Hamburg. Herr Küspert, im November gehören Sie ein Jahr dem Opel-Vorstand an. Welche Zwischenbilanz ziehen Sie als Vertriebschef?
Wir haben gemeinsam viel erreicht in diesem Jahr. Wir haben unser Ergebnis spürbar verbessert. Wir haben 2013 den Marktanteilsrückgang nach 14 Jahren gestoppt. Und es geht mittlerweile wieder aufwärts: In diesem Jahr sind wir bisher deutlich stärker gewachsen als der europäische Fahrzeugmarkt. Dabei hat unsere große Modelloffensive mit 27 neuen Modellen und 17 neuen Motoren bis 2018 gerade erst angefangen.
Die Mitarbeiter mussten jahrelang mit negativen Schlagzeilen über Opel leben. Ist der positive Gesamttrend inzwischen auch in der Belegschaft angekommen?
Wir wollen 2016 wieder profitabel sein, dafür müssen wir uns anstrengen. Was mich zuversichtlich stimmt – wir haben unsere Unternehmenskultur verändert: mehr Kundenorientierung, mehr Konzentration auf starke Produkte, mehr Geschwindigkeit, mehr Verantwortung für den Einzelnen. Und wir haben wieder eine Angreifer-Mentalität. Nach 14 Jahren Marktanteilsverlusten in Folge musste es „Klick“ machen im Kopf. Jeder Einzelne muss wieder gewinnen wollen. Und diese Mentalität ist nun wieder da.
Welche konkreten Erfolge von Opel waren bei diesem "Sinneswandel" hilfreich?
Opel-Autos sind gefragt: Von Januar bis September gehörte Opel zu den größten Gewinnern in Europa. Laut ACEA legten die Verkäufe in der EU um 8,2 Prozent auf rund 671.200 Autos zu. Damit wuchs Opel um 2,1 Prozentpunkte schneller als der Gesamtmarkt. Opel war somit die am schnellsten wachsende Marke unter den Top Drei. Das zeigen auch die Bestelleingänge. Für den Mokka liegen europaweit bereits mehr als 300.000 Orders vor. Dem erst zu Jahresbeginn 2013 vorgestellten Adam ist ein Blitzstart gelungen – mit europaweit mehr als 110.000 Bestellungen. Und für den neuen Corsa haben sich bereits rund 35.000 Kunden europaweit entschieden – und das, obwohl die Opel-Händler ihre Orderbücher erst seit August geöffnet haben und es bis zur offiziellen Handelspremiere noch einige Wochen dauern wird. Ich freue mich schon darauf, mit dem Corsa zum Jahresende die große Premiere bei den Händlern feiern zu dürfen. Das ist ein ganz wichtiges Auto für uns.
Im Laufe eines Turnarounds gibt es zumeist auch Rückschläge. Welche Misserfolge und Enttäuschungen sind bei Opel zu konstatieren?
Ich würde es mal Herausforderungen nennen. Die Schwäche der Währungen in Ländern wie Russland oder Türkei belastet – aber das trifft derzeit alle Unternehmen, die in diesen Märkten unterwegs sind, nicht nur die Automobilhersteller. Wir haben auf das schwierige Marktumfeld reagiert und stellen uns in Russland neu auf. Susanna Webber, bislang in der Geschäftsführung für Einkauf und Logistik zuständig, führt jetzt als President und Managing Director Russland das dortige Geschäft. Gleichzeitig wird die Lokalisierung der Zulieferer vorangetrieben und die Produktion im Werk St. Petersburg angepasst. Die Krise ändert an unserer generell positiven Einschätzung dieser Märkte nichts. Langfristig sehen wir für Opel in Russland und der Türkei hervorragende Wachstumsperspektiven. In Bezug auf Gesamteuropa kann ich Ihnen sagen: Es gibt zwar einige Lichtblicke, aber ich bin lange genug um Geschäft, um Realist zu bleiben. Wir erwarten vom Markt keinen substantiellen Rückenwind, denn er befindet sich nach wie vor in einer schwierigen Situation – und ist geplagt von Überkapazitäten.
Wo haben Sie im Vertrieb angesetzt, um dem geplanten Comeback von Opel aus diesem Schlüsselressort heraus neuen Schwung zu verschaffen?
Wir sind erst einmal Schritt für Schritt die Probleme angegangen – angefangen bei meinen engsten Mitarbeitern. Ich habe gesagt: Wir wollen jetzt kein Feuerwerk abfackeln, und in drei Monaten ist alles wieder beim Alten. Sondern es werden langsame Schritte gemacht, die aber nachhaltig sind. Und dann haben wir einen umfangreichen Plan abgearbeitet.
Was genau stand dabei auf der Agenda?
