Herr Reithofer, 2016 wird ein besonderes Jahr für BMW. Das Unternehmen wird 100 Jahre alt – und Ihr Vertrag läuft aus. Ist so ein Jubiläum nicht auch ein Anlass, dem Unternehmen neue Ziele zu setzen?
Dies ist nicht nötig. Wir haben unsere Strategie Number One, die bis ins Jahr 2020 reicht und einmal im Jahr feinjustiert wird. Die Welt dreht sich immer schneller. Deshalb trifft sich unsere Führungsmannschaft einmal im Jahr zu einer zweitägigen Strategie-Klausur. Wir laden dabei auch gerne Spezialisten ein. Einmal war es ein Quantenphysiker, von dem wir wissen wollten, was in den kommenden 20 Jahre technisch auf uns zukommt, gerade auch mit Blick auf die Grundlagenforschung. Was würde sich beispielsweise durch den Einsatz von Quantencomputern verändern – so weit gehen diese Diskussionen teilweise.
Auch mit Blick auf die Batterietechnologie?
Wir schauen in unseren Klausuren weit voraus in die Zukunft. Welche Speicher-Technologien sich ab dem Jahr 2025 durchsetzen werden, lässt sich momentan aus meiner Sicht noch nicht absehen. Dies hängt stark davon ab, wie sich die Reichweite bei den Batterien entwickelt. Wir müssen uns technologisch breit aufstellen. Deshalb dürfen wir beispielsweise auch die Brennstoffzellentechnologie nicht links liegen lassen, die wir gemeinsam mit Toyota entwickeln.
Toyota-Chef Akio Toyoda sagte, er glaubt nicht ans Elektroauto, sondern an die Brennstoffzelle.
Ich möchte da jetzt nicht ins Detail gehen - aber womöglich denkt Toyota in der Zwischenzeit ein wenig anders über das Thema Elektromobilität. Vielleicht auch ausgelöst durch den BMW i3.
Wie schwierig ist es, einem fremden Konzern Einblick in die eigene Entwicklung zu gewähren und bei ihm Einblick zu gewinnen?
Das ist bei Kooperationen so üblich. Natürlich wird vorhandenes Wissen dabei auch in notwendigem Umfang geschützt. Wichtig ist bei Kooperationen, dass beide Partner davon gleichermaßen profitieren. Wir haben beispielsweise zu Beginn der Motoren-Kooperation mit PSA unsere Valvetronic-Technologie weitergegeben. Auf der anderen Seite haben wir von PSA gelernt, wie man kostengünstiger einkaufen kann. Davon profitieren wir bis heute.
Was lernen Sie von Toyota und Toyota von Ihnen?
Beide Partner sind ingenieurgetriebene Unternehmen, die sich gut ergänzen. Toyota ist für mich einer der führenden Hersteller von Brennstoffzellentechnologien und steht kurz vor der Serieneinführung von Brennstoffzellenautos. Ich würde sagen, bei batteriegetriebenen Elektrofahrzeugen haben wir in den vergangenen fünf Jahren ein intensives Know-how aufgebaut, und auch bei der Leichtbautechnologie sind wir gut unterwegs. Darüber hinaus beliefern wir Toyota bereits heute in Europa mit unseren effizienten Dieselmotoren.
Der BMW i3 ist ein Leuchtturmprojekt mit einer Karosserie aus Carbon, so wie es Audi vor rund zwanzig Jahren mit dem A8 aus Aluminium gemacht hat. Heute gibt es wenige reine Alu-Autos und es wird wohl auch nicht allzu viele reine Carbon-Fahrzeuge geben. Wird es bei BMW auf eine Mischbauweise herauslaufen?
So ist es. Ob und wie viel Carbon wir einsetzen, hängt immer davon ab, in welcher Preisklasse sich die Fahrzeuge bewegen. Bei kleineren Fahrzeugen müssen wir betriebswirtschaftlich anders an das Thema herangehen als beim Fünfer oder Siebener.
Aber einen i3 mit Carbon-Karosserie können Sie sich leisten?
Mit dem i3 wie auch dem i8 entwickeln wir viel Know-how, was neue Technologien und Prozesse angeht. Das kommt auch anderen Modellen zu Gute. Wir brauchen unsere i-Fahrzeuge, wenn wir in die Zukunft blicken. Im Übrigen kommen der i3 und der i8 bei den Kunden hervorragend an. Ein Premiumhersteller muss solche Leuchttürme im Angebot haben. Es gibt auch Beispiele bei anderen Herstellern. In Ingolstadt hat man auf Aluminium gesetzt und davon Jahre profitiert. Der Einsatz von Carbon bringt beim Thema Leichtbau große Vorteile und wird deshalb in einem intelligenten Materialmix auch in anderen Fahrzeugen verbaut werden. Wir schauen dabei natürlich immer auch auf die Kosten. Aber durch die industrialisierte Großserienfertigung von CFK wird dies zukünftig immer leichter möglich.
