München. Der Mensch denkt und Gott lenkt? Nix da. Das Auto denkt und das Baby lenkt – so zu sehen in dem neuen Mercedes-Spot. „Baby you can drive my car“ singen die Beatles, und der Vater entschlummert völlig entspannt auf dem Rücksitz des autonom fahrenden Forschungsautos F 015. Das Marketing in der Automobilindustrie befindet sich in einem gewaltigen Umbruch. Die zunehmende Vernetzung der Fahrzeuge stellt die Hersteller vor völlig neue Herausforderungen. Vorbei die Zeiten, in denen ein TV-Spot genügte, in dem ein PS-starker Sportwagen souverän durch die Kurve rauscht. Ein attraktives Produkt zu bewerben, ist leicht. Eine Flut von neuen Assistenzsystemen, Softwarelösungen und daraus resultierende digitale Geschäftsmodelle zu kommunizieren, ist ungleich schwerer. Zwar eröffnet die Konnektivität der Werbung ungeahnte Möglichkeiten, meint Audis Vertriebsvorstand Luca de Meo. „Aber es ist viel komplizierter, die Möglichkeiten des vernetzten Autos zu vermarkten.“
Was tun? „Das Wichtigste ist, die Komplexität zu reduzieren“, sagt Digitalexpertin Franziska von Lewinski. Nicht die Technik, sondern Sicherheit und Nutzen müssten in den Kampagnen im Vordergrund stehen. „Der richtige Inhalt auf dem richtigen Kanal, im richtigen Kontext und zum richtigen Zeitpunkt: Das ist der Schlüssel zum Erfolg.“ Klingt logisch, doch so leicht findet der Schlüssel nicht ins Schloss. Und die Zeit drängt: Die Kundenwünsche ändern sich rasant. „Während früher die Frage nach PS und Größe des Fahrzeugs im Vordergrund stand, fragen heute immer mehr Menschen zuerst nach der iPhone-Schnittstelle oder der Siri-Sprachsteuerung“, sagt Andreas Marx, Direktor Marketing von Opel Deutschland. Für ihn ist Konnektivität ein wichtiges Element der Markendifferenzierung. Entsprechend hat er diese Erkenntnis bei der Einführungskampagne für den Kleinwagen Adam umgesetzt: „Hier haben wir von Beginn an mit der Tatsache geworben, dass es sich um das bestvernetzte Fahrzeug seiner Kategorie handelt.“
Emotionen sind Trumpf
Ob mit Humor oder mit Action – die Zahl der Versuche, die steigende technologische Komplexität von Systemen in klare und prägnante Botschaften umzuwandeln, steigt. Ford setzt auf Humor, um Innovationen wie eine SMS-Vorlesefunktion anzupreisen: In „Schmollbraten“-Spots wird gezeigt, wie diese Technologie eine kleine Krise zwischen einem Pärchen auslösen kann – aber es auch wieder versöhnt. Mit Action versuchen es die Schweden. Volvo hat den Schauspieler Jean-Claude Van Damme engagiert, um auf sein Lenksystem „Dynamic Steering“ aufmerksam zu machen. Der Actionheld wurde gefilmt, wie er einen Spagat zwischen zwei rückwärtsfahrenden Trucks hinlegt – das sorgte im Internet für zig Millionen Klicks.
Nüchterner geht es bei Volkswagen zu: Unter dem Begriff „Car-Net“ haben die Wolfsburger ihre Apps und Dienste zusammengefasst und bewerben sie mit speziellen Anzeigen, Online- und TV-Filmen – so auch in der aktuellen Passat-Kampagne. Um die breite Masse über technische Neuheiten zu informieren, nutzen die Unternehmen weiterhin klassische Werbung wie Anzeigen, TV- und Radio-Spots. Doch moderne Instrumente gewinnen zunehmend an Fahrt: „Zur Vertiefung komplexer Sachverhalte eignen sich unserer Erfahrung nach vor allem die digitalen Kanäle“, sagt Jens Thiemer, Marketingchef Mercedes Pkw. Thiemer unterscheidet zwei Zielgruppen: die loyalen und die potenziellen Kunden. Diejenigen, die die Marke bereits schätzen, werden über die klassischen Medien erreicht. „Die neuen und meist auch etwas jüngeren Interessenten sprechen wir gezielt in ihrem eigenen Umfeld an“, so der Mercedes-Manager. Er platziert seine Inhalte auf Social-Media-, Musikund Videoportalen, aber auch bei klassischen Events wie Testfahrten. So konnten sich kürzlich Interessenten unter www.der-automat. de für eine Probefahrt mit einem Kompaktwagen in einer von 19 deutschen Städten anmelden.
Autonomes Fahren markiert Wendepunkt
Audi nutzt die digitalen Kanäle für eine „mehrstufige Informationsvermittlung durch multimediale Erklärformate, aber auch im Direktkontakt mit dem Kunden und seinem Feedback“, sagt Giovanni Perosino, Leiter Marketingkommunikation. Er sieht Audi als Vorreiter beim pilotierten Fahren und dabei „auch in der Kommunikation zum Kunden“. Das autonome Fahren markiert einen Wendepunkt in der Geschichte des Automobilmarketings: Noch nie wurde eine Technologie, deren Umsetzung in Deutschland noch gar nicht erlaubt ist, so frühzeitig beworben. Bereits im September vergangenen Jahres ließen die Ingolstädter beim letzten DTM-Rennen der Saison einen RS7 fahrerlos zwei Runden um den Hockenheim Ring rasen – mit einer Geschwindigkeit von bis zu 240 km/h. Perosino stellte Filme, Fotos und Texte von dem Event auf Facebook, YouTube, Google+ und Pinterest– mit Erfolg: „Nach rund einem halben Jahr haben wir über 50 Millionen Kontakte weltweit erreicht.“
Die Aufmerksamkeit für das pilotierte Fahren ist hoch, doch auch die Skepsis ist gewaltig. „Es gibt große Ängste gegenüber Hackerangriffen, da hilft es nicht, nur ein Baby auf den Fahrersitz zu setzen“, sagt Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management mit Blick auf den aktuellen Mercedes-Spot. Bratzel sieht bei der Vermarktung des Themas Audi und Mercedes vor BMW.
Freude am autonomen Fahren
Die Münchner sind zurückhaltend: „Die zugrundeliegende Innovationskraft beim autonomen Fahren müssen wir bei unseren Zielgruppen vorsichtig platzieren“, glaubt Stefan Ponikva, Leiter ConnectedDrive bei BMW. „Wir dürfen aber niemals die ,Entmündigung‘ des Fahrers im Raum stehen lassen.“ Intern wird bei BMW heftig diskutiert, wie der altbewährte Slogan „Freude am Fahren“ künftig mit dem autonomen Fahren in Einklang gebracht werden soll – mit Freude am entspannten Mitfahren? Bei Ford gibt man sich gelassen: „Das Schöne an einem Thema wie autonomes Fahren ist, dass es nicht über Nacht vom Himmel fällt, sondern schrittweise neue Sicherheits- und Komfortaspekte hinzuaddiert“, sagt Marketingdirektor Reinhard Zillessen. Sein neuer S-Max erkennt Verkehrsschilder mit Tempolimits und kann automatisch die Geschwindigkeit reduzieren. „Weniger Knöllchen – das kann man gut kommunizieren.“