Zunächst habe ich mit Jürgen Keller einen für Deutschland zuständigen Direktor in mein Team geholt, der ein Opel-Eigengewächs ist, der kompetent ist, den die Händler schätzen und respektieren. Jürgen macht einen hervorragenden Job. Und dann sind wir gemeinsam mit dem Handel an die Grundlagen gegangen. Ich habe alle VDOH-Mitglieder innerhalb der ersten Monate besucht und mir ein Bild verschafft. Es haperte zum Beispiel an den Vertriebsprogrammen. Die haben wir überarbeitet. Sie sollen künftig nur noch so aufgebaut sein, dass man sie verstehen kann. Die Verkäufer sollen es einfach haben, denn die müssen sich ja eigentlich hauptsächlich um die Kunden kümmern. Zudem haben wir sehr viel mit den Mitarbeitern gesprochen und sie schlichtweg richtig informiert. So schafft man eine Atmosphäre, in der die Menschen tatsächlich wieder anfangen zu glauben, dass das alles klappen kann. Denn das war davor in der Organisation verloren gegangen. Und dies gilt für ganz Europa: Ich habe gleich in den ersten Monaten alle Einzelmärkte besucht, die Managing Directors und ihr Team kennengelernt und gemeinsame Ziele definiert.
Hat sich das Verhältnis zum Handel seither bereits spürbar verändert?
Die Umsatzrendite unserer deutschen Handelspartner ist im laufenden Jahr auf knapp ein Prozent gestiegen; im Vergleich zu 2012 hat sich der Wert fast verdoppelt. Und als mittelfristige Zielrendite für hiesige Händler peilen wir 1,5 Prozent an. Unsere Händler sind vom Potenzial unserer Marke überzeugt und investieren wieder in die Zukunft. Wir haben schon auf unserer Händlertagung in Düsseldorf Ende Februar gespürt, wie gut unsere Ideen, die Marke Opel wieder nach vorn zu bringen, angekommen sind. Die jüngste Studie zur Händlerzufriedenheit – der Markenmonitor – belegt das nachdrücklich. Opel zählt in diesem Jahr zu den großen Gewinnern der Analyse. In den Kategorien Produkt und Marke – dort mit der Note 2,21 – und Gebrauchtwagen, Wertung 2,81, führt Opel das Konkurrenzfeld an. Bei Vertriebspolitik, da gab es für uns eine 2,51, sowie der Gesamtzufriedenheit bescherte das Votum der Händler Opel starke zweite Plätze. Keine Marke verbesserte sich stärker. Damit ist Opel der „Top-Aufsteiger“ des Jahres 2014. Dazu passt auch die Entscheidung von mehr als 82 Prozent der Opel-Händler, nach dem Rückzug von Chevrolet ausschließlich auf Opel zu setzen und keine weitere Marke mehr in ihr Angebot aufzunehmen.
Schauen wir speziell auf Deutschland. Hier geht der Anteil der privaten Neuzulassungen zurück. Wie stark treibt Sie das um?
Die Veränderungen in den Kanälen sind ganz einfach da. Deswegen stärken wir ja auch gerade das Flottengeschäft, und zwar europaweit. Gerade bei den kleinen Flotten mit zwei bis fünf Fahrzeugen wollen wir verstärkt Gas geben.
Branchenbeobachter und Konkurrenten monieren, dass die Geschäfte von Opel auf dem deutschen Markt in jüngerer Vergangenheit durch einen hohen Anteil von Eigenzulassungen gekennzeichnet waren. Ist ein solches Manöver Teil ihrer Strategie?
Es ist Teil des Geschäfts, und alle nutzen dieses Instrument mehr oder weniger stark. Bei uns war die Quote zuletzt höher, denn der Corsa-Auslauf fördert die Eigenzulassungsquote, da sich Händler die letzten Wagen der alten Generation auf den Hof stellen, um den Kunden sehr attraktive Angebote machen zu können. Die Steigerung der Eigenzulassungen im Jahr 2014 geht fast ausschließlich auf das Konto dieses Corsa-Effektes, denn der Corsa macht in Deutschland rund 25 Prozent des gesamten Opel-Absatzes aus. Grundsätzlich gilt: Wir sind gerade dabei, gemeinsam mit den Händlern einen Plan zu entwerfen, in dem wir festlegen, welche Kanäle wir künftig zu welchem Prozentsatz speisen wollen. Eines kann ich Ihnen versichern: Wir machen keine Geschäfte, mit denen wir die Profitabilität gefährden. Und wir haben die Restwerte im Blick. Man darf die Mengen nicht überziehen und muss auf die Sortierung der Fahrzeuge über die Altersstruktur hinweg achten.
Blenden wir das wichtige Pkw-Geschäft kurz aus. Wo sonst noch sollte Opel nachlegen?
