Porsche ist Synonym für ein sportliches Automobil – aber nicht nur wegen der Antriebsleistung der Modelle, sondern auch wegen der unverwechselbaren Gestaltung. Designchef Michael Mauer erklärt im Automobilwoche-Interview, wie das „Grundgesetz“ des Porsche-Designs lautet und wie sich die Marke in ihrer Designsprache in Zukunft gegen die Herausforderungen aus China behaupten will.
Herr Mauer, Ihr jüngstes Baby ist der Mission X. Bleibt das ein Konzeptauto oder hat die Studie Aussicht auf eine Serienfertigung?
Zunächst einmal ist das ganz klar eine Studie. Aber Studien von Porsche hatten anders als bei vielen anderen Autobauern schon immer einen hohen Grad an „feasibility“, an tatsächlicher Umsetzung. Wir haben schon häufig gesehen, dass unsere Studien in der einen oder anderen Weise Eingang in die Produktion gefunden haben. Jedes Konzept inspiriert uns, ob im Detail oder als Ganzes, das ist eine andere Frage. Aber, das möchte ich betonen, dazu ist beim Mission X noch keine Entscheidung gefallen.
Sind die sehr unterschiedlichen Konzepte Mission X und Vision 357, die in kurzer Folge vorgestellt wurden, so etwas wie die beiden Pole, die das Porsche-Design auszeichnen: Modernismus versus Retro-Anklänge?
Das Jahr 2023, unser 75. Geburtstag, ist für uns sicher etwas Besonderes, nicht nur ein Jahr mit einer IAA oder Pebble Beach. Der Porsche Vision 357 ist auch mit Blick auf die Community entstanden, die Enthusiasten sehen im 356 immer stärker die Wurzeln von Porsche. Das war nun mal nicht der 911er, sondern der 356er. Tradition und Innovation sind deshalb immer zwei gleichberechtigte Elemente des Porsche-Designs. Diese Bandbreite im Jubiläumsjahr zu zeigen, beim 75. Geburtstag, das ist die Botschaft, die von diesen beiden Studien ausgeht.
Spielt die weltweite Porsche-Community für Sie eine besondere Rolle?
Einerseits ja, wir nehmen dort viel auf und lassen uns davon inspirieren. Keine Firma dieser Welt sollte so arrogant sein und nicht hinhören oder den Zeitgeist außer Acht lassen. Aber wir erfüllen bewusst nicht alle Wünsche der Community. Denn die Befolgung sämtlicher Kundenbedürfnisse führt zu einem charakterlosen Produkt. Das wäre aber das Gegenteil des Markenverständnisses von Porsche. Generell gilt: Ein Porsche muss nicht allen gefallen, wir verfolgen eine sehr klar definierte Designstrategie und bleiben – ganz besonders beim Design – dem Markenkern treu.
Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?
Nehmen Sie beispielsweise das Interieur: Aktuelle Trends gehen zu nahezu komplett digitalen Flächen. Wir erzeugen auch hier bewusst Spannung und integrieren nach wie vor haptische Elemente.
Wie frei können Sie als Designchef von Porsche schalten und walten?
Da muss man unterscheiden. Wenn es konkret um ein Statement geht, wie etwa beim Mission E, bei dem es um den Einstieg in die Elektromobilität ging, dann gibt es einen klaren Auftrag. Aber wir haben im Designbereich schon immer einen großen Freiraum gehabt – man kann auch sagen ein ausreichendes Budget –, um uns kreativ weiterzuentwickeln. Hier sind die Vorgaben nur sehr allgemein, konzeptionell. Etwa nach dem Motto „Sollte Porsche im Jahr 2030 nicht dieses oder jenes Auto haben?“ Das schafft einen Freiraum, wie wir ihn beispielsweise beim Porsche Vision 357 hatten. Der Mission X dagegen ist anders entstanden, mit Blick auf die aktuellen Herausforderungen. Mit ihm wollen wir unsere Designsprache frisch und lebendig halten. Es reicht eben nicht, nur im Tagesgeschäft zu agieren oder einen Nachfolger zu schaffen. Wir legen großen Wert darauf, die Marke als solche weiterzuentwickeln.
Das Porsche-Design scheint im Konzern eine immer stärkere Strahlkraft zu bekommen – so spricht man darüber, dass die Marke Volkswagen künftig Anklänge beim Porsche 918 nehmen könnte. Wird das Porsche-Design zum Treiber im ganzen Konzern? Sie tragen ja seit Januar auch wieder die Verantwortung für das konzernweite Design.
Es geht nicht darum, das Design von Porsche auf andere Marken zu übertragen. Das höchste Gut in Designkreisen besteht zunächst einmal darin, ein begehrenswertes Design für eine Marke zu kreieren. Das ist aber in meinen Augen nicht die Königsdisziplin. Die besteht natürlich darin, für Begehrlichkeit zu sorgen, aber auch die Marke zu positionieren. Das Design muss zur Marke passen. Wenn ich mir etwa das Design in China anschaue, dann stelle ich fest: Da finden sich hoch attraktive Designs, aber manchmal scheinen diese mir wenig zur Positionierung der Marke zu passen. Bei Porsche haben wir ein System etabliert, mit dem wir es schaffen, die Marke sozusagen zu visualisieren. Ein Design ist perfekt, wenn es die Werte der Marke kohärent und stimmig ausdrückt. Eine meiner Aufgaben ist es nun im Konzern, dieses Prinzip bei allen Marken zu etablieren. Insofern können andere Marken von den Erfahrungen bei Porsche lernen. Aber es geht nicht darum, einen Porsche-Klon zu entwickeln. Jede Marke soll mit ihrem Design den Geist und die individuelle Identität ihrer Marke transportieren.
