Herr Vollmer, eigentlich sollten Sie längst am neuen Trinity-Werk in Wolfsburg-Warmenau bauen. Jetzt ist nicht mal mehr klar, ob es überhaupt gebaut wird. Kommt es denn noch? Oder hat sich das jetzt erledigt?
Vollmer: Die Verschiebung der neuen SSP-Architektur hat dazu geführt, dass wir die gesamte Situation neu bewerten müssen. Wie entwickelt sich die Auslastung im Stammwerk in den kommenden Jahren? Wie viele Verbrenner bauen wir 2028 noch? Von der Beantwortung dieser Fragen hängt ab, ob wir in Warmenau neu bauen müssen – oder es uns dann vielleicht doch gelingt, die SSP-Architektur sofort ins Stammwerk zu integrieren.
Und welche Variante wäre Ihnen am lieben?
Entscheidend ist am Ende die Wirtschaftlichkeit, sowohl was die Investitionen für den Bau angeht als auch die Produktionskosten pro Fahrzeug über eine Laufzeit von mehreren Jahren. Wir sind gerade dabei, das zu bewerten. Die Integration in bestehende Strukturen hätte sicherlich den Vorteil, dass wir keine zusätzlichen Flächen versiegeln müssen.
Ein komplett neues Werk bauen zu können, dürfte für Sie als Produktioner ja ein Traum sein. Schmerzt es Sie nicht, wenn dieser Traum zerplatzt?
Es geht an dieser Stelle aber nicht um Träume. Sondern um Realismus. Wir haben gerade in Europa eine seit Jahren stabil hohe Anzahl an Fahrzeugen auf dem Markt. Elektrofahrzeuge ergänzen die existierenden Verbrenner-Fahrzeuge nicht, sondern ersetzen sie. Der Fahrzeugmarkt in Europa ist also kein aufstrebender Wachstumsmarkt, wie etwa China oder Indien. Deshalb gilt es, unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten erst einmal die vorhandenen Kapazitäten in unseren bestehenden Werken zu nutzen.
Aber Sie wollen dann trotzdem, falls die Produktion ins Stammwerk integriert wird, Elemente von dem, was Sie eigentlich in Warmenau vorhatten, im Stammwerk umsetzen?
Ja, das hatten wir im zweiten Schritt ja ohnehin vor. Ich habe immer gesagt: Das ist wie beim Keller, in dem man erstmal Platz schaffen muss, bevor man dort neu sortieren kann. Die Verzögerung bei der Einführung der SSP-Architektur könnte jetzt dazu führen, dass wir dann bereits genug Platz im Stammwerk haben, um die neuen Segmente gleich dort zu integrieren.
Könnten Sie denn alles, was Sie in Warmenau vorhatten, dann auch im Stammwerk umsetzen?
Alles würden wir sicher nicht umsetzen können, aber vieles. Die Planungen für den Bau einer komplett neuen Fabrik auf der grünen Wiese haben uns geholfen, über den Tellerrand hinauszudenken und im Team ganz neue Ideen zu kreieren. Davon würden wir einiges auch im Stammwerk umsetzen können. Etwa durch den Bau einzelner neuer Hallen. Und über den Einbau neuer Fördertechnik, die wir aufgrund der höheren Gewichte von Elektrofahrzeugen sowieso erneuern müssten. Dadurch werden wir die Wege in der Produktion verkürzen.
Sind die in Warmenau angepeilten zehn Stunden Produktionszeit pro Auto damit zu erreichen?
Zehn Stunden sind ein sehr ambitioniertes Ziel, das nur unter bestimmten Voraussetzungen zu erreichen ist. Selbstverständlich wollen wir die Produktionszeit weiter reduzieren. Diese wird unter den 18 Stunden liegen, die wir aktuell in Wolfsburg für die Fertigung des Tiguan benötigen.
Trinity war nicht der einzige Knackpunkt der Planungsrunde 2022, die von November auf März verschoben wurde. Sind alle Themen durch? Oder sind noch Baustellen offen?
