Gericht erklärt VW-Betriebsratswahl für ungültig - Richterin nennt nun Gründe

Das Urteil kam überraschend und hatte es in sich, eine Begründung gab es zunächst nicht: Am 13. Juli hatte das Arbeitsgericht Braunschweig die jüngste VW-Betriebsrats in Wolfsburg für ungültig erklärt. Jetzt legte das Gericht die schriftliche Begründung nach. Der Betriebsrat wiedersprach der Argumentation sofort und zeigte sich zuversichtlich, das Urteil in der nächsten Instanz zu korrigieren. Notfalls ziehe man bis vors Bundesarbeitsgericht.

Zwei Punkte monierte die Braunschweiger Richterin Christine Heidelk in ihrer schriftlich nachgereichten Urteilbegründung: Die Briefwahlunterlagen seien zu spät verschickt worden und die eingehenden Wahlbriefe dann nicht ausreichend gegen Wahlfälschung geschützt gewesen. Der Urnengang, so ihr Urteil, sei daher anfechtbar und für unwirksam zu erklären. Auf die anderen von den Klägern angeführten Vorwürfe ging die Richterin nicht weiter ein. Die insgesamt neun Kläger von unterlegen Listen hatte unter anderem auch Behinderungen im Wahlkampf und das Überkleben von Plakaten moniert.

Knackpunkt beim Versand der Briefwahlunterlagen waren vor allem die letzten Wahlbriefe, die nur wenige Tage vor der Wahl verschickt wurden. Grund: Wegen des Kabelengpasses aus der Ukraine hatte VW kurz vor der Wahl, die für März angesetzt war, zahlreiche Mitarbeiter in Kurzarbeite geschickt, die jetzt per Brief abstimmen sollten. Doch die Wahlunterlagen an die letzten 300 Mitarbeiter seien erst drei Tage vor dem Beginn der Abstimmung verschickt worden, monierte die Richtering. Das sei deutlich zu spät. Zwar gebe es im Gesetz dafür keine Frist, doch spätestens eine Woche vor der Wahl, so forderte die Richterin, hätten de Wahlbriefe ankommen müssen. Das sei hier nicht eingehalten worden.

Als zweiten Punkt monierte das Gericht den Umgang mit den rund 35.000 Wahlbriefen, die zurückkamen. Die seien zum Teil in offenen Postkästen transportiert worden und bis zur Auszählung nicht ausreichend gegen Manipulation geschützt worden. Auch das sah die Richterin als Verstoß gegen die Wahlordnung.

Der VW-Betriebsrat sieht das anders. "Die Ausführungen des Arbeitsgerichts überzeugen nicht", erklärte Rechtsanwältin  Olivia Günter, die den Betriebsrat in dem Verfahren vertreten hatte. "Hier hat die Kammer den Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt." Stattdessen habe das Gericht Vermutungen angestellt und daraus dann einen Verstoß hergeleitet. Sie sei dagegen der klaren Überzeugung: "Dem Wahlvorstand ist nichts vorzuwerfen."

Günter zeigte sich daher zuversichtlich, dass das Urteil in der nächsten Instanz kassiert werde. Der Betriebsrat hatte bereits direkt nach dem Urteil angekündigt, vor das Landesarbeitsgericht zu ziehen. Notfalls werden man bis zum Bundesarbeitsgericht gehen. Wann die nächste Instanz entscheidet ist völlig offen. Frühestens Ende des Jahres dürfte dort verhandelt werden, sagen Beobachter. Und wenn die Sache dann noch vors Bundesarbeitsgericht gehe, dürfte es noch länger dauern. Womöglich, so hieß es in Wolfsburg, wäre die Wahlperiode dann bereits um.

Konsequenzen habe das Urteil bis auf weiteres nicht, betonte der Betriebsrat. Denn die Wahl sei nur für unwirksam, aber nicht für nichtig erklärt worden. Der im März gewählte Betriebsrat bleibe daher unverändert im Amt, eine sofortige Neuwahl sei nicht notwendig. "Alle Betriebsratsmitglieder sind weiter im Amt, alle bisherigen und künftigen Entscheidungen sind uneingeschränkt wirksam."

