Herr Siebert, der chinesische Automarkt hat zuletzt deutlich geschwächelt. Geht das in diesem Jahr so weiter?
Die ersten drei Monate waren jetzt alles andere als überwältigend. Nach dem Wegfall der Subventionen für E-Autos und des befristeten Steuervorteils für Verbrenner zum Jahresende hatten wir ja schon erwartet, dass es um zehn oder 15 Prozent runtergeht. Das war auch der Stand der Zulassungen Ende März.
Aber die Auslieferungen gingen doch im März schon wieder nach oben?
Ja, aber das waren die Auslieferungen der OEMs an die eigenen Händler, nicht an Kunden. Die Auslieferungen der OEMs an die Händler waren im ersten Quartal in der Tat zehn Prozent im Plus, im März sogar 20 Prozent. Aber bei den Neuzulassungen, auf die es ja ankommt, sieht es ganz anders aus. Die waren 15 Prozent im Minus. Da stehen jetzt sehr viele Fahrzeuge bei den Händlern auf Lager. Und irgendwann werden die dann keine neuen Fahrzeuge mehr bestellen. Dann wird auch weniger gebaut.
Tesla hat in China sogar die Preise gesenkt, andere zogen nach.
Ja, im Januar ist der Absatz derart dramatisch eingebrochen, bei einigen Herstellern um 90 Prozent, dass sie einfach reagieren mussten. Um überhaupt Autos zu verkaufen, mussten sie die Preise reduzieren. Das sind durchaus erhebliche Nachlässe, bis zu 17 Prozent und mehr. Manche haben sogar die Listenpreise herabgesetzt, etwas, dass ein deutscher OEM niemals machen würde. Doch einige chinesische Anbieter haben das gemacht.
Hilft das?
Nicht wirklich. Viele Haushalte sagen sich inzwischen, da geht noch mehr, und warten mit dem Autokauf ab. Für die Hersteller ist der Preiskrieg eher nach hinten losgegangen.
Wann geht es wieder aufwärts?
Ich gehe davon aus, dass sich das auch im Jahresverlauf eher noch verschärfen wird. Grund sind ja nicht nur die Änderungen zum Jahreswechsel, sondern auch die generelle Konsumneigung. Seit 2020 gehen die Zuwächse der Haushaltseinkommen von zuvor acht auf drei Prozent zurück, zum ersten Mal seit Jahrzehnten, und das ist auch nicht besser geworden. Außerdem haben wir eine hohe Jugendarbeitslosigkeit. Das ist eine Mischung aus strukturellen und konjunkturellen Problemen, die dazu führt, dass die Konsumneigung sinkt. Und gespart wird vor allem bei hochwertigen Gütern, auch beim Auto.
Das heißt, die Autos, die jetzt auf Lager stehen, lassen sich nur mit noch größeren Rabatten absetzen?
Wenn überhaupt! Erschwerend kommt hinzu: Wir haben ein paar 100.000 Fahrzeuge, die ab Juli nicht mehr zugelassen werden können. Weil dann eine neue Abgasnorm gilt. Die Händler flehen die OEMs an: Hört auf, diese Autos zu bauen, die kriegen wir nicht mehr los. Aber die werden trotzdem weiter gebaut. Man erwartet, dass dann Hundertausende Fahrzeuge rumstehen werden. Die muss man wahrscheinlich verschrotten oder kann sie vielleicht noch in Afrika absetzen.
Womit rechnen Sie in China fürs Gesamtjahr?
Bei den Zulassungen gehen wir davon aus, dass die noch einmal einbrechen werden um fünf bis zehn Prozent. Im Moment liegen wir da noch deutlich drunter, aber es wird über das Jahr schon etwas besser werden. Aber es wird wieder unter dem Vorjahr sein.
Reicht das, um die Kapazitäten auszulasten?
Auf Dauer sicher nicht. So aufnahmefähig sind die Märkte in Europa oder Afrika einfach nicht. In der Tat lag die Auslastung 2022 im Schnitt nur bei 53 Prozent. Die OEMs hätten weitere 11,5 Millionen Pkw exportieren müssen, um eine Auslastung von 80 Prozent zu erreichen.
Und wie geht es danach weiter?
Wir erwarten, dass die Neuzulassungen in den kommenden Jahren auf dem Niveau verharren, wo sie jetzt sind. Der Markt stagniert schon seit 2018, und ich sehe nicht, dass es besser wird. Was wachsen wird, ist der Gebrauchtwagenmarkt, der bisher noch keine große Rolle spielt in China. Aber bei den Neuwagen sehen wir keine großen Sprünge mehr.
Mit China als weltweiter Lokomotive ist es also vorbei?
Ja. Wer glaubt, der Markt für Neufahrzeuge wird mal auf 30 oder 40 Millionen Fahrzeuge anwachsen, dem muss ich klar sagen: Das wird nicht der Fall sein. Diese Hoffnung kann man vergessen. Als Lokomotive für den weltweiten Automarkt fällt China aus. Und zwar auf Dauer. Ich kann daher nur allen OEMs und Zulieferern raten: Ihr müsst euch ein zweites Standbein aufbauen. Ihr könnte euch nicht ewig auf den chinesischen Markt verlassen.
Welche Rolle spielt dabei die Messe in Schanghai diese Woche?
Das ist schon gut, dass der persönliche Austausch wieder in Gang kommt. Doch das wird nicht helfen, den Markt zu beleben. Machen wir uns nichts vor. Aber es wird dem einen oder anderen helfen, den Marktanteil zu halten oder wieder zu steigern.
Was bedeutet das für die Produktionskapazität?
Die Kapazitätsauslastung bei VW liegt deutlich unter 50 Prozent. Da muss dringend was passieren. BMW und Mercedes läuft super. Kein Problem. Aber gerade VW ist in einem Segment unterwegs, das hart umkämpft ist. Bei den Verbrennern ebenso wie bei Elektro. Gerade im unteren Segment ist es sehr schwer geworden. Das gilt auch für andere Volumenhersteller, dass sie Marktanteile verlieren.
Lassen sich die Werke da überhaupt noch auslasten?
Gerade VW muss sich wohl überlegen, ob man wirklich noch Kapazität für vier Millionen Fahrzeuge vorhalten will. Die werden sie nicht mehr auslasten können. Da müssen Werke wahrscheinlich geschlossen werden. Da führt kein Weg mehr dran vorbei. Das gleiche Problem gibt es auch bei GM und bei Ford, bei allen Massenherstellern eigentlich. Ich glaube, am Ende wird es genau darauf hinauslaufen, dass hier Kapazitäten abgebaut werden müssen. Außer bei Toyota, die haben mal wieder alles richtig gemacht.
Nach BMW baut jetzt auch VW mit dem Cupra Tavascan in China für den Export. Ist das die Zukunft, das in China auch für den Export gebaut wird?
Bei BMW auf jeden Fall, bei Anhui VW auch. Weil VW hier anders als bei den anderen beiden Joint Ventures die Mehrheit hat. Und bei BMW ist das ähnlich. Das kann dann konsolidiert werden, man kann eigene Entscheidungen treffen, muss dann keinen Partner mehr fragen. Man kann dann ganz anders agieren. Das ist dann auch bei VW in Anhui der Fall. Man hat ja Kapazität in China, die vielleicht zu groß ist für den Markt. Die kann man dann nutzen.
Aus dem Datencenter: