Herr Schnauffer, Herr Diemer, Sie sind Forschungskoordinatoren bei Arena2036 in Stuttgart und Mitglieder im Catena-X-Konsortium. Am bekanntesten in der Automobilindustrie ist das von der Branche ins Leben gerufene Projekt Catena-X mit mittlerweile mehr als 100 Mitgliedern. Es soll die Lieferketten transparenter und widerstandsfähiger machen sowie Klarheit über die Nachhaltigkeit der Produkte schaffen. Wie greifen Gaia-X, Catena-X, Cofinity-X, Manufacturing-X und Arena-X in einander?
Schnauffer: In wenigen Worten lässt es sich so darstellen: Catena-X hat die Philosophie der Datensouveränität und Architektur von Gaia-X für ein unabhängiges europäisches Datenökosystem aufgenommen und setzt diese in ein für die Lieferketten der Automobilindustrie passendes durchgängiges Datenökosystem um.
Cofinity-X ist ein Joint-Venture einiger Catena-X-Partner, das als Betreibergesellschaft den kommerziellen Betrieb auf Basis der Catena-X-Standards aufnehmen wird und zentrale Dienstleistung und weitere Services anbieten wird.
Die neu entstehende Initiative Manufacturing-X soll den Branchenansatz von Catena-X auf die gesamte herstellende Industrie ausweiten. Und mit Arena-X werden wir in der Arena 2036 die Catena-X und perspektivisch auch Manufacturing-X erlebbar machen. Das kann eine Art Schaufenster werden, aber auch eine Art Werkstatt, in der unsere Mitglieder eigene Ideen und Versuche realisieren können.
Die Automobilindustrie hat doch mit Catena-X eine Lösung für die eigene Branche weitgehend fertig entwickelt. Cofinity-X sowie andere Anbieter wollen das Datenökosystem gerade mit konkreten Tools oder Dienstleistungen zum Leben erwecken. Da bringt ihr die Manufacturing-X-Initiative doch eigentlich nichts?
Schnauffer: Das scheint nur auf den ersten Blick so. Zum einen sind auch viele Unternehmen, die eigentlich zu anderen Branchen gehören, auch Bestandteil der Lieferketten der Automobilindustrie. Diese in das Datenökosystem einzubinden, soll über Manufacturing-X gelingen. Zum anderen ergeben sich bei den Tools und der Infrastruktur im Datenökosystem ganz andere Skaleneffekte und Kostensenkungen, wenn sie industrieweit und nicht nur in der Automotive-Branche eingesetzt werden.
Diemer: Manufacturing-X bringt noch einen weiteren Vorteil, von dem alle Branchen profitieren. Catena-X zielt im Wesentlichen auf die horizontale Integration der Lieferkette, also einen unternehmensübergreifenden Datenaustausch. Manufacturing-X sollte zusätzlich die vollständige vertikale Integration schaffen; so entsteht die Möglichkeit, Maschinen und Komponenten bis auf die Ebene des Shopfloor in die „Catena-X-Vernetzung“ einzubeziehen.
Sie erwähnten Gaia-X als Ursprung dieser Entwicklung. Welche Idee steht dahinter?
Schnauffer: Im Endeffekt das Leitbild Industrie 4.0 2030. Industrie 4.0 setzt einen umfassenden und effizienten Datenaustausch voraus – innerhalb von Unternehmen, aber sehr stark auch über Unternehmensgrenzen und über den Lebenszyklus von Produkten hinweg. Für diesen Datenaustausch muss bisher in der Regel auf zentrale Plattformen zurückgegriffen werden. Dazu besteht viel Skepsis beispielsweise im Hinblick auf Vendor Lock-in-Effekte oder mangelnde Interoperabilität mit anderen großen Plattformen und vieles mehr. Außerdem sind die Betreiber oft im Ausland und agieren in Rechtsräumen und unter Regulatorien, die teilweise schwer zu dem passen, was Europa sich für das Teilen von Daten der Wertschöpfungsketten wünscht.
Diemer: Datensouveränität ist hier ein ganz wichtiges Stichwort.
Schnauffer: Auch die technischen Möglichkeiten waren eher durch das Angebot der Hyperscaler, als durch den Bedarf der Industrie bestimmt. Deswegen entstand Gaia-X 2019 als Initiative europäischer Unternehmen und Institutionen, um Regeln für ein europäisches Datenökosystem zu entwickeln, das Souveränität, Interoperabilität und Nachhaltigkeit vereint. Auf Basis der von Gaia-X beschrieben Prinzipien und Architektur hat Catena-X 2021 begonnen, diesen Ansatz konkret auf die Bedürfnisse der Automobilindustrie herunterzubrechen und umsetzbar zu machen.Diemer: Ein wichtiger Unterschied besteht auch darin, dass die Daten nicht zentral verwaltet werden, sondern dass die Kontrolle der Daten bei dem Unternehmen bleibt, das die Daten bereitstellt. Das Unternehmen entscheidet ,mit wem, wann, wie und unter welchen Bedingungen es seine Daten teilt. Die eigentlichen Daten werden immer Punkt-zu-Punkt übertragen, dabei wird sichergestellt, dass die Übertragung nur stattfinden kann, wenn sie vertraglich abgesichert ist. Das stellt die als Kernkomponente entwickelte Software-Lösung, der sogenannte Eclipse Data Space Connector, sicher.