Nach der Planungsrunde ist vor der Planungsrunde. Derzeit befinden wir uns in der neuen Planungsrunde, die üblicherweise im November abgeschlossen wird. Und es gibt ja viele neue Themen, die wir berücksichtigen müssen, schon allein wegen Euro-7. Da gibt es dann naturgemäß immer wieder Veränderungen in der Planung, die wir jetzt einarbeiten. Und dann im Herbst final entscheiden werden.
Eine offene Baustelle war zum Beispiel das Werk in Osnabrück, wo eine Anschlusslösung gefunden werden muss.
In den kommenden zwei Jahren bauen wir dort zunächst einmal wieder Porsche Modelle. Das ist eine gute Nachricht für den Standort. Wir haben das komplette Auslauf-Volumen des Boxster und Cayman der aktuellen Generation bekommen und die Produktion ist ja gerade erst angelaufen. Hinzu kommen dort weiter T-Roc Cabrio und der Arteon Shooting Brake. Damit sind wir dort erst einmal gut ausgelastet.
Aber halt nur für zwei Jahre…
Ich denke sogar länger. Über mögliche Folgeprojekte muss im Rahmen der jetzigen Planungsrunde entschieden werden.
Und wie könnte das aussehen?
Dafür ist es noch zu früh, darüber jetzt schon zu reden.
Aber Sie werden in Osnabrück schon weiter Autos bauen?
Davon ist auszugehen. Osnabrück hat sich in den letzten Jahren als Standort bewährt, sehr flexibel und mit toller Qualität. Das ist gerade für Derivate in kleinen Stückzahlen und Cabrios ideal. Da können wir froh sein, dass wir so einen Standort haben, der dann kurzfristig mit geringen Investitionen Fahrzeuge bauen kann.
Und in Dresden?
Da fahren wir aktuell den ID.3 und haben jetzt auch entschieden, die Gläserne Manufaktur für die Produktaufwertung, die in Kürze auf den Markt kommt, einzurüsten. Das heißt, wir fahren die nächsten Jahre erst mal so weiter wie bisher.
Und danach?
Da gilt ähnliches wie für Osnabrück. Da muss im Rahmen dieser Planungsrunde eine Anschluss-Lösung gefunden werden.
Wird diese Anschlusslösung zwingend so aussehen, dass dort weiter Autos gebaut werden?
Die Gläserne Manufaktur ist ein wunderbarer Standort, aber eben kein klassisches Automobilwerk. Hier steht das Kundenerlebnis von Produkten und Fertigungstechnik auch langfristig im Vordergrund. Wir müssen schauen, in welchem Umfang und mit welchem Modell dafür eine Fertigung wirtschaftlich sinnvoll ist.
Sie waren bisher Produktionsvorstand der Marke. Seit September sind Sie in der Erweiterten Konzernleitung auch für die Produktion des Gesamtkonzerns verantwortlich. Was hat sich verändert?
(lacht) Vor allem mein Kalender. Da sind jetzt doch sehr viele Gremien-Termine im Konzern dazugekommen, speziell am Dienstag.
Und inhaltlich?
Da sind mir in meiner Konzern-Funktion drei Themen wichtig: Die Werkbelegung, weg von der starken Markenorientierung, die wir heute haben, hin zu einer echten Plattform-Orientierung. Beim Thema Digitalisierung haben wir noch einiges zu tun in den nächsten Jahren. Und das dritte große Thema ist Nachhaltigkeit in der Produktion. Meine Erfahrung aus der Marke Volkswagen hilft mir dabei, die Aufgabe ganzheitlich für den Konzern anzugehen. Immer vor dem Hintergrund: Was ist wirtschaftlich sinnvoll umsetzbar? Für 2025 haben wir uns klare Umweltziele gesetzt, und wir sind da auch auf einem guten Weg, diese Ziele zu erreichen.
Trotz Ukraine-Krieg?
