"Wir müssen ganz klar fokussieren"

Herr Andorff, unter den VW-Marken hat Seat eine vergleichsweise junge Kundschaft. Was bedeutet das für Ihre Arbeit als Entwicklungsvorstand und für Ihre Teams?

Die Abgrenzung der Marken ist bei uns innerhalb der Gruppe klar geregelt: Jede Marke hat eine definierte Aufgabe. Unsere Aufgabe bei Seat und Cupra ist es, junge Kunden an die Gruppe heranzuführen. Das erreichen wir einerseits mit frischem, sportlichem und emotionalem Design; andererseits dadurch, dass wir das Versprechen, das wir über das Design geben, auch in funktionalen Produkt-Features erfüllen. Für mich heißt das, unserem Designteam ein Höchstmaß an Freiheit zu geben und gleichzeitig die Technikprämissen im Auge zu behalten.

Wie funktioniert das konkret?

Hier haben wir natürlich hoch emotionale, zugleich aber auch immer absolut professionelle Diskussionen, in denen wir um die beste Lösung ringen. Das führt dann zu Produkten wie dem Formentor oder dem neuen Leon – herausragende Designs gepaart mit korrespondierender Technik. Nehmen Sie das sehr agile Fahrverhalten, welches uns gerade erst für den neuen Leon von Ihren Kollegen bescheinigt wurde. Besonders wichtig für unsere Kundschaft ist ein Höchstmaß an Connectivity – auch das erfüllen der neue Leon und der Formentor. Dass Schönes auch funktional sein kann, beweisen wir unter anderem bei dem Maßkonzept des neuen Leon: Wenn ich mir mit meiner Körpergröße von 1,97 Meter den Fahrersitz passend einstelle, kann ich trotzdem noch komfortabel hinter dem Fahrersitz Platz nehmen.

Fahrzeuge von Seat sollen besonders viele Emotionen vermitteln. Wie lässt sich das bewerkstelligen

Emotionen fangen schon mit dem allerersten Blick an: Da steht für uns natürlich unser "Design made under the shiny sun of Barcelona" als elementarer Markenkern ganz oben. Das ziehen wir konsequent durch. Auch der zweite und dritte Blick begeistert – sei es das Interieur oder das Human-Machine-Interface, HMI. Hier schreiben wir die Designsprache des Exterieurs stringent fort. Dazu kommen dann die Eindrücke, wenn man unsere Autos "er-fährt" oder beispielsweise über Sprachbindung mit ihnen kommuniziert – das weckt die Emotionen, die unsere Kunden begeistern.

Der verstorbene VW-Konzernchef Ferdinand Piëch wollte Seat als Rivalen gegen Alfa Romeo positionieren. Ist der Plan noch aktuell?

Unsere gesamte Branche ist hoch dynamisch. Seat hat sich in den vergangenen Jahren blendend entwickelt, und die Marken Seat und Cupra sind sehr gut positioniert. Neben der klaren Positionierung in unserer Gruppe bin ich ein großer Fan externen Benchmarkings. Das machen wir konsequent, in unserem Segment sind wir nicht mehr auf eine Marke begrenzt.

Seat ist besonders stark in südlichen Ländern, und dort sind auch Kleinstwagen seit jeher ein wichtiges Segment: Wird der Mii einen Nachfolger bekommen?

Wir haben den Mii Electric, der bei unseren Kunden sehr gut ankommt. Wir sind uns der Bedeutung dieses Segments voll bewusst, und deshalb arbeiten wir auch an solchen Produkten.

Seat arbeitet mit der Technischen Entwicklung von VW in Wolfsburg zusammen. Wie oft sind Sie persönlich am VW-Stammsitz?

Natürlich bin ich, wie mein gesamtes Team, ständig im engsten Austausch mit den Teams in Wolfsburg, aber auch Ingolstadt und Mladá Boleslav. Einige markenübergreifende Entscheidungen müssen vor Ort und, trotz aller digitalen Tools und einem hohen Maß an Simulationen, an Hardware getroffen werden. Wir sind da meines Erachtens sehr effizient, da wir Themen bündeln – beispielsweise im Rahmen von Testdrives. Einige Design-Entscheidungen mit den anderen Marken werden dann aber auch in Barcelona getroffen, da wir hier, insbesondere wegen der besonderen Lichtverhältnisse, exzellente Voraussetzungen haben.

Wann bevorzugen Sie Videokonferenzen oder andere Instrumente für den Informationsaustausch?