Was verstehen Sie unter dem Geist einer Marke?
Wir haben dazu bei Porsche einige Schlüsselwörter definiert, und ein zentrales Schlüsselwort für uns lautet Fokus auf den Fahrer. Wenn eine Marke ein anderes Schlüsselwort hat – etwa demokratisch –, dann ergeben sich daraus andere Designs, andere Cockpit-Layouts und vieles mehr. Genau hier sehe ich noch Potenzial bei den Marken im Konzern. Wir können das Thema Marke und Design noch kohärenter zusammenbringen. Und daraus ergeben sich Konsequenzen, nicht nur für die Fahrzeuge, sondern auch für den Verkaufsraum, für den Internetauftritt, für die Schrifttype und vieles mehr. Es geht um einen rundum stimmigen Markenauftritt.
Gibt es da eine Marke, die das schon nahezu perfekt umsetzt?
Ich nenne keine Automarken, aber nehmen Sie Apple. Da fängt das Markenerlebnis schon beim Auspacken an.
Wie geht das Porsche-Design mit den Wünschen der Kunden in China um? Der Markt dort ist auch für Porsche sehr wichtig geworden. Müssen Sie deshalb nicht mehr und mehr Rücksicht auf spezifische chinesische Kundenwünsche nehmen, etwa Spielereien im Cockpit?
China ist zweifellos für uns nicht mehr wegzudenken. Die Kunden in China sind sehr anspruchsvoll. Aber Markenidentität besteht nicht darin, alle Kundenwünsche zu erfüllen, wie ich schon erwähnt habe. Es geht um die richtige Balance. Beispiel Bildschirmgröße: Porsche wird niemals das ganze Cockpit von der linken zur rechten A‑Säule mit einem Monitor bestücken, das passt nicht zu uns – auch wenn sich das vielleicht viele Kunden in China so wünschen, weil es andere Marken haben. Wir können bis zu einem gewissen Grad eine regionale Anpassung an Kundenwünsche vornehmen, aber das wird Porsche niemals übertreiben. Nehmen Sie das Beispiel von Harley-Davidson. Diese Marke stand vor 20 Jahren vor dem Aus. Sie ist jedoch ihrer Identität treu geblieben – und damit wieder erfolgreich geworden.
Dennoch, wird das Gewicht Chinas nicht zwangsläufig steigen, auch beim Automobildesign?
Das Land China hat das längst erkannt, dort gibt es inzwischen drei Millionen Designstudenten. Letztendlich wird das Design für Automobilmarken entscheidend sein. Wir erhalten auch Bewerbungen von chinesischen Studenten. Diese sind höchst kreativ. Die Verbindung von Marke und Design ist hier jedoch noch ausbaufähig.
Hat sich der Designprozess bei Porsche in den vergangenen Jahren verändert?
Vor 30 Jahren wurde uns Designern eine Technologie über den Zaun geworfen und gesagt, jetzt macht das mal hübsch, danach wurden die notwendigen Teile eingekauft. Diese Zeiten sind aber längst vorbei. Bei Porsche arbeiten alle Projektteams von Anfang an eng zusammen. Auch das Designteam ist schon in einem sehr frühen Entwicklungsstadium dabei. Für uns ist diese frühe Einbindung extrem wichtig – den Grundstein für die markentypische Proportion legen wir bereits im Packaging.
Porsche gilt machen Zeitgenossen als Inbegriff von Verschwendung. Was antworten Sie diesen Kritikern in Bezug auf Design und Nachhaltigkeit?
Porsche hat schon vor Jahrzehnten damit begonnen, alternative Materialien im Fahrzeug einzusetzen, etwa synthetische Stoffe statt Leder. Die meisten Kunden bevorzugen allerdings nach wie vor Leder. Ich bin fest davon überzeugt, dass gerade im hochpreisigen Segment die Kunden bereit sein werden, zu überzeugenden alternativen Materialien zu wechseln. Grundvoraussetzung ist, dass diese hochwertig sind und Vorteile aufweisen, beispielsweise kratzfester sind oder andere funktionale Pluspunkte haben.
Wie geht eine Sportwagenmarke wie Porsche damit um, dass im E‑Auto der bisherige Motor-Kühlergrill überflüssig wird?
Auch E-Autos benötigen eine Kühlung, etwa beim Bremsen und beim Laden, dann interessanterweise eher beim Stehen als beim Fahren. Es sind also auch künftig Öffnungen in der Karosserie notwendig. Zudem haben gerade wir bei Porsche mit unserer Erfahrung bei Heckmotor-Antrieben schon immer versucht, die Öffnungen im Kühlergrill so klein wie möglich zu halten. Designtechnische Herausforderungen haben eher solche Hersteller, die den Grill in den vergangenen Jahren immer größer und größer gemacht haben.
Wird es bei Porsche auf Dauer eine optische Unterscheidung zwischen Elektroautos und Verbrennermodellen geben?
Wir haben beim Taycan gezeigt, dass ein neues, reines E-Modell auch optisch sich unterscheidet von allen Verbrennerfahrzeugen. Anders ist die Lage bei Modellen, die einen Verbrenner-Vorgänger haben und nun elektrisch werden. Das ist in einer Übergangsphase nicht ganz einfach. Es wird bei Porsche aber deutlich: Ich bin jetzt der Elektrische. Mit der Zeit werden sich diese Unterschiede aber nivellieren.
Das Interview führte Michael Knauer.
Das Interview stammt aus der neuen Automobilwoche-Edition "75 Jahre Porsche". Sie wollen mehr daraus lesen? Klicken Sie hier!