Der Krieg hat uns vor zusätzliche Herausforderungen gestellt. Um Energie einzusparen, haben wir die Temperaturen in den Fertigungshallen und auch in den Büros reduziert. Dadurch haben wir in der zweiten Jahreshälfte 2022 enorme Einsparungen erreicht. Am Ende hilft uns das jetzt sogar, unsere Ziele zu erreichen. Wir konnten vieles umsetzen, was vorher sicherlich nicht so leicht machbar gewesen wäre.
Wenn Sie die Produktion künftig nach Plattformen und nicht mehr nach Marken ordnen wollen, was schwebt Ihnen da vor?
Da gibt es schon einige gute Beispiel. Etwas das Colorado-Projekt von VW und Porsche 2003 mit der Zusammenarbeit bei Touareg und Cayenne. Oder aktuell das Gemeinschaftsprojekt BETA+, bei dem unter der Führung von Skoda Passat und Superb entwickelt und produziert werden. Damit sparen wir Investitionen in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro. Und dann natürlich unser zukünftiges Small-BEV-Projekt in Spanien, wo in zwei Werken vier Elektromodelle im Einstiegssegment von drei Marken gebaut werden. Das hilft uns, bislang ungenutzte Kostensynergien zu heben - und das markenübergreifend für unsere Kunden.
Es gibt aber auch einige Negativbeispiele, etwa den Skoda Enyaq iV, der in Mlada Boleslav gebaut wird und eben nicht zusammen mit den Schwestermodellen von VW und Audi in Zwickau.
Natürlich gibt es immer wieder das Bestreben einer Marke, zuerst einmal die eigenen Werke zu füllen. Aber mit den begrenzten finanziellen Mitteln, die wir haben, werden wir nur erfolgreich sein und auch wirtschaftlich Autos bauen können, wenn wir die Plattform-Orientierung an den Standorten künftig konsequent umsetzen. Genau das ist das Prinzip der Markengruppe Volumen. Meine Aufgabe ist es jetzt, diese Themen zu identifizieren und möglichst in diesem Jahr abzuarbeiten. Wo machen wir im Konzern doppelt oder sogar dreifach Arbeit? Wo können wir zusätzliche Synergien heben? Effizienzen finden? Und dann diese Einsparpotenziale heben - und nicht nur darüber reden.
Wie kommt das bei Ihren Kollegen der anderen Marken an? Und in Wolfsburg, wo man ja auch zugunsten anderer verzichten müsste?
Wir sprechen da sehr offen und transparent, und dafür stehe ich auch. Und wenn die Alternative dann ist, gar kein Produkt zu haben oder ein unwirtschaftliches Produkt, dann steigt auch die Bereitschaft, selbst einmal zurückzustecken und dafür an anderer Stelle zum Zuge zu kommen. Es ist ein Geben und Nehmen. Wichtig ist, dass es ein Win-Win-Szenario ist. Am Ende haben wir nur gemeinsam Erfolg.
Und bis wann wollen Sie das alles neu ordnen?
Wir betrachten in unserem Planungshorizont immer zehn Jahre. Die ersten fünf Jahre sind die operative Planung, die zweiten fünf die strategische Planung. Und da schauen wir schon jetzt bis ins Jahr 2033 und spielen auch Szenarien durch, wie genau das dann über die Generationswechsel und über Auslauf von Verbrennern plattform-orientiert umgesetzt werden kann.
Und wann bauen Sie den letzten Verbrenner?
Ein konkretes Datum kann ich Ihnen heute noch nicht nennen. Ich gehe aber davon aus, dass wir bis Mitte der 30er-Jahre in nahezu jedem Werk weltweit auch Elektrofahrzeuge bauen werden. Für mich ist der Schlüssel zur erfolgreichen Transformation, dass wir in unseren Werken außerhalb von Europa nach und nach Elektrofahrzeuge in die Produktion integrieren. Das ermöglicht uns, die Produktion auf die individuelle Nachfrageentwicklung in den jeweiligen Märkten abzustimmen. Die Produktion von Verbrennern werden wir gemäß unserer BEV-Ziele in den Markengruppen nach und nach runterfahren. Es wird aber mindestens noch bis in die zweite Hälfte der 30er-Jahre dauern, ehe wir keine Verbrenner mehr produzieren werden.