Sie haben angekündigt, die Carbon-Produktion in Ihrem Joint-Venture-Werk in Moses Lake zu verdreifachen. Ist das geplante Volumen nur für i-Modelle und den Siebener gedacht, der Carbon-Elemente bekommen soll?
Für diese Fahrzeuge, aber zukünftig auch für weitere BMW Modelle. Schauen Sie sich nur die Stückzahlen eines Siebeners an: Beim jetzigen Modell haben wir in der Spitze jährlich etwa 70.000 Fahrzeuge verkauft.
Sie haben ja schon Erfahrung mit dem Carbondach des M3.
Ja, wir setzen seit über zehn Jahren Carbon auch in unseren M Modellen ein. Unser früherer Entwicklungsvorstand Burkhard Göschel und ich mussten damals entscheiden, ob wir trotz der höheren Kosten weiter Carbon verwenden wollen. Wir haben uns dann gesagt, das müssen wir uns leisten können, wir nutzen dieses Know-how.
Davon profitieren Sie heute beim i3?
Absolut. Schauen Sie sich an, wie wir die Zykluszeiten gesenkt haben: Die lagen beim Verpressen von Carbonteilen mal bei zwei Stunden, dann bei zwanzig Minuten.
Und heute...?
... haben wir uns Stück für Stück weiter hinuntergearbeitet. Deutlich hinunter. Heute liegen wir im einstelligen Minutenbereich. Und die Entwicklung geht weiter.
Derzeit fertigen Sie 100 i3 in Leipzig am Tag. Ist das die Kammlinie?
Momentan sind es 100, manchmal auch ein wenig mehr. Wir fahren die Produktion sukzessive nach oben und haben eine klare Zahl im Kopf, die wir erreichen wollen.
Die Zulassungszahlen sind ja noch nicht sehr hoch.
Da es sich um eine neue Technologie handelt, haben wir bewusst in der Produktion eine flache Anlaufkurve gewählt. Darüber hinaus wurde ein wesentlicher Teil der bislang gebauten Fahrzeuge in den Märkten als Ausstellungs- und Probefahrzeuge benötigt. Die Absatzzahlen dürften in den kommenden Monaten mit der zunehmenden Verfügbarkeit des Fahrzeugs weiter zulegen.
Wie hoch sind die Wartezeiten?
Die Kunden haben momentan teilweise Wartezeiten von sechs Monaten - was sehr lang ist und die Begehrlichkeit des Fahrzeugs zeigt. Und dabei sind wir in den USA mit dem i3 gerade erst gestartet.
Ist die Nachfrage erheblich höher als Sie erwartet haben?
Wir sind positiv überrascht worden, was die Nachfrage nach dem i3 und i8 betrifft. Wir hatten dazu anfangs unterschiedliche Meinungen im Unternehmen. Es gab euphorische Kollegen, die mutig an das ganze i-Vorhaben herangegangen sind. Es gab vor drei Jahren aber auch skeptische Kollegen. Jetzt sind auch sie euphorisch. Einer unserer größten US-Händler kam in Genf auf mich zu und sagte: „Norbert, alle i8 zu mir. Ich verkaufe sie alle.“
Stimmt es, dass die Jahresproduktion des i8 schon ausverkauft ist?
Das ist richtig. Unsere Kunden müssen bei dem Fahrzeug ein wenig Geduld haben, bis sie es bekommen. Bei der Vertriebsplanung hatten wir keinerlei Vergleichsmaßstäbe. Der i8 ist ein Fahrzeug, das wie der damalige Z8 nicht auf große Stückzahlen ausgelegt ist. Wir sprechen hier eher über einige tausend Einheiten.
Audi will größter Premiumhersteller weltweit werden, Mercedes will es wieder werden und Sie wollen die Position verteidigen. Sind Absatzzahlen bei einem Premiumhersteller eigentlich die richtige Messgröße?
Wir stehen seit nunmehr zehn Jahren an der Spitze des Premiumsegments. Was das Volumen angeht, befinden wir uns momentan in der Tat in einem Denkprozess. Der Marktanteil von BMW als Premiumhersteller liegt derzeit weltweit zwischen zwei und drei Prozent. In Deutschland haben die drei Premiumhersteller jedoch einen Anteil am Gesamtmarkt von etwa 30 Prozent. Mehr Wettbewerb geht kaum. Deshalb haben wir im vergangenen Jahr in Deutschland auf den Absatz von einigen tausend Fahrzeugen verzichtet. Bei Märkten wie Frankreich oder Spanien muss man sich auch überlegen, inwieweit man den intensiven Wettbewerb mitmacht oder zu dem Urteil kommt, das passt nicht mehr zu uns.
