Oliver Blume sorgt für Neustart bei Cariad

Oliver Blume hat genug. In einem beispiellosen Schnitt schmeißt der Volkswagen-Chef aller Voraussicht nach gleich drei seiner Top-Führungskräfte der Software-Schmiede Cariad raus. CEO Dirk Hilgenberg, CTO Lynn Longo und CFO Thomas Sedran müssen gehen. Einzig CPO Rainer Zugehör bleibt im Amt. Das berichtete am Freitagabend zuerst Business Insider. Der Volkswagen-Konzern bestätigte die Rauswürfe zunächst nicht.

Nachfolger wird der aktuelle Bentley-Produktionsvorstand Peter Bosch. Das wurde er Automobilwoche aus Konzernkreisen bestätigt. Das Handelsblatt hatte zuerst über die Personalie berichtet. Eine Aufsichtsratssitzung soll die Entscheidung finalisieren und Bosch auf seinen neuen Posten berufen. Am Mittwoch steht dann zudem die Hauptversammlung von Volkswagen in Berlin an. Grund für den klaren Schnitt an der Spitze der Cariad sind Verzögerungen bei der Entwicklung der Software 1.2, die für die ersten beiden Fahrzeuge auf der neuen PPE-Plattform (steht für Premium Plattform Electric), den Audi Q6 e-Tron und den Porsche Macan, die beide noch in diesem Jahr vorgestellt werden, essentiell ist.

Die beiden Premium-Marken im VW-Konzern hatten sich zuletzt immer wieder unzufrieden mit dem Entwicklungsstand der Software gezeigt. Der Q6 e-tron wird in Ingolstadt bereits in Vorserie gefertigt, aber auch aus Konzernkreisen in Zuffenhausen heißt es: "Das Auto ist fertig, aber die Software nicht...".

Das vollelektrische SUV Q6 e-tron ist speziell für Audi besonders von Bedeutung. Nach einer langen Modellkrise bildet das erste PPE-Fahrzeug den Auftakt einer großen Modelloffensive mit bis zu 20 neuen Fahrzeugen und Derivaten bis 2025. Ein Scheitern des Anlaufs des Q6 e-tron war daher deswegen gerade für die im Premium-Segment enorm unter Druck stehenden Ingolstädter nicht zu akzeptieren. 

Q6 e-tron und Porsche Macan sollten ursprünglich bereits vor zwei Jahren auf den Markt kommen. Die Probleme bei der Software-Tochter Cariad kosteten bereits Blumes Vorgänger Herbert Diess den Job. Nachfolger Blume greift jetzt durch, bevor die Software-Probleme auch für ihn zu einem echten Problem werden. Zwei weitere Technik-Spezialisten sollen zudem deswegen in die Cariad-Führung einziehen, um die aktuellen Probleme zu beseitigen.

Diese neue Führung um Ex-Bentley-Mann Bosch soll die Cariad jetzt nicht nur umstrukturieren, sondern gleichzeitig auch für Partnerschaften öffnen. Zuletzt hatten deutsche Hersteller sich immer mehr für Zusammenarbeiten mit großen Tech-Konzernen geöffnet. Mercedes kooperiert seit kurzem mit Google. Volkswagen wollte mit der Cariad nach wie vor zu weiten Teilen selbst erfolgreich sein. Ex-BMW-Mann Hilgenberg, den einst Blumes Vorgänger Diess nach Wolfsburg holte, lag dabei jetzt aber nicht mehr auf dem richtigen Kurs. Über die Ablösung des CEOs der Software-Tochter war in der Branche seit Monaten offen spekuliert worden. 

Nach Hilgenbergs Abgang soll nun offenbar die Partnerschaft mit Mobileye noch ausgebaut werden. Nach dem Ende der wenig fruchtbaren Zusammenarbeit mit Argo A.I. paktierte bereits Volkswagen Nutzfahrzeuge in Hannover mit Mobileye. Die gemeinsamen Entwicklungen mit den Israelis sollen jetzt noch ausgebaut werden. 

Das alleine wird die Probleme bei der Cariad aber nicht lösen. Eines der größten Probleme der Abteilung besteht in seiner komplizierten und dezentralen Organisationsstruktur. Teile der Software-Schmiede sitzen in Berlin, andere in Wolfsburg, wieder andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Ingolstadt, Hilgenberg selbst residiert in München. Weltweit beschäftigt die Cariad rund 6000 Mitarbeiter und soll dabei eigentlich noch weiter wachsen. Doch im traditionellen Kompetenz-Gerangel der Marken untereinander ist eine intransparente Struktur der gemeinsamen Software-Abteilung Gift für die Produktivität.

Ursprüngliche Idee von Ex-VW-Chef Diess war es, mit der Cariad einen zentralen Bauchladen bereitzustellen, aus dessen Auslage sich die jeweiligen VW-Marken je nach Bedarf für ihre Fahrzeuge bedienen können. Oliver Blume begründete bereits bei seinem Antritt eine Abkehr von diesem Kurs und stärkte die Kompetenzen der einzelnen Marken. Diese stellten sich jetzt auf die Hinterbeine und wehrten sich gegen die immer noch zu zögerlichen Abläufe bei der Cariad. Mit Erfolg.

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