Aber nicht in Europa.
Für Europa haben wir ein klares Enddatum genannt. Nach 2033 werden wir hier nur noch Elektrofahrzeuge produzieren.
Investiert wird derzeit aber eher in den USA, auch von VW. Ich sage nur neues Scout-Werk in den USA und Batteriezellen aus Kanada. Verschiebt sich der Investitionsschwerpunkt gerade Richtung USA? Kommt Europa ins Hintertreffen? Auch wegen der Subventionen?
In Europa haben wir schon zwei Batteriezell-Fabriken beschlossen, eine in Deutschland, eine in Spanien. Die Bauarbeiten hierfür laufen. Für eine dritte sind wir noch auf Standortsuche. Zudem transformieren wir unsere Werke von Verbrenner auf Elektro. Auch das geht nur, wenn wir Geld in die Hand nehmen. Zugleich haben wir ein Wachstumsprogramm für Nordamerika gestartet, um unseren Marktanteil dort deutlich erhöhen und die Region zum dritten Standbein neben Europe und China auszubauen.
Und wenn der Steuerzahler in den USA und Kanada das unterstützt, sagen sie nicht nein.
Diesen Weg hätten wir auch ohne Anreize beschritten, weil es strategisch sinnvoll ist und wir durch den Umstieg der US-Kunden auf Elektromobilität eine einmalige Chance haben, wieder eine bedeutende Rolle auf diesem wichtigen Wachstumsmarkt zu spielen. Der sogenannte Inflation Reduction Act, kurz IRA, ermöglicht enorm hohe Förderungen für die Wertschöpfungskette der E-Mobilität. Eine europäische Antwort muss die Ansiedlung von Industrie, unter anderem von Zellfabriken, in ähnlicher Weise attraktiv machen.
Auf der anderen Seite wird mit dem Cupra Tavascan erstmals ein Auto in China für den Export gebaut. Wird das Schule machen? Also mehr Autos aus China für Europa?
Nein. Das ist eine einmalige Entscheidung nur für den Tavascan. Darüber hinaus gibt es aktuell keine Überlegungen, ein weiteres Konzernprodukt nach Europa zu exportieren.
Wobei der Cupra Tavascan als Schwestermodell von ID.4 und Skoda Enyaq iV nach Ihrer neuen Plattformlogik ja eigentlich nach Zwickau oder Mlada Boleslav gehört hätte.
Ja. Aber beide Standorte sind derzeit voll ausgelastet, da gab es keine Kapazität mehr für ein weiteres Modell. Und das neue Werk in Anhui bot sich dann an.
Auch in Europa verlagern sich die Gewichte. Der ID.2 wird in Spanien gebaut, der ID.1 womöglich nicht mal in Europa. Welche Zukunft hat da noch der Produktionsstandort Deutschland?
Unsere drei großen Standbeine sind und bleiben Nordamerika, Europa und China. Europa wird als Produktionsstandort mit dem Know-how, das wir hier haben, immer eine wesentliche Rolle spielen. Das Verschiffen und Transportieren von Teilen und Fahrzeugen rund um den Globus wird sich reduzieren, schon wegen der CO2-Bilanz. Und das ist auch richtig so. Produktion in Europa für Europa, das wird die Zukunft sein. Der Standort Deutschland wird dabei nach wie vor eine wichtige Rolle spielen.
Also kein Handlungsbedarf?
Doch. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen wir weiter an unserer Produktivität in Deutschland arbeiten und die Regierungen für wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen sorgen. Wir werden in der Produktion weiter automatisieren, Richtung Industrie 4.0 mitgehen und sowohl Big Data als auch künstlicher Intelligenz nutzen. Und wir müssen unsere CO2-Ziele erreichen. Das alles brauchen wir, um am Standort Deutschland weiterhin erfolgreich zu sein.
Aus dem Datencenter:
Elektromodellvorschau für die Marke Volkswagen 2023 bis 2028