Das heißt, Sie verkaufen künftig lieber ein Auto weniger in Europa und dafür mehr in China?
Ja, wobei das von den einzelnen Märkten abhängt. Generell ist das Preisniveau in Europa und auch in Deutschland weiterhin gut.
Muss Ihr Ziel nicht sein, Audi bei der Rendite zu überholen statt beim Volumen vorn zu bleiben?
Natürlich achten wir auf die Rendite. Wir haben im ersten Quartal im Automobilsegment eine operative Marge von 9,5 Prozent erzielt und liegen damit in der oberen Hälfte des von uns angestrebten Renditekorridors von acht bis zehn Prozent. Rendite-Vergleiche sind aber schwierig, da sich eine einzelne Tochtergesellschaft nicht mit einem ganzen Konzern vergleichen lässt.
Inwieweit werden sich die CO2-Vorgaben der EU auf Ihre Rendite auswirken?
Es wird uns sehr viel Geld kosten, die ganzen CO2-Regularien weltweit einhalten zu können. Wir haben unsere CO2-Emissionen seit 1995 um über 30 Prozent reduziert und liegen jetzt bei 133 Gramm. Aber die letzten 33 Gramm werden die teuersten. Ein Wert von 100 Gramm CO2 pro Kilometer entspricht einem durchschnittlichen Flottenverbrauch von rund vier Litern auf 100 Kilometer. Wir reden hier nicht über dreistelligen Millionen-Euro-Beträge, wir sprechen von Milliarden.
Die Gewinne, die Sie in Übersee erwirtschaften, müssen Sie also in Europa wieder investieren. Könnte man so nicht bei EU-Vertretern argumentieren?
Ich hatte verschiedene Treffen mit EU-Vertretern. Auch in anderen Ländern hat man sich mit der Autoindustrie zusammengesetzt, auch da sind teils harte Vorgaben herausgekommen. Aber in anderen Ländern wurden mit den Autoherstellern ausgelotet, wie weit man gehen kann, ohne die Unternehmen zu massiv zu belasten. Diese Frage haben wir von der EU kein einziges Mal gehört.
Schaden sich französische Kleinwagenhersteller nicht selbst, indem sie die scharfen EU-Regeln unterstützen und deutsche Anbieter damit zwingen, das Kleinwagensegment auszubauen?
Genauso ist es. Dadurch drängen die Premiumhersteller von oben in das Kleinwagensegment. Und wenn die Regulierung weitergeht - auf sagen wir mal die vom EU-Parlament genannten 70 Gramm - dann sind andere Hersteller mit ihrer konventionellen Technologie nicht mehr ganz so wettbewerbsfähig, um es mal vorsichtig auszudrücken.
Ihr einst großer Vorsprung bei der CO2-Reduktion dank Ihres Maßnahmenpakets „Efficient Dynamics“ ist mittlerweile weggeschmolzen. Ist die Konkurrenz stärker geworden?
Unser neuer Motorenbaukasten ist ja noch gar nicht richtig im Einsatz. Er besteht aus neuen Dreizylinder-, Vierzylinder- und Sechszylinder-Antrieben und wird jetzt sukzessive ausgerollt. Was die Effizienz angeht, machen wir damit wieder einen deutlichen Sprung nach vorn.
Und liegen dann wieder klar vor den Wettbewerbern?
Wir müssen uns mit Blick auf 2020 gegenseitig nichts vormachen. Daimler muss wie wir die Vorgaben der EU erreichen, sonst zahlen wir Strafen – und das wollen wir nicht.
Wo haben Sie denn langfristig noch einen Wettbewerbsvorteil?
Was die Modelle i3 und i8 betrifft, haben wir in puncto Innovationen einen großen Schritt gemacht. Und durch die Mischbauweise mit Carbon lernen wir zunehmend, das Gewicht der Fahrzeuge weiter zu reduzieren. In leichteren Autos können wir auch kleinere Motoren einsetzen und so CO2-Emissionen reduzieren. Darin sehe ich einen großen technologischen Vorteil.
Sie haben Ihr US-Werk in Spartanburg erweitert und planen einen neuen Standort im NAFTA-Raum. Sehen Sie dort langfristig das größte Potenzial neben China?