Der mit Abstand größte Teil läuft definitiv über Video- und Telefonkonferenzen. Wir haben hier State-of-the-Art-Technologien, die uns massiv unterstützen, um unser Business zeit-, kosten- und natürlich auch CO2-effizient mit möglichst wenigen Reisen zu erledigen. Und auch in der jetzigen Situation, mit Covid-19, lernen wir tagtäglich und werden daraus bezüglich unserer digitalen Skills gestärkt hervorgehen.

Welche technischen Eigenschaften müssen einen Seat von einem vergleichbaren VW immer unterscheiden?

Es sind die Eigenschaften, die unsere Marke definieren. Im Zentrum steht da definitiv das Design, das ja deutlich mehr als nur "schön" zu sein hat. Die technischen Anforderungen sind so vielfältig, dass auch das Design an sich ein technisches Meisterwerk ist. Darüber hinaus sind es natürlich die technischen Eigenschaften, die Emotionen unterstützen und die Attraktivität für unsere Kunden ausmachen. Konkret sind das eine Seat-spezifische Fahrdynamik bezüglich Agilität, Querbeschleunigung, Handling. Ohne klassische Fahrzeugmerkmale zu vernachlässigen, gewinnt auch mehr und mehr das Thema HMI-User-Experience an Bedeutung, wie in unserem neuen Leon.

Und was muss darüber hinaus ein Cupra auf jeden Fall können?

Cupra hat seine eigene DNA. Nehmen wir zum Beispiel den neuen Cupra Leon und den Cupra Leon Sportstourer. Hier gehen wir in Bezug auf Design, Technologie und Fahrdynamik noch einen ganzen Schritt weiter. Insbesondere beim Fahrverhalten schwingt der Ursprung von Cupra, der Motorsport – Cupra kommt von CUP RAcing – mit. Dabei profitieren wir natürlich auch von unseren Racern wie Mattias Ekström und Jordi Gené, die wir eng in Entwicklungs- und Abstimmungsprozesse einbeziehen. Aber damit ist noch nicht Schluss. Aktuell geht es bis zum Formentor – hier fährt Cupra mit einem Cupra-exklusiven, eigenständigen Fahrzeug vor. Die Feedbacks, die wir nach der Vorstellung bekommen haben, sprechen für sich.

Bedauern Sie, dass sich der VW-Konzern aus der Entwicklung neuer Gasantriebe zurückzieht?

Wir müssen ganz klar fokussieren! Für uns in der Gruppe ist dieser Fokus definitiv die Entwicklung von Elektrofahrzeugen. Mit dem Mii Electric, dem El-Born und dem Tavascan zeigen wir unsere Richtung. Eine Fokussierung bedeutet jedoch nicht, dass wir Positionen unseres Angebots-Portfolios von heute auf morgen abschalten. Bis wir die Wende zur E-Mobilität geschafft haben – und mit "wir" meine ich Industrie, Infrastruktur, den Markt et cetera –, wird es andere Antriebe geben, darunter auch Gasantriebe.

Welche Chancen räumen Sie perspektivisch der Brennstoffzelle als Antriebsoption für Seat-Pkw ein?

Die Wasserstofftechnologie ist interessant aufgrund der schnellen Betankung und höheren Reichweite. Trotzdem sind die benötigte Infrastruktur, ein kleinerer Wirkungsgrad und die Kosten klare Nachteile – zumindest im Einsatzbereich Pkw. Daher sehe ich perspektivisch keinen Einsatz bei Seat oder Cupra.

Welches Karosseriekonzept, das Seat noch nicht im Portfolio führt, würden Sie gern umsetzen?

Die Frage ist für mich sehr leicht und ganz konkret mit einem Namen zu beantworten: Tavascan, Cupras vollelektrisches SUV-Coupé, das wir als Konzeptfahrzeug auf der IAA 2019 gezeigt haben.

Elektrifizierung, Digitalisierung oder autonomes Fahren – welcher Treiber beschleunigt die Transformation von Seat am stärksten?

Bei der Diskussion der Treiber der Seat-Transformation sind Elektrifizierung und die Digitalisierung in einem Atemzug zu nennen. Elektrifizierung ist Kernthema und, wie erwähnt, unser klarer Fokus. Ebenso ist Digitalisierung Schlüsselthema. Sie spielt in allen Fahrzeugen, also auch den Nicht-Elektroautos, eine zentrale Rolle, so in unseren Fully-connected-and-always-on-Fahrzeugen wie dem neuen Leon oder dem Formentor. Darüber hinaus ist Digitalisierung auch in beinahe jedem anderen unserer Geschäftsprozesse – in der Produktion, im Vertrieb – Treiber unserer Transformation.

Dieses Interview stammt aus der "edition 70 Jahre Seat". Das Heft können Sie jetzt im Shop bestellen.

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