München. Am 10. Januar 2008 blickte die Autowelt auf Delhi. Denn in der Metropole auf dem indischen Subkontinent wurde in der überfüllten Halle 11 der Auto Expo mit dem Tata Nano das billigste Auto der Welt erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Der Kleinstwagen aus dem Firmenimperium des indischen Milliardärs Ratan Tata gilt als Paradebeispiel und gleichzeitig als Hoffnungsträger für das neue Autosegment der Low- Cost-Cars. Nach Meinung vieler Experten wird diese neue Generation von Fahrzeugen die gewachsenen Strukturen der Autoindustrie nachhaltig verändern. Gedacht sind solche Billigautos, die technisch simpel sind und für westliche Geschmäcker meist ziemlich hässlich wirken, in erster Linie für schnell wachsende Märkte in Schwellenländern wie Indien oder China.
Als Low-Cost-Cars werden allgemein Fahrzeuge bezeichnet, die unter 10.000 Dollar beziehungsweise unter 7000 Euro kosten. Der Dacia Logan gilt als eines der ersten Autos dieser neuen Spezies. Mit einem Preis von 5000 Euro im Stammmarkt Rumänien ist er das bis dato billigste Auto Europas. Doch viele Automobilmanager hielten den Erfolg des Low-Cost-Pioniers zunächst für einen Einzelfall. Das Bild hat sich gewandelt, mittlerweile engagiert sich ein Großteil der Volumenhersteller in dem einen oder anderen Low-Cost-Projekt. „Wer seine Position als Autohersteller im Weltmarkt behaupten will, braucht ein Angebot im Low-Cost- Car-Segement“, sagt Ferdinand Dudenhöffer, Direktor des Center Automotive Research der Fachhochschule Gelsenkirchen. „Wer jetzt nicht vernünftig einsteigt, wird dem Trend bald hinterherrennen.“ Marktbeobachter gehen davon aus, dass im Jahr 2015 weltweit mindestens z e h n Millionen Low- Cost-Cars verkauft werden. Ein Geschäft, von dem vor allem die Zulieferer profitieren. Viele Branchengrößen sind bereits gut in den neuen Märkten aufgestellt. Der Tata Nano ist ein globales Industrieerzeugnis, bei dem auch deutsche Zulieferer zum Zuge kommen: Bosch etwa liefert das Motorsteuerungssystem, Teile der Bremsanlage, Starter und Generatoren.
Von Continental stammen Benzinpumpe und -füllstandsensor. Weil das Segment der Low-Cost- Autos mit etwa fünf Prozent Wachstum doppelt so schnell wächst wie der Gesamt-Pkw-Markt, will Bosch mit Low-Cost-Produkten spätestens 2010 jährlich eine Milliarde Euro umsetzen. „Es ist für uns sehr wichtig, in den Emerging Markets früh dabei zu sein“, sagt Wolf-Henning Scheider, bei Bosch verantwortlich für das Geschäft mit Benzineinspritzsystemen. Der Tata Nano wird beispielsweise schon wegen seines einzigartig geringen Preises von 100.000 Rupien, umgerechnet 1700 Euro, zunächst eine Klasse für sich darstellen. Große Stückzahlen sind angepeilt. 250.000 Exemplare will Ratan Tata, Chef der Tata Group, vom Volksauto jährlich bauen, mittelfristig sollen pro Jahr mindestens eine Million Nano vom Band laufen. Und das indische Eigengewächs ist nur eines von vielen Low-Cost- Beispielen. Immer mehr Volumenhersteller setzen auf Billigfahrzeuge. Renault plant unter dem Code- Namen ULC ein eigenes Billigauto für den indischen Markt, das in Kooperation mit dem indischen Fahrzeughersteller Bajaj Auto gebaut werden und umgerechnet nicht mehr als 1600 Euro kosten soll. Der Kleinwagen soll ab 2011 mit zunächst 400.000 Exemplaren pro Jahr dem Nano Konkurrenz machen.
