Gießen. Der Marketing-Professor Franz-Rudolf Esch nimmt im Automobilwoche-Interview Stellung zur Wirkung der IAA, zum Wert einer gelungenen Selbstinszenierung und zur Bedeutung von Messe-Hostessen.
Herr Professor Esch, stellen Sie sich vor, ein Autointeressierter aus den 1950er-Jahren geriete per Zeitmaschine im September 2007 auf die IAA. Was würde er für einen Eindruck bekommen?
Das ist eine spannende Frage. Der Betreffende würde eine Riesenüberraschung erleben. Wie sich die Automobile entwickelt haben, ihr Design, die Technik, die Sicherheitsfeatures, Einparkhilfen, Navigationssysteme - das sind große Umwälzungen. Er wäre aber auch über die Messe an sich sehr überrascht, weil Autos heute in zunehmendem Maße inszeniert werden. Die Messestände werden immer aufwendiger gestaltet, weil man versucht, die Marken, die Modelle, die gesetzten Themen in Szene zu setzen. Eine Messe ist im Kern ja nichts anderes als ein moderner Marktplatz, auf dem die Unternehmen die Möglichkeiten haben, die Resonanz auf bestimmte Prototypen, Modellentwürfe oder Features zu testen. Insofern haben dort Autointeressierte die Gelegenheit zum Blick in die Zukunft.
Um im Bild des Markts zu bleiben: Die Hersteller geben Riesensummen aus, um auf spektakulären Ständen ihre "Tomaten als die frischesten und knackigsten zu präsentieren". Warum ist die pompöse Art der Selbstdarstellung so wichtig?
Diese Selbstdarstellung ist sehr wichtig, weil man Zielgruppen mit hohen Ansprüchen hat, die extrem an Automobilen interessiert sind. Allein Journalisten und Händler üben eine enorme Multiplikationswirkung aus. Außerdem ist es heute entscheidend, die Automobile markenspezifisch zu inszenieren - gerade weil viele Hersteller sich hinsichtlich der Technik und der Qualität nicht mehr viel geben. Deshalb muss ein Messestand klar die Markeneigenschaften kommunizieren, gleichzeitig aber auch Raum lassen für neue Modelle und Themen, etwa Ökologie, und diese mit der eigenen Marke verknüpfen. Daher sind die hohen Investments verständlich. Wobei das eingesetzte Geld das eine ist, die Umsetzung das andere. Da gibt es krasse Unterschiede.
Nennen Sie bitte ein Beispiel.
Vor zwei Jahren fand ich den Mini-Stand beispielsweise sehr gelungen. Dort war die Inszenierung sehr markentypisch umgesetzt worden, obwohl der Stand gar nicht riesengroß war. Auf anderen Ständen wiederum kommt man sich mitunter vor wie auf einem Parkplatz, weil dort zwar viele Autos abgestellt sind, aber weder klar wird, wofür die Marke steht, noch was das Besondere an den gezeigten Modellen sein soll. Auf der letzten IAA war zum Beispiel der Stand von VW nicht sehr gelungen, wie auch bei anderen Volumenherstellern. Der Stand muss der Marke folgen. Wenn man etwa bei BMW einen Riesenaufwand betreibt, dann ist am Ende entscheidend, ob die Inszenierung tatsächlich auch Werte wie Freude am Fahren, Sportlichkeit und Dynamik kommuniziert oder ob man hinterher nur sagt "Der Stand war groß", weil vielleicht zu viele Themen gesetzt wurden. Das Entscheidende ist, eine nachhaltige Wirkung bei den Besuchern zu erzielen.
Ist nicht auch immer ganz banale Eitelkeit dabei? Man lässt die Muskeln spielen wie bei einem Bodybuilding-Wettbewerb, um den Konkurrenten nebenan schlecht aussehen zu lassen.
Natürlich. Es gewinnt der, der die größte Aufmerksamkeit erzielt. Die IAA ist zum Teil sicher auch ein Schaufenster der Eitelkeiten. Es ähnelt dem Gebaren auf dem Hamburger Fischmarkt, wo es auf markige Sprüche und auf Lautstärke ankommt. Das Prinzip ist das gleiche. Darin liegt aber auch eine große Chance. Die IAA gewährt Einblicke in Themen, die die Wettbewerber besetzen. Nirgendwo kann man so unmittelbar erleben, was die anderen machen und wie die Resonanz darauf ausfällt. Das ist ein Gradmesser dafür, was sich künftig am Markt durchsetzen wird. Man muss auf der IAA ein Zeichen setzen.
Vor allem Luxusmarken machen das gerne. Ferrari zum Beispiel präsentiert seine Autos wie Preziosen hinter Glas.
Gerade für Luxusmarken gilt, Begehrlichkeit zu erzeugen. So eine Inszenierung stellt klar: Dies ist ein Auto, auf das nicht jeder seine Hände legen kann. Es ist wichtig, Luxuswagen wie Unikate zu präsentieren, die für die Masse unerreichbar bleiben werden. Rolls- Royce hatte vor zwei Jahren, glaube ich, nur ein einziges Auto ausgestellt. Wenn Sie dann vor dem Kühlergrill stehen und der reicht Ihnen fast bis zur Brust, strahlt das gehörigen Respekt aus. Eine markentypische Inszenierung ist immer entscheidend.
Kann man eigentlich den Nutzen eines IAA-Auftritts für eine Marke messen?
Den möglichen Erfolg kann man an den Reaktionen des Publikums ablesen, und die haben eine deutliche Indikatorwirkung für die spätere Wirkung auf die Masse. Die sogenannte frühe Minderheit, zum Beispiel die Leser von Automobilzeitschriften, kann durchaus ein Gradmesser für den späteren Erfolg eines Themas, eines Features am Markt sein.
Demnach kann ein verpatzter Auftritt auch Folgen in späteren Geschäftsjahren haben?
Natürlich. Eine Inszenierung muss sitzen. Schnickschnack nur um des Spektakels willen und losgelöst vom Profil eines Herstellers bringt nichts. Ein paar Hostessen, die zwischen den Automodellen herumstehen, mögen ganz nett anzusehen sein und leisten vielleicht einen Beitrag zum emotionalen Wahrnehmungsklima. Wenn sich aber die Ansprechpartner auf dem Stand nicht auskennen oder Produkte schlecht in Szene gesetzt sind, kann der Auftritt nach hinten losgehen. Ich erinnere mich, dass vor zwei Jahren drei chinesische Hersteller vertreten waren. Das war natürlich eine Kampfansage an die etablierten Hersteller. Dann aber stand dort zum Beispiel ein SUV, das noch auf der Messe zu rosten anfing. Das war ein nachhaltiges Erlebnis, das damals die Runde gemacht hat. Ob der Hersteller sich die Wirkung seines Auftritts so vorgestellt hat, darf man bezweifeln.
Sie haben das Thema Hostessen angesprochen. Offenbar geht es aber nicht ohne ...
Emotionen spielen eine wichtige Rolle. Erst kommt der gefühlte Eindruck, dann kommt das genaue Verständnis. Daher ist es wichtig, wie ein Messestand die Besucher emotional anspricht, wie die Automobile präsentiert werden. Und natürlich erzielen auch die Personen, die sich zwischen den Autos aufhalten, eine Wirkung. Gesetzte Themen müssen seriös, das ist am wichtigsten, aber auch unterhaltsam in Szene gesetzt werden.