Eindeutig ja. Das ist für uns ein wachsender Markt. Wir haben die Kapazität in Spartanburg, wo wir die X-Modelle bauen, immer wieder erweitert. Jetzt packen wir noch mal 150.000 Einheiten oben drauf, die Kapazität eines ganzen Werks. Damit kommen wir zukünftig auf 450.000 Einheiten. Dies ist notwendig, denn wir waren bei der Produktion limitiert. Sonst hätten wir im vergangenen Jahr noch mehr X-Fahrzeuge verkaufen können, beispielsweise vom X3. Was das zusätzliche Werk im NAFTA-Raum betrifft, werden wir noch vor der Sommerpause definitiv eine Entscheidung treffen.
Mit X-Modellen machen Sie jetzt schon ein knappes Drittel Ihres Gesamtabsatzes, jetzt kommen noch X4 und X7 hinzu.
Damit werden wir mit Sicherheit auf einen Anteil von mehr als 30 Prozent kommen.
Russland galt lange als Wachstumsmarkt für Premiumanbieter.
Russland ist ein Markt, in dem wir im vergangenen Jahr über 40.000 Fahrzeuge verkauft haben. Durch die politischen Verwerfungen in der Ukraine ist der Rubel jedoch extrem abgestürzt, woraus sich für uns neue Herausforderungen ergeben.
Sie bringen 2014 zwölf neue Modelle und vier Facelifts auf den Markt. Ist das ein Ausnahmejahr oder können Sie dieses Tempo weiter halten?
Wir werden das Tempo weiterhin halten und auch in den Jahren 2015 und 2016 eine hohe Anlaufdichte haben.
Wie weit kann man denn den Ausbau der Produktpalette noch treiben?
Wir wollen unser Produktangebot über alle Fahrzeugklassen hinweg weiter ausbauen. Darunter viele Modelle ohne Vorgänger wie der BMW Zweier Active Tourer, der i8 oder der X4.
Wann wird sich die neue Frontantriebsarchitektur, die erstmals beim Active Tourer und beim neuen Mini zum Einsatz kommt, rechnen?
Wir brauchen die gemeinsame Architektur für Front- und Allradantrieb, um profitabel im Kleinwagen- und Kompaktsegment wachsen zu können. Das ist gerade auch bei MINI wichtig, da die Stückzahlen hier alleine auf Dauer nicht hoch genug sind. Dadurch, dass sich BMW- und Mini-Produkte die gleiche Architektur teilen, kommen wir auf ganz andere Stückzahlen, in Zukunft auf bis zu einer Million Einheiten im Kompaktsegment. Dadurch erzielen wir ganz andere Skaleneffekte. Insgesamt ist das für das Unternehmen eine enorme Herausforderung, in den kommenden Jahren gleichzeitig einen neuen Motorenbaukasten sowie jeweils eine Architektur für Front- und Allradantrieb und eine für Hinterrad- und Allradantrieb einzuführen.
Werden Sie neben dem Van Zweier Active Tourer noch andere Modelle dieser Art entwickeln?
Wir werden mit Sicherheit vom Active Tourer noch etwas ableiten.
Planen Sie einen BMW unterhalb des Einsers?
Nein, bei BMW definitiv nicht. Wir haben intern die Entscheidung gefällt, dass wir dieses Segment mit MINI abdecken.
Die neue Plattform ermöglicht größere Minis. In Genf haben Sie das 26 Zentimeter längere Clubman Concept vorgestellt. Wie groß kann Mini werden – auch vom Volumen her?
Der Mini wird in der Größe der Studie auf den Markt kommen. Aus der neuen Fahrzeugarchitektur lassen sich Modelle zwischen 3,80 Meter und 4,50 Meter ableiten. Bei den Stückzahlen wird die Marke MINI nicht bei aktuellen 300.000 Einheiten stehenbleiben.
In den ersten vier Monaten ist der Mini-Absatz um 13,2 Prozent gesunken. Werden Sie bis Ende des Jahres wieder aufholen?
Unser klares Ziel ist, über das Niveau des Vorjahres zu kommen. Wir befinden uns jetzt mitten im Modellwechsel des Kernmodells MINI Hatch und in der Anlaufvorbereitung für den fünftürigen Hatch.
Mit der Studie Rocketman haben Sie 2011 einen Mini unterhalb des Mini Hatch gezeigt. Ist der Mini-Mini noch eine Option?
Wir haben dafür momentan nicht die passende Architektur. So etwas wäre nur mit einem Partner möglich.
Allein wäre der Mini-Mini zu teuer?
Das ginge betriebswirtschaftlich nie und nimmer auf.
Sie haben bereits angekündigt, dass 2014 beim Absatz wieder ein Rekordjahr für BMW wird. Fahren Sie auch 2015 und 2016 an der Premiumspitze?
Ja, davon gehe ich aus. Bei den vielen neuen Modellen, die wir auf den Markt bringen, bin ich da mehr als zuversichtlich.