Das Thema Nutzfahrzeuge müssen wir wieder stärker angehen. Wir haben eine eigene Organisation mit Steffen Raschig an der Spitze gegründet. Die wird in den einzelnen Ländern auf der Großhandelsebene durch Nutzfahrzeugexperten ergänzt. Schließlich ermutigen wir auch unsere Händler, in Nutzfahrzeugzentren zu investieren, eigene Programme zu entwickeln, spezialisierte Verkäufer einzustellen und entsprechende Kunden gezielt anzusprechen. Es ist nun mal ein anderes Geschäft – da geht es den Kunden nicht so sehr um Emotionen als vielmehr um Total-Cost-of-Ownership. Dadurch, dass wir jetzt mit Opel Financial Services wieder eine eigene Bank haben, können wir den Flottenkunden mit Versicherungs-, Finanzierungs-, Leasing- und Servicepaketen auch wieder alles aus einer Hand anbieten. Wichtig ist: Wir brauchen einen professionelleren Gesamtauftritt für unsere hervorragenden neuen Produkte wie den Vivaro. Auch der Movano ist im Kommen. Es ist für die Händler ein gutes Geschäft, weil die Margen sehr respektabel sind. Insgesamt wollen wir bis 2022 von bislang 80.000 auf 150.000 Nutzfahrzeuge jährlich wachsen.
Haben Sie in Ihrem ersten Amtsjahr weitere Potenziale ausgemacht?
Ja, vor allem bei der Adam-Familie, die wir gerade ausbauen. Denn in diesem Segment waren die Händler bisher noch nicht so intensiv unterwegs. Das Fahrzeug ist ja ein Individualisierungskünstler, bei dem man auf eine etwas andere Art mit Kunden operieren kann. Zudem sprechen wir mit dem Modell vor allem Frauen an, deren Anteil bei den Adam-Kunden liegt bei 72 Prozent. Außerdem sind die Adam-Kunden jünger. Damit gibt es für den Handel die Chance, Kundensegmente zu erobern, in denen Opel bisher noch nicht so richtig stattgefunden hat. Das bedeutet aber auch eine andere Form des Verkaufens oder Beratens. In Deutschland gibt es bereits 64 Adam-Stores, europaweit sind es 130 für den Stadtflitzer. Der Mokka ist ein weiteres Beispiel für einen Opel, bei dem jetzt mit großer Mehrheit Kundenaufträge generiert werden können, die dann in die Produktion eingesteuert werden, und nicht umgekehrt. Bei beiden Modellen haben wir eine Eroberungsquote von mehr als 50 Prozent. Und die 17 Open Points im deutschen Opel-Händlernetz, etwa in Wolfsburg und Erlangen, wollen wir zügig besetzen.
Der Autoabsatz in Deutschland geht zurück. Wagen Sie einen Blick in die Zukunft: Verlieren die Bundesbürger ihre Lust am einst liebsten "Spielzeug"?
Das Auto ist nach wie vor attraktiv. Ungebrochen. Aber wir müssen noch genauer hinschauen, was der Kunde wirklich will. Opel ist bereits sehr breit aufgestellt. Wir haben neue Fahrzeugsegmente besetzt, da müssen wir weiter dranbleiben, der Erfolg von Autos wie Adam und Mokka gibt uns recht. Ab 2015 ergänzen wir unser Kleinwagenangebot mit einem neuen fünftürigen Einstiegsmodell – dem Opel Karl. Er wird unser Angebot an alle sein, die ein praktisches Fahrzeug mit der typischen Opel-Alltagstauglichkeit bevorzugen. Und er wird auch interessant für frühere Chevrolet-Kunden sein. Mit Adam, Corsa und Karl – alle innerhalb von rund zweieinhalb Jahren vorgestellt – wird Opel das stärkste Kleinwagen-Portfolio aller Zeiten haben. Und: Es ist eines der jüngsten im gesamten Pkw-Markt.
Mit welchen Verlockungen könnten Sie potenzielle Käufer perspektivisch dazu bringen, sich schlussendlich für ein Fahrzeug von Opel zu entscheiden?
Mehr denn je wollen die Kunden effiziente und sparsame Autos – da setzen wir gerade einen Schwerpunkt mit unserer Motoren- und Getriebeoffensive. Sie wollen auch im Auto problemlos und ohne heftigen Aufpreis vernetzt sein und wie gewohnt kommunizieren können. Wir haben hier bereits hervorragende Angebote, beispielsweise mit dem Adam und seinem Konzept als bestvernetzter Kleinwagen mit IntelliLink und Siri-Sprachsteuerung. Und mit OnStar zünden wir im kommenden Jahr die nächste Stufe der Fahrzeugvernetzung. Damit kommen Opel-Fahrer dann in den Genuss einer Hochgeschwindigkeits-Mobilfunkanbindung. Das Auto wird zum leistungsstarken WLAN-Hotspot. OnStar ist die führende Marke von GM bei Lösungen für vernetzte Sicherheit, hochwertigen Mobilitätsdiensten und fortschrittlicher Informationstechnologie. Wir bieten damit jede Menge Mehrwertdienste wie den Abruf von Fahrzeuginformationen per Smartphone, Diebstahlhilfe, Pannenhilfe und Fahrzeug-Diagnose. Sie sehen, bei Opel läuft's wieder.