Hinter Ankündigungen einer nachhaltigeren Unternehmensführung stecken häufig PR-Gedanken. Doch das entmutigt die frühere Volvo-Cars-Einkaufschefin Martina Buchhauser nicht. Sie hat die „Procurement Initiative“ für ein Umdenken in der Beschaffung gegründet und wirbt für einen verantwortungsvollen Einkauf.
Frau Buchhauser, Stellantis und Renault haben jüngst Roadmaps für eine Kreislaufwirtschaft veröffentlicht. Ist das Thema Mainstream?
Das kann man leider nicht so pauschal bejahen. Viele Verantwortliche sind derzeit mit der schwierigen Teilebeschaffung und mit der Reparatur anfälliger Lieferketten voll ausgelastet. Deshalb ist das Nachhaltigkeitsthema vielerorts in den Hintergrund getreten. Dabei wird oft übersehen, dass resiliente Lieferketten und nachhaltige Beschaffung Hand in Hand gehen und sich gegenseitig ergänzen.
Welche Zusammenhänge bestehen dabei?
Vereinfacht formuliert gibt es dabei keinen Widerspruch zwischen Ökonomie und Ökologie – im Gegenteil. Kreislaufwirtschaft, stärkere Kooperation mit Lieferanten und Visibilität in der Beschaffung sowie der Einkauf im Nahbereich sind allesamt Hebel, mit denen man auch die Resilienz in der Wertschöpfung hebt – und zwar nachhaltig.
Welche Gegenargumente hören Sie häufig?
Das Hauptargument lautet, wir sehen keine Incentivierung – es rechne sich nicht. Dabei ist nun wirklich das Gegenteil richtig. Da sind zum einen die Investoren, die stärker denn je auf nachhaltige Strategien pochen. Dann die Kunden: Die schauen heute nicht nur intensiv auf die Produkte eines Unternehmens, sondern auch auf die Art und Weise, wie diese hergestellt werden. Und es gibt auch einen Benefit nach innen. Die Mitarbeiter wollen für Unternehmen arbeiten, denen Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit wichtig sind. Das schafft Motivation.
Sollte auch der Staat mehr Anreize setzen für einen nachhaltigeren Einkauf?
Der Staat setzt die Rahmenbedingungen wie etwa das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das 2023 in Kraft treten wird. Zusätzlich brauchen wir aber auch stärkere Vorgaben und Standards für die Themen CO2-Emissionen und Kreislaufwirtschaft, damit nicht jedes Unternehmen das für sich allein lösen muss. Hier gibt es auch schon branchenspezifische Kooperationen wie „Together for Sustainability“ in der Chemie und „Railsponsible“ in der Bahnindustrie.
Bei aller Sinnhaftigkeit nachhaltigerer Lieferketten: Werden dadurch nicht die meisten Produkte und Dienstleistungen teurer für den Endverbraucher?
Teilweise gibt es kostensteigernde Effekte, etwa wenn durch ein Nearshoring mehr Werkzeuge an mehr Standorten benötigt werden. Doch es gibt auch kostensenkende Effekte, etwa durch geringere Logistikkosten und stabilere Supply Chains, was Produktionsausfälle vermeiden hilft.
Sie haben mehrere Jahre den Einkauf bei Volvo Cars verantwortet. Was ist Ihre wichtigste Erkenntnis aus den Veränderungen, die Sie dort angestoßen haben?
Ein Unternehmen sollte seinen Lieferanten eine langfristige, planbare und partnerschaftliche Beziehung anbieten. Das heute noch übliche Lieferkettenhopping ist nicht nachhaltig und nicht resilient. Was nützt ein etwas günstigerer Komponentenpreis, wenn diese Komponenten nicht geliefert werden? Viele Unternehmen haben erkannt, dass sie umsteuern müssen. Nehmen Sie die jüngsten Batteriepartnerschaften. Langfristige Lieferbeziehungen sind dort unverzichtbar.
Was raten Sie Einkäufern, die sich nachhaltiger aufstellen wollen?
Sprechen Sie mit Ihren Lieferanten. Sie werden dabei viel Unterstützung erfahren. Und tauchen Sie mit ihnen tief in die Lieferkette ein. Fahren Sie hin zum Lieferanten, auch wenn er im Kongo sitzt. Nur vor Ort erfahren Sie, wie dort wirklich gearbeitet wird. Und dann: Der Einkauf muss seine Lieferketten aktiv gestalten und sollte diese nicht von anderen Unternehmensbereichen „sabotieren“ lassen. Er muss als Gatekeeper auftreten.
Das Interview führte Michael Knauer.
Aus dem Datencenter:
Umfrage zur Entwicklung der deutschen Autoindustrie beim Thema Nachhaltigkeit