Das Urteil hatte es in sich: Die Betriebsratswahl bei Volkswagen im März sei ungültig, erklärte das Arbeitsgericht Braunschweig am Mittwoch. Eine Begründung gab es zunächst nicht. Die soll nun schriftlich nachgereicht werden.

Der VW-Betriebsrat kündigte umgehend an, gegen das Urteil in Beschwerde zu gehen und das Landesarbeitsgericht anzurufen. Notfalls werde man bis vor das Bundesarbeitsgericht ziehen. Konsequenzen habe das Urteil bis dahin nicht. Das im März gewählte Gremium könne ganz normal weiterarbeiten. Das Urteil führe hier zu keinerlei Einschränkungen. "Unabhängig von dem laufenden Rechtsstreit ist der neue Betriebsrat im Amt" sagte ein Sprecher des Gremiums. "Alle seine Handlungen und Beschlüsse sind voll wirksam. Da gibt es keine Einschränkungen."

Geklagt hatten Vertreter von drei Listen, die bei der Wahl im März gegen die IG Metall angetreten waren, am Ende aber nur wenige Sitze erringen konnten. Betriebsratschefin Daniela Cavallo konnte mit ihrer IG-Metall-Liste mehr als 85 Prozent der Stimmen einfahren und damit 66 der 73 Sitze im Gremium erringen.

Ein Vertreter der Liste "Wir für Euch", die am Ende nur eine Sitz bei der Wahl errungen hatte, sprach nach dem Urteil gegenüber der Automobilwoche von einem großen Erfolg. Man hoffe nun, das dies auch in der nächsten Instanz standhalte. Neben "Wir für Euch" hatten noch zwei weitere Listen ("Die Alternative" und "MIG 18") gegen die Wahl geklagt.

Moniert wurden unter anderem Verstößen gegen den Vorrang der Präsenzwahl vor der Briefwahl und der Umgang mit den eingehenden Wahlbriefen. Hier, so hieß es bei "Wir für Euch", sei das Wahlgeheimnis nicht gewahrt worden. Welcher der Gründe am Ende den Ausschlag gab, ließ das Gericht zunächst offen. Das soll nun in der schriftlichen Urteilsbegründung erläutert werden.

"Wir haben die Entscheidung des Arbeitsgerichts zur Kenntnis genommen"“, sagte ein Sprecher des Betriebsrats, "Nun gilt es, die schriftliche Begründung abzuwarten. Unabhängig davon ist aber bereits klar: Der Betriebsrat wird in die nächste Instanz gehen, um die aktuelle Entscheidung durch das Landesarbeitsgericht überprüfen zu lassen."

Die im Verfahren vorgetragen Gründe seien aber allesamt nicht stichhaltig, so der Sprecher weiter. "Die gegenüber dem Arbeitsgericht Braunschweig vorgetragenen Gründe für eine angebliche Anfechtbarkeit der Wahl überzeugen unserer Einschätzung nach weiterhin nicht." Man sei daher zuversichtlich, dass das Landesarbeitsgericht das Urteil wieder aufheben werde. Notfalls könne man bis vors Bundesarbeitsgericht ziehen.

In einer Mitteilung an die Beschäftigten betonte der Betriebsrat, die Entscheidung habe "gar keine" Auswirkungen auf seine Arbeit. Diese werde normal weiterlaufen. Das am Verfahren beteiligte Unternehmen Volkswagen hält die vom Gericht vorgebrachten Gründe für eine Anfechtbarkeit der Wahl ebenfalls nicht für überzeugend.

Die erfolgreichen Kläger hingegen betonten, das Gericht habe nur eine halbe Stunde für seine Entscheidung gebraucht. Den Mitgliedern der Listen "Wir für Euch", "MIG 18" und "Die Alternative" seien "gravierende Verstöße gegen die Wahlordnung" aufgefallen.