Herr Hilgenberg, Sie wollen bei Cariad bis 2025 ein eigenes Betriebssystem 2.0 schreiben. Wie weit sind Sie?
Wir kommen gut voran. Der Proof of Concept ist zu 80 Prozent fertig, und im November haben wir eine erste minimal funktionsfähige Version, ein sogenanntes Minimum Viable Product, um die Test- Hardware erstmals auszuprobieren. Das sieht alles schon sehr gut aus. Wir wissen natürlich, dass noch harte Arbeit vor uns liegt. Doch mit dem Fortschritt bin ich sehr zufrieden.
Parallel arbeiten Sie auch an den Updates für die Version 1.1, die schon auf den MEB-Modellen ID.3 und ID.4 läuft, und an der Version 1.2 für die PPE-Modelle von Audi und Porsche, die 2023 starten. Schaffen Sie das alles?
Das ist schon ein gewaltiger Spagat. Im Moment arbeitet ein Großteil unserer 4500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an 1.1 und 1.2. Mehr als 1000 Leute arbeiten aber auch schon an 2.0, bisher vor allem an der Architektur. Doch jetzt kommt die Umsetzung. Da wird es noch einmal einen deutlichen Aufbau geben.
Wird der für 2025 geplante ID-Life schon das neue Betriebssystem an Bord haben?
Nein. Wir fangen 2025 mit dem Artemis von Audi an, und dann wird 2026 die Trinity-Flotte von Volkswagen folgen. Der ID-Life wird laut VW auf der MEB-Plattform basieren und hat die Version 1.1, die wir bis dahin aber deutlich weiterentwickeln.
Software gehörte bisher nicht zu den Stärken von VW. Bei Golf und ID.3 lief sie nur sehr holprig an. Was machen Sie dieses Mal anders, damit es besser läuft?
Es geht jetzt darum, die Lehren aus den Versionen 1.1 und 1.2 zu ziehen, die Cariad bei laufender Entwicklung übernommen hat. Bei 1.1 waren einige Funktionen in einer frühen Phase noch nicht stabil. Und wenn man das dann später beheben muss, bringt das den gesamten Projektplan durcheinander. Wir haben das gemeinsam hinbekommen. Daraus haben wir gelernt. Deswegen lege ich auch so großen Wert darauf, alles schon jetzt in dieser frühen Projektphase zu testen und abzusichern.
Andere Hersteller setzen beim Betriebssystem auf Google Automotive Service. Lohnt sich der Aufwand, alles selbst zu programmieren?
Ja, das lohnt sich. Google Automotive Service hat zwei wesentliche Pferdefüße: Google sagt Ihnen, in welchem Release-Takt Sie etwas beizusteuern haben. Sie sind also im Auto nicht mehr Herr der Funktion. Und Google verfolgt eine harte Linie bei den Daten und fordert Zugang zu den Kundendaten. Dieses Ökosystem geben Sie dann automatisch aus der Hand. Die Mehrwertservices baut dann Google auf. Das ist aber genau das, was der Volkswagen-Konzern als zukünftiges Geschäftsfeld sieht. Das wäre dann nicht mehr in unserer Hand.
Sollte Ihre Software 2025 nicht mit Google mithalten können: Werden die Kunden das noch als Vorteil akzeptieren?
Ich glaube schon. Google punktet vor allem mit dem Sprachassistenten und der Karte. Wir müssen andere Stärken zeigen. Zum Beispiel die gesamte Fahrzeuginszenierung im Innenraum. Alle Entwicklungen kommen von uns. Da wird Google nie für jeden Hersteller alle Schnittstellen anbinden können. Das können wir wesentlich besser machen. Hier schafft Cariad die Voraussetzungen, dass die Marken des Konzerns ihren Kunden etwas bieten, das sie woanders nie bekommen.
Und bei den Google-Stärken Karte und Sprachassistenz?
Da müssen wir natürlich auf Augenhöhe sein. Wir sind da schon gut unterwegs, müssen aber noch schneller werden. Und wir müssen smarter werden. So viel schneller ist Google gar nicht immer, doch das ist schon eine clevere Maschine. Wenn der Fahrer eine Frage stellt, schreibt Google erstmal die Frage ins Display und beschäftigt den Fahrer. Bei uns schaut man nur auf den Bildschirm, bis die Antwort kommt. Dabei sind wir im Vergleich eigentlich nicht schlechter, wir müssen es nur smarter inszenieren.
Sie wollen Cariad auch durch Zukäufe stärken, Hella Aglaia war der bisher größte. Wo haben Sie noch Bedarf?
Im Fahrerassistenzbereich wird es noch die eine oder andere Kompetenzakquisition geben. Auch beim Thema Software-Entwicklung. Weil wir das wirklich zu einem hohen Prozentsatz selbst machen wollen.
Werden Sie es denn aus eigener Kraft schaffen, alles selbst zu entwickeln?
Wir werden noch Partnerschaften eingehen. Wir wollen uns da nichts vormachen: Wir werden nicht aus dem Stand von 10 oder 15 Prozent Eigenleistung plötzlich auf 60 Prozent springen können. Wir müssen in dieser Generation schon noch Partner an Bord nehmen, nicht nur einkaufen wie bei Hella Aglaia, sondern auch taktische Partnerschaften eingehen.
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