einziger Satz hat all diese Überlegungen über den Haufen geworfen. Mit einer Mitteilung von nicht mal zehn Zeilen hat das Präsidium des VW-Aufsichtsrats am Freitag versucht, Ordnung ins Chaos zu bringen und VW wieder handlungsfähig zu machen: Winterkorn bleibt, er habe die „uneingeschränkte Unterstützung des Gremiums“, zu dem auch Piëch gehört. Das sorgt vorerst für Ruhe. Doch schon Minuten später wurden die ersten Rufe laut: Das war zwischen Wolfsburg und Salzburg noch nicht das letzte Wort. Piëchs Machtwort hat VW durcheinandergewirbelt wie zuletzt 2006 seine Demontage des damaligen VW-Chefs Bernd Pischetsrieder: Der musste für Winterkorn weichen. Doch der Angriff gegen Winterkorn kam ansatzlos und war daher besonders schmerzhaft. Wolfsburg war geschockt und gelähmt. Warum hat Piëch seinen langjährigen Vertrauten so unvermittelt angezählt? Noch dazu in aller Öffentlichkeit. Der Imageschaden für die Wolfsburger ist gewaltig. „Die herausragende Leistung eines Martin Winterkorn wird durch die aktuelle Diskussion unnötig geschmälert“, urteilt Analyst Jürgen Pieper vom Frankfurter Bankhaus Metzler. „Das tut zweifellos schon weh.“ Arndt Ellinghorst, Head of Global Research bei Evercore ISI in London, sagt: „Was jetzt bei VW geschieht, ist die mit Abstand wichtigste Entwicklung der letzten 20, 30 Jahre.“ Die Begründung: „Das Unternehmen wurde lange von den zwei starken Persönlichkeiten Piëch und Winterkorn geprägt. Nun stehen Generationswechsel an – und damit womöglich ein kompletter Kulturwandel“. Im Ringen um die Weltmarktspitze mit den Rivalen General Motors und Toyota läuft es für VW nicht überall wie gewünscht. Während es beim Absatz weiter ein Rennen Kopf an Kopf gibt, ist Toyota beim Ergebnis klar führend – obwohl VW mehr Umsatz einfährt. Dies belegt ein Vergleich der Wirtschaftsprüfer von EY, ehemals Ernst & Young, für die Automobilwoche. Metzler-Experte Pieper bringt es auf den Punkt: „Keine Frage, der große Tanker VW befindet sich in schwierigem Fahrwasser. Es gibt Probleme, etwa in den USA, beim Budget Car, rund um die Rendite der Kernmarke VW. Auch beim Modularen Querbaukasten sieht man derzeit weniger Effekte, als zunächst erwartet.“ Dennoch warnt Pieper vor Schwarzmalerei bei VW: „Unter dem Strich zählt die gute Gesamt-Performance, nicht das eine oder andere Detail.“ Ferdinand Piëch allerdings urteilt augenscheinlich ganz anders. Der oberste Richter bei VW traut seinem Lenker Winterkorn nicht mehr uneingeschränkt zu, den Konzern nachhaltig auf der Überholspur zu halten. Dieser Eindruck bleibt auch nach dem Bekenntnis des Aufsichtsratspräsidiums, Winterkorn sei „der bestmögliche Vorsitzende des Vorstands für Volkswagen“. Arndt Ellinghorst ist überzeugt: „Ferdinand Piëch will offensichtlich früh und rechtzeitig Fakten schaffen. Der Vielmarkenkonzern muss auch künftig extrem effizient geführt werden können, sonst droht schnell eine gefährliche Schieflage.“ Und der Analyst fügt hinzu: „VW ist seit jeher ein spezielles Unternehmen, daher ist die Tragweite der aktuellen Geschehnisse auf höchster Ebene enorm.“ VW-Chef Martin Winterkorn gibt sich unbeeindruckt vom Wirbel um seine Person. Konzentriert bereitet er sich vor auf die Autoshow im chinesischen Schanghai. Der Mann hat Nerven.
Volkswagen-Konzern
Der Richter und sein Lenker
Der Mann hat Nerven. Am Donnerstagmorgen vergangener Woche besuchte Martin Winterkorn die Standortsymposien der VW-Werke Braunschweig und Salzgitter. Bester Laune ließ sich der Vorstandsvorsitzende von Europas größtem Autobauer die Motoren- und Fahrwerkkonzepte der Zukunft demonstrieren. Am Abend schaute Winterkorn den Fußballern vom VfL Wolfsburg gegen den SSC Neapel zu. „So entspannt, als ob nichts gewesen wäre“, berichtet ein Manager aus dem Umfeld des VW-Lenkers. Einzig die 1:4-Heimniederlage habe Winterkorns Laune getrübt.