Fast schon Stoff für eine Realsatire liefert Ausgabe 1/ 2020 der VW-Betriebsratszeitung ebenfalls: "Wenn die Kolleginnen und Kollegen in der Wagenfertigstellung bei einem der vielen Golf 8 mit Software-Fehlermeldungen gar nicht mehr weiterwissen, kommt die Geheimwaffe zum Einsatz: eine Ratsche mit 10er-Nuss. Damit wird dann die Batterie abgeklemmt und so das ganze Auto stromlos gemacht. 'Das ist wie zuhause mit der Fritzbox: Aus der Steckdose ziehen, eine Minute warten, und wieder einstecken. Dann ist das WLAN wieder da', sagt ein Kollege, der Tag für Tag in der Wagenfertigstellung die Fahrzeuge mit Fehlermeldungen abarbeitet. Der Trick geht so: Ohne Strom entladen sich die Kondensatoren in der Elektronik vollständig. Auch in Autos. Für die Golf 8 mit ihren vielen Softwarefehlern ist das wie der Neustart beim Computer. Beim Hochfahren klappt es dann hoffentlich besser".
Für den anstehenden Anlauf des wichtigen VW ID.3, eines reinen Stromers in der Kompaktklasse, lässt all dies nicht allzu viel Gutes erwarten, um es vorsichtig zu formulieren. Die Fragen an Herbert Diess und seine Vorstände in Konzern und Hauptmarke werden immer drängender. Eine Anfrage der Automobilwoche bei VW zu einem Statement rund um die massive Kritik des Betriebsrats ließ das Unternehmen bis 12.00 Uhr unbeantwortet. Etwas später meldete sich ein VW-Sprecher fernmündlich im Hamburger Kontor der Automobilwoche und sagte: "Der Golf 8 ist ein hervorragendes Auto, überzeugt international die Kunden, Händler und auch die Motorpressse, wo das Fahrzeug schon viele Tests gewonnen hat".
Bernd Osterloh will erkennbar die VW-Mitarbeiter aus der Feuerlinie nehmen – und macht weiter Druck: "Die Kolleginnen und Kollegen in Halle 12 und 54 tun, was sie können, damit der Golf in Top-Qualiät zu den Kunden kommt. Hier gehen nur einwandfreie Fahrzeuge raus, dafür sorgen unsere Fachleute der VW-Qualitätssicherung und die Beschäftigten an den Montagelinien. Wir müssen jetzt alle zusammen dafür sorgen, dass der Golf 8 endlich auf Kammlinie kommt. Ich fordere aber schon jetzt, dass dieser Anlauf noch einmal genau untersucht wird, und dass die Verantwortlichen im Vorstand für die Software-Fehler und die Verzögerungen benannt werden. Denn wer so mit dem Golf spielt, spielt auch mit den Arbeitsplätzen der Beschäftigten. Und zwar nicht nur im Werk, sondern weit darüber hinaus. Und bei der leichtfertigen Gefährdung von Arbeitsplätzen verstehen wir im Betriebsrat keinen Spaß".
In "Mitbestimmen!" ist überdies zu lesen: "Bei den Kolleginnen und Kollegen, die am und für den Golf arbeiten, wächst die Unsicherheit. Wann kommen GTI, GTD und der Golf R? Fest steht bisher nur: später als geplant. Prinzip Hoffnung herrscht in den Hallen 54 und 12. Und jedes Mal wächst die Sorge ein bisschen mehr, wenn wieder die Ratsche mit der 10er-Nuss gefragt ist".
Bernd Osterloh unmissverständlich: „Ich erwarte von Führungskräften bei VW einen respektvollen und partnerschaftlichen Umgang mit ihren Teams. Das nennt sich soziale Kompetenz. Viele haben das, manche aber auch nicht. Wer Druck von oben nach unten einfach weitergibt, dem fehlt diese Kompetenz". Und: "Der Golf ist der Stolz der Marke VW und eines der wichtigsten deutschen Industrieprodukte. Das Auto sichert zehntausende Arbeitsplätze in Wolfsburg und weit darüber hinaus. Darum ist der Betriebsrat entsetzt, wie nachlässig und schwach der Vorstand weit vor dem Anlauf das ganze Projekt aufgestellt hat. Die Beschäftigten in Produktion und Entwicklung tun alles, damit der Golf auf Stückzahl kommt. Aber im Vorstand will niemand die Verantwortung für die Ursprünge dieses Problems übernehmen, obwohl alle ja schon seit Jahren dabei sind. Ich und meine Kolleginnen und Kollegen erwarten jetzt ein klares Wort von ganz oben".
Bei VW ist mit "ganz oben" Herbert Diess gemeint. Und Hans Dieter Pötsch, der Chef des Aufsichtsrats. Automobilwoche wird berichten.
Lesen Sie auch:
Bernd Osterloh benennt aktuelle Druckstellen in Wolfsburg: VW-Betriebsrat moniert Anlaufprobleme beim Golf 8
EXKLUSIV – Partnerbetriebe müssen länger liefern: VW verschiebt Modelljahreswechsel beim MQB
Smart Data Car Data – VW-Vorstand Christian Senger: "Der ganze Laden hängt an dem Ding dran"
Aus dem Datencenter:
Wer liefert was für den VW ID.3 Baujahr 2020?