Herr Thomas, viele Autohersteller und Zulieferer kämpfen mit wachsenden Unterschieden bei der Auslastung ihrer Werke in Europa, Amerika und Asien. Wie lässt sich das Netzwerk der Fabriken darauf einstellen?
Damit sich das effizient stemmen lässt, müssen die Hersteller ihre Produktion global begreifen und verwalten. Das Schlagwort lautet "Manufacturing Intelligence": Produkte und Prozesse verändern sich laufend – das verlangt nach flexiblen Fabriken. Informationen aus der Produktion müssen dazu mit speziellen Software-Instrumenten über eine Vielzahl an Fabriken hinweg transparent gemacht werden. Nur so wissen die Hersteller bis ins Detail, wo die Hebel für Verbesserungen liegen, etwa um den Ressourceneinsatz besser auszubalancieren. Welche Konsequenzen hat das für die Materialwirtschaft über ganze Kontinente hinweg?Jeder Produktionsstandort in den einzelnen Ländern muss seinen individuellen Bedarf decken. Weniger flexible Anlagen sind gezwungen, vorzusorgen und sich mit höheren Materialbeständen abzusichern. Sind Material- und Produktionsmanagement jedoch mittels abteilungsübergreifender IT-Lösungen taktgenau synchronisiert, lassen sich Just-in-time-Modelle leichter umsetzen.In China stehen ausländische Autobauer unter verschärfter Beobachtung durch die Regierung. Was steckt dahinter?Die chinesische Regierung ist sich bewusst, welche Auswirkungen eine starke nationale Automobilindustrie auf die Wirtschaft haben kann. Partnerschaften mit ausländischen OEMs sollen das Land im internationalen Wettbewerb schlagkräftiger machen.Wann werden chinesische Autobauer in Europa produzieren – und in welchen Segmenten?Das tun sie bereits: Volvo Cars etwa gehört zu einem chinesischen Konsortium unter der Leitung von Zhejiang Geely Holding Group Co., Ltd. Dabei handelt es sich auch um die Muttergesellschaft von Geely Automotive.Der ASEAN-Raum gilt in der Autobranche als vergleichsweise wenig erschlossene Wachstumsregion. Was ist auf großen Märkten wie Indonesien zu tun?Diese Region wird in den nächsten zehn Jahren stark wachsen. Es gilt, eine lokale Präsenz aufzubauen, um diesen Markt frühzeitig zu besetzen. Als besondere Herausforderung und Schlüssel zum Erfolg sehe ich eine schnelle Integration in die lokalen Lieferketten. Japanische Unternehmen haben sich dort zwar schon Vorteile erarbeitet, doch diese sind nicht uneinholbar.Stehen in Westeuropa weitere Werksschließungen an?Ja, davon gehe ich aus.Die Fahrzeugfertigung wird immer komplexer. Wo muss moderne Produktionssoftware künftig ansetzen?Als erstes müssen die Unternehmen der Branche durchgängig auf plattformbasierte Produktionssoftware umstellen. Damit können sie nicht mehr nur einzelne Produktionsstandorte analysieren und steuern, sondern Prozesse global betrachten. Das unterstützt außerdem den zügigen und wirtschaftlichen Aufbau neuer Standorte. Ist dieser Schritt getan, bietet sich eine Synchronisierung mit anderen Plattform-Systemen an. Dazu zählen etwa solche für Product Lifecycle Management (PLM), die bei der Produktentwicklung eingesetzt werden. Wie diese Kombination eine schnelle Umsetzung von Produktinnovationen unterstützt, zeigt das Beispiel Ford: Im Jahr 2012 hat das Unternehmen einen Motor neu entworfen. Was zehn Jahre zuvor 30 Monate gedauert hätte, nahm lediglich acht Monate in Anspruch.Produktionssoftware muss sich zudem an die Gewohnheiten der Angestellten anpassen und überall zu jeder Zeit verfügbar sein. Das betrifft nicht nur den Lagerarbeiter, sondern auch den Manager. Die Produktionsfachkraft etwa führt auf einem Tablet mobile Qualitätschecks durch. Ein Produktionsleiter hat in Echtzeit verfügbare KPI-Dashboards (Abkürzung steht für "Key Performance Indicator"; Anm. d. Red.) zur Verfügung. Und das Top-Management sieht auf einen Blick die global zusammengeführten Leistungskennzahlen.Bahnt sich bei Produktionsplanern undLogistikexperten ein Fachkräftemangel an?Ja. Auch der Bereich Engineering gibt Anlass zur Sorge. Die Industrie müsste mehr Energie darauf verwenden, die Vielfalt an Berufen aufzuzeigen, die es in der Automobilindustrie heutzutage gibt. Es handelt sich um eine Branche, in der sich technologisch viel tut – dementsprechend dynamisch und interessant sind auch die Tätigkeitsbereiche.Welche Mega-Trends bestimmen die "Autofabrik der Zukunft"?Der Generationenwechsel im Personentransport hat auf jeden Fall großen Einfluss. Für junge Menschen ist das Auto nicht mehr das Statussymbol, das es einmal war. Entertainment und sparsame Motoren rücken in den Vordergrund. Auch gesetzliche und ökologische Anforderungen werden die Produktion maßgeblich verändern. Abgas-Bestimmungen wie Euro 6 oder EPA Level 2 wirken sich direkt auf Produkte und Fertigungsprozesse aus. Die Vereinten Nationen arbeiten an einer Initiative zur Harmonisierung von Emissions-Testverfahren und -obergrenzen, genannt Worldwide harmonized Light vehicles Test Procedures (WLTP). Bereits im Jahr 2017 könnte WLTP in Kraft treten.Das Schlagwort lautet "Manufacturing Intelligence"
Als Industry Director Automotive bei Apriso, einem US-Anbieter von Produktionssoftware, kennt Fred Thomas die Chancen und Risiken einer vernetzten Fahrzeugfertigung. Im Interview mit Automobilwoche gibt der 43-jährige Ex-VW-Manager Antworten auf die Herausforderungen durch steigende Komplexität im Pkw-Bau. Und er warnt vor einem absehbaren Engpass bei Experten im Engineering.