So kämpfen Audi, BMW und Mercedes um ihren Nimbus

Sie sind weltweit die Aushängeschilder für hochwertige Fahrzeuge „made in Germany“: Audi, BMW und Mercedes-Benz. Zusammen kommen die drei Marken auf fast sechs Millionen verkaufte Autos – und alles Pre-mium. Sie haben den Begriff in der Automobilindustrie erst zum Leben erweckt. In dem Absatz-Dreikampf ist BMW im Jahr 2021 wieder die Nummer eins geworden. Auch 2022 setzten sich die Münchner gegen Audi und Mercedes durch (siehe Grafik Seite 8). Das Duell mit Mercedes ist dabei sehr eng, während Audis Abstand bei der Kernmarke fast 400.000 Fahrzeuge beträgt.

Doch der Titel des Absatzchampions im Premiumsegment verliert fast monatlich an Bedeutung. Nicht die Stückzahlen sind in den Chefetagen entscheidend, sondern die Gewinnmarge pro verkauftem Fahrzeug. Der Trend begann in der Corona-Pandemie und setzt sich seitdem fort. BMW, Mercedes und Audi eint die seit 2019 gesunkenen Absatzzahlen – und trotzdem können die drei Rekordgewinne für das vergangene Jahr verkünden. Für 2022 meldet Audi-CEO Markus Duesmann 7,1 Milliarden Euro Gewinn, Mercedes-Chef Ola Källenius verbucht 14,8 Milliarden Euro Plus, und bei BMW freut sich CEO Oliver Zipse über ein Nachsteuerergebnis von 18,6 Milliarden Euro.

In ihren Konzernstrategien gibt es indes durchaus Unterschiede. BMW verfolgt im Gegensatz zu den Konkurrenten einen Kurs, der weiterhin alle Antriebsformen berücksichtigt, statt sich rein der Elektromobilität zu verschreiben. Vorstandschef Zipse wählt dazu ein anschauliches Bild: „Wer zu lange versucht, auf einem Bein zu stehen, wird merken, dass er ein Problem bekommt.“ In München sieht man sich lieber mit beiden Beinen auf dem Boden.

BMW investiert unbeirrt in Verbrennungsantriebe und erprobt zudem eine Wasserstoff-Pilotflotte. Die für das Jahr 2025 geplanten Top-Modelle Neue Klasse richtet der Autokonzern zwar auf Elektromobilität aus, sie können aber voraussichtlich auch einen wasserstoff-betriebenen Antriebsstrang aufnehmen. Technologieoffenheit – das ist das Mantra für die unternehmerischen Entscheidungen im Vierzylinder-Hochhaus. BMW nennt das „The Power of Choice“.

Mit Blick auf die EU-Vorgaben ab 2035 sagt Zipse: „Es gibt heute fünf Antriebsformen für Automobile: Benziner, Diesel, Hybride, batterieelektrische Antriebe und Wasserstoffantriebe. Wenn Sie heute sagen, in zwölf Jahren wollen Sie nur noch eine davon, schalten Sie vier Technologien ab.“ Umweltorganisationen und kritische Anleger unterstellen BMW, die Zeichen der Zeit nicht erkannt zu haben und mit der Unternehmensstrategie in der alten Verbrennerwelt zu verharren. Für die Umwelt sei das zu wenig. BMW kontert diese Anwürfe mit Hinweisen auf das 2022 vorgestellte Konzept der iFactories, mit der alle Produktionswerke klimaneutral und ressourcenoptimiert arbeiten sollen, sowie mit ehrgeizigen Zielen bei der Kreislaufwirtschaft innerhalb der Lieferketten.

Spätestens 2050 will BMW über die gesamte Wertschöpfungskette klimaneutral sein. Die Entwicklung von Verbrennern steht für Zipse dazu in keinem Widerspruch: „Wir bleiben unserem technologisch breiten Ansatz treu, weil wir keine Marktpotenziale vergeben und nur so in allen Märkten einen wirksamen Beitrag zum Klimaschutz leisten können.“ Mercedes-Benz, der Erfinder des Automobils, hat sich dagegen ganz der Elektromobilität verschrieben. Diesen Weg hält das Unternehmen auch im Hinblick auf den Klimaschutz für besser. Noch 2023 verabschiedet sich die Marke mit dem Stern von der Entwicklung neuer Verbrenner. „Nach heutigem Stand ist die E-Klasse mit ihren Derivaten das letzte Modell von Mercedes-Benz, das auf einer reinen Verbrenner-Plattform entsteht“, sagt Entwicklungschef Markus Schäfer.

Wo es die Marktbedingungen zulassen, will Mercedes – das ist Teil der Konzernstrategie – bis 2030 vollelektrisch werden. Dafür verändert sich das Modellportfolio deutlich stärker als bei den Wettbewerbern BMW und Audi. Bis 2026 soll der Absatz im Top-End-Segment um 60 Prozent gegenüber den aktuell verkauften rund 250.000 Einheiten steigen. Dazu gehören die S-Klasse, der SL, der EQS, alle AMG-Fahrzeuge und natürlich die Luxusmarke Maybach.