Toyota plant, ein Billigauto in einer neuen Fabrik in St. Petersburg zu bauen. Der russische Markt ist für Toyota bereits wichtiger als der deutsche. Auch Hyundai will einen Billigwagen für rund 2200 Euro für den chinesischen, später auch den indischen Markt bauen. Der Preisdruck in den Schwellenländern ist enorm, daher setzen westliche Autohersteller auch nicht nur auf Low-Cost-Produkte westlicher Zulieferer, sondern kaufen vor Ort Teile und Systeme von lokalen Anbietern. So hat Volkswagen im Sommer eine Kooperation mit dem indischen Zulieferer Minda Industries (MIL) verkündet. Das Unternehmen mit Sitz in Delhi soll für künftige VW-Modelle des indischen Markts Scheinwerfer und Heckleuchten liefern. Nach Informationen der indischen Finanzzeitung „Economic Times“ ist die Kooperation zudem grenzüberschreitend – MIL wird Heckleuchten auch für ein VW-Modell zuliefern, das in Russland gefertigt werden soll. Die Emerging Markets sind riesig – somit auch die Konkurrenz. Allein in China gibt es mehr als hundert Hersteller von Pkw, auch in Indien sind es Dutzende. Um bei den Kosten mit einheimischen Unternehmen mithalten zu können, entwickeln und produzieren Zulieferer wie Bosch und Conti spezielle Billigvarianten ihrer Produkte vor Ort.
Conti hat gerade ein Karosseriesteuergerät entwickelt, einen „Basic Function Controller“, der noch 2008 erstmals in einem Pkw des chinesischen Herstellers Geely zum Einsatz kommen soll. Dieses Gerät wurde „von Grund auf neu konzipiert und ist nicht etwa nur eine abgespeckte Version eines vorhandenen Produkts“, sagt Markus Gentzsch, Systemingenieur des Zulieferers in Schanghai. Mit bewährten Produkten aus dem Regal kann man in den neuen Märkten nicht landen, die Bedürfnisse der lokalen Autohersteller und vor allem ihre Preisvorstellungen unterscheiden sich gravierend von denen westeuropäischer Autobauer. „Man muss sehr schnell und flexibel auf Kundenwünsche eingehen können“, sagt Gentzsch. Imageprobleme durch das Billiggeschäft sind für die meisten Zulieferer kein Thema. Aber „einige unserer Kunden legen vielleicht nicht immer den gleichen Qualitätsanspruch an wie wir“, sagt Hans Hiebl, zuständig für das Segment asiatischer Kunden in der Business Unit Body & Security der Division Interior bei Continental in Yokohama, Japan. „Wir sehen aber eine extrem schnelle Lernkurve bei den Herstellern.“ Und wenn ein Autobauer noch niedrigere Preise „unter Vernachlässigung der Qualität“ fordere, „dann sind wir bereit, die Lernkurve abzuwarten“, so Hiebl. „Wir stellen zwar Produkte für Low-Cost-Autos her, aber keine Billigteile. Der Qualitätsstandard unseres Unternehmens gilt für alle Produkte, egal wo und für wen sie gefertigt werden.“
Ähnliches hört man bei Bosch. „Man muss lokale Kompetenz vor Ort haben“, sagt Wolf-Henning Scheider vom Geschäftszweig Benzineinspritzsysteme. So konnten relativ schnell weitere Entwicklungszentren im indischen Bangalore und auch in Schanghai in China aufgebaut werden, die jetzt für das Nano-Projekt von Tata in Zusammenarbeit mit dem Stuttgarter Entwicklungszentrum von Bosch ein vollkommen neues Motorsteuerungssystem konzipiert haben – zu einem unschlagbar günstigen Preis. Davon profitieren laut Scheider nicht nur die indischen Kunden. Neue Entwicklungen für Billigautos könnten mitunter so gut durchdacht sein, dass sich damit auch Kosten bei der Herstellung von Systemen für die Premiummarken einsparen lassen. Und es zeichnet sich ein weiterer Trend ab: Die Hersteller von Low- Cost-Cars in Ländern wie Indien und China emanzipieren sich vom Status eines Produzenten, der ausschließlich Billigautos für die heimischen Metropolen fertigt. Indien hat mittlerweile seinen eigenen Schwellenland- Markt entdeckt: Tata Motors investierte gerade 100 Millionen Dollar in eine neue Fabrik nahe Pretoria in Südafrika, um Busse und Lkw für den afrikanischen Markt zu produzieren. Und eventuell auch den Nano. „Warum nicht?“, sagt Ravi Kant, Chef von Tata Motors. „Afrika ist einer unserer wichtigsten Märkte. Der Nano würde gut dorthin passen.“