Was macht eigentlich Bernd Pischetsrieder? Diese Frage wurde in Wolfsburg zum geflügelten Satz, nachdem der Manager 2006 ebenso überraschend wie kurzfristig seinen Posten als VW-Chef räumen musste. Schließlich war sein Vertrag erst kurz zuvor verlängert worden und lief trotz Entmachtung weiter. Die vielsagende Antwort der neuen VW-Spitze: Er mache das, was man ihm sage. Und innoffiziell: Möglichst wenig und sich selten in Wolfsburg blicken lassen. Inzwischen ist Pischetsrieder wieder weit oben angekommen. Seit Ende März steht er an der Spitze des Aufsichtsrats von Daimler. Damit gelang dem heute 73-Jährigen etwas, das sonst noch niemand geschafft hat: nacheinander bei den drei großen deutschen Autokonzernen vorne mitzumischen. Erst als BMW-Chef, dann bei VW und nun im Aufsichtsrat von Daimler. "Seine Expertise und sein Erfahrungsschatz sind für die Daimler AG von herausragender Bedeutung", lobte sein Vorgänger Manfred Bischoff die Wahl des Nachfolgers.
Pischetsrieder ist nicht die einzige Führungskraft von einst, die auch nach ihrem Abschied aus dem aktiven Management weiter gefragt ist. Anders als er nutzen die meisten ihre Kontakte aber eher, um im Hintergrund die Fäden zu ziehen. Karl-Thomas Neumann zum Beispiel. Der Manager, der erst Continental-, dann VW-China- und schließlich Opel-Chef war, hatte sich 2018 nach Kalifornien zurückgezogen und baute das E-Auto-Start-up Canoo mit auf. Zu Wort meldete er sich auch von dort regelmßig. Inzwischen ist er aus Amerika zurück, mischt beim israelischen Start-up Autobrains mit, das das autonome Fahren vorantreiben will, und ist dort Chef des Aufsichtsrats. Und zwar ein sehr aktiver, wie er selbst sagt. Dass Conti inzwischen wichtigster Partner der Israelis ist, dürfte nicht zuletzt er eingefädelt haben.
An Wechselfreude stand ihm Wolfgang Bernhard nicht nach. Der Ex-McKinsey-Mann war bis 2007 Markenchef erst von Chrysler, dann von Mercedes-Benz und schließlich von VW Pkw, wurde dann Berater des Finanzinvestors Cerberus, als dieser Chrysler aus dem Daimler-Konzern herauskaufte, und kehrte danach zu Daimler zurück, wo er zuletzt die Truck-Sparte leitete. Seit seinem Abschied 2017 ist er selbst als Investor aktiv und stellt sein Wissen in Aufsichtsräten zur Verfügung. Vor allem dort, wo mit der Autoindustrie zusammengearbeitet wird. Etwa bei Andritz, der Mutter des Anlagenbauers Schuler, oder beim Karosseriezulieferer Austria Metall.
Dass es die einstigen Topmanager so oft in Aufsichtsräte zieht, ist nach Einschätzung von Experten typisch. Sie können ihre Erfahrungen einbringen und alte Kontakte nutzen, ohne selbst in der aktiven Verantwortung zu stehen. Den Sprung direkt in das Kontrollorgan eines Konkurrenten wagten neben Pischetsrieder nur wenige. Winfried Vahland etwa. Der Ex-Škoda- und Ex-VW-China- Chef hatte den Konzern 2015 im Streit verlassen. Dabei hatte er den Job als VW-Amerika-Chef eigentlich schon in der Tasche. Stattdessen tauchte er 2019 bei Volvo auf. Dort sitzt er seither im Aufsichtsrat.
Übernommen hat Vahland den Posten von einem anderen Veteranen der Autoindustrie: Carl-Peter Forster. Der Ex-Opel- und Ex-GM-Europe-Chef war 2010 zunächst zu Tata nach Indien gewechselt, bliebt dort aber nur anderthalb Jahre. 2013 trat er bei Volvo ins Kontrollorgan ein. Und auch nach seinem Abschied dort zieht sich der heute 67-Jährige nicht aufs Altenteil zurück. Beim Zulieferer Hella leitet er den mächtigen Gesellschafterausschuss, und beim israelischen Start-up Foretellix, das an Lösungen fürs autonomen Fahren arbeitet, zog er 2021 in den Beirat ein. Die Parallelen zu Neumanns Autobrains-Engagement sind unverkennbar. Kurz nach Forsters Ernennung verkündete Volvo eine Kooperation mit Foretellix.
So reibungslos l uft es nicht immer. Der ehemalige Porsche- und VW-Chef Matthias Müller etwa sollte der neuen Marke Piech von Porsche-Urenkel Anton Piech als Türöffner dienen. 2020 wurde er an die Spitze des Aufsichtsrats berufen. Doch schon ein Jahr später warf Müller das Handtuch. Grund waren Meinungsverschiedenheiten über die Ausrichtung.
Norbert Reithofer dagegen blieb einfach, wo er war: 2015 wechselt er bei BMW nahtlos vom Vorstandsvorsitz an die Aufsichtsratsspitze. Seither zieht er dort als starker Mann im Hintergrund weiter die Fäden.
Wolfgang Porsche ist sogar schon seit 2007 Aufsichtsratschef des Sportwagenbauers. Sein Einfluss ist seither noch gewachsen. Inzwischen sitzt er auch bei VW und Audi im Aufsichtsratspräsidium. Vor allem ihm ist es zu verdanken, dass der aktuelle VW-Chef Herbert Diess nicht längst gehen musste. So viel Rückhalt hätte sich damals wohl auch Pischetsrieder gewünscht. Doch bei VW hatte "WoPo" seinerzeit noch nichts zu sagen. Erst 2008 zog er dort ins Kontrollorgan ein.
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