Mercedes’ Finanzchef Harald Wilhelm begründet dies so: „Wir werden keine Marktanteile mehr über unwirtschaftliche Kanäle erhöhen.“ Das große Ziel: Mercedes soll zu einer reinen Luxusmarke werden. Für Källenius geht das Konzept bereits auf, wie er im Februar auf der Bilanzpressekonferenz sagte: „Auch wenn wir makroökonomische Ereignisse nicht kontrollieren können, ist das Geschäftsjahr 2022 ein Beleg dafür, dass die strategische Ausrichtung stimmt.“ Für den Kunden bedeutet das höhere Einstiegspreise, für Mercedes eine höhere Marge. Gleichzeitig wird gespart. „Wir bleiben schwäbisch“, gibt Källenius vor. Der Schwede, seit Mai 2019 an der Spitze, will die Fixkosten senken. Sonst würde die Rentabilität im E‑Zeitalter in Gefahr geraten.
Doch Mercedes kann nicht nur schwäbisch und teuer, sondern auch innovativ. Als erster Automobilbauer überhaupt zertifizierte das Unternehmen ein Fahrzeug mit autonomen Fahrfunktionen nach Level 3. Mit dem „Drive Pilot“ können die S-Klasse und seine Elektroversion EQS auf bestimmten Autobahnabschnitten bei bis zu 60 km/h vollautomatisiert fahren. Der Fahrer gibt die Kontrolle dann an sein Auto ab. Der praktische Nutzen für den „Drive Pilot“ mag noch gering sein – doch der Prestigeerfolg für Mercedes ist enorm. BMW will hier bis Ende des Jahres mit einem Angebot im Siebener nachziehen. Bei Audi wird es voraussichtlich noch bis Ende des Jahrzehnts dauern.

In Ingolstadt müssen erst andere Baustellen aus dem Weg geräumt werden, bevor der Level-3-Wettstreit mit BMW und Mercedes begonnen werden kann. Eine Modellflaute im Jahr 2022 sorgte für Frust. Inzwischen scheint die Identitätskrise überwunden. Schon 2021 definierte die Premiummarke des VW-Konzerns ihre Strategie: Vorsprung 2030. „Die Mobilität entwickelt sich rasant weiter. Darauf werden wir künftig noch schneller und flexibler reagieren“, beschreibt Audi-Chefstrategin Silja Pieh das Leitbild. Konkret heißt das: Der letzte neue Audi-Verbrenner kommt 2026 auf den Markt, 2033 verschwindet er dann ganz aus dem Modellportfolio.

Den legendären Markenslogan „Vorsprung durch Technik“ will Audi 2023 mit dem ersten Fahrzeug auf der neuen PPE-Plattform – das steht für Premium Platform Electric – des VW-Konzerns gerecht werden. Es folgen fast 20 neue Fahrzeuge und Produktaktualisierungen. „Wir stehen vor der größten Modelloffensive unserer Geschichte“, sagt Audi-Chef Duesmann. Spätestens im Jahr 2030 will Audi drei Millionen Fahrzeuge absetzen. Es wäre beinahe eine Verdopplung des jetzigen Konzernabsatzes. Dafür muss sich in Ingolstadt einiges tun. Analyst Daniel Roeska vom Institut Bernstein Research: „Audi hat durch das Plattform-Karussell des Volkswagen-Konzerns im Vergleich der drei deutschen Premiumhersteller die größten Herausforderungen. Ich sehe keinen klaren Plan für die USA, mir fehlt eine überzeugende Idee für den chinesischen Markt.“

Audi, BMW und Mercedes sind im kollegialen Wettstreit sportlich verbunden, feindlich gesinnt sind sie sich nicht. Auch, weil die drei Premium-Größen im Automobilverband VDA und bei den Spitzentreffen der Automobilindustrie im Bundeskanzleramt zumeist für eine gemeinsame Sache kämpfen.

Unter den Herstellern haben Audi, BMW und Mercedes einen gemeinsamen Rivalen: Tesla. Der Erfolg des US-Elektroautopioniers wurde in Ingolstadt, München und Stuttgart gleichermaßen unterschätzt. Tesla machte E-Mobilität sexy und setzte Benchmarks bei der Software. Der technologische Rückstand wird zwar gerade kleiner, aber dennoch ist das Unternehmen von CEO Elon Musk den drei deutschen Premiumanbietern noch immer voraus.

Tesla ist an der Börse weit mehr wert als Mercedes, BMW und Audi zusammen. Und das US-Unternehmen will weiter radikal wachsen. Jürgen Pieper, Autoexperte beim Bankhaus Metzler: „Tesla fehlen vielleicht noch zwei Jahre bis zu BMW, vielleicht noch drei Jahre bis zu Mercedes.“ Mit seinen teureren Fahrzeugen und Innovationen wildert das Unternehmen immer stärker im Premiumsegment. Auf Kosten von Marktanteilen der etablierten Konkurrenz. Audi, BMW und Mercedes vertrauen derweil auf ihre Stärken. Vorerst ohne Grund zur Nervosität.

Analyst Roeska: „Mercedes hat seine Strategie sehr systematisch durchdacht. Sei es durch die frühe Einführung des Agenturmodells im Vertrieb oder neue Showrooms. Da passt vieles exzellent zusammen.“ Und auch BMW bescheinigt der Autoexperte ein stimmiges Zukunftsbild: „Sie können die Produktion von Verbrennern und Elektrofahrzeugen auf einer Linie nach Bedarf variieren und über-lassen dem Kunden die Wahl des Antriebsstrangs.“ Das Rennen jedenfalls ist in vollem Gange.

Aus dem Datencenter:

Marktanteile in Europa von Mercedes-Benz, BMW und Audi (2021 und 2022)

Auslieferungen der Kernmarken von Mercedes-Benz, BMW und Audi von 2017 bis 2022

Zulassungszahlen in den USA im ersten Quartal 2023

Dieser Text stammt aus der Automobilwoche-Edition Premium. Wenn Sie mehr davon lesen wollen, klicken Sie hier.