Wie nachhaltig ist veganes Leder wirklich?

Die These klingt recht gewagt: Es kann nachhaltiger sein, im Fahrzeuginnenraum weiter auf das beim Schlachten von Tieren ­gewonnene Naturprodukt Leder zu setzen statt auf die veganen Kunststoff-Alternativen. Das ist keine PR-Botschaft der Automobilindustrie, sondern eine der Erkenntnisse des im März veröffentlichten Reports des Market Institute der Umweltorganisation WWF.

Darin heißt es: „Leder-Alternativen sind oft aus Kunststoff, das unter Einsatz fossiler Energie­träger produziert wird. Kunststoff lässt sich nicht biologisch abbauen und verschmutzt Ozeane und ­Küsten. Dies sorgt für enorme Schäden bei der Artenvielfalt.“ Von den Lederproduzenten für die Autoindustrie wird das Narrativ nur zu gern übernommen. Das schottische Unternehmen Bridge of Weir, das unter anderem Leder für Lenkräder und Sitze für Audi, Toyota und McLaren fertigt und zu den größten Produzenten der Industrie zählt, teilt zum WWF-Report mit: „Dieser Bericht ist ein signifikanter Fortschritt, die große Bedeutung der Lederindustrie und die Umweltschäden durch nicht-tierische Produkte darzustellen.“

Die Argumentation des 1905 gegründeten Traditionsunternehmens geht sogar noch weiter als die WWF-These: Bridge of Weir ­behauptet, das für eigene Produkte genutzte Leder sei ohnehin nur ein Abfallprodukt der global immer weiter wachsenden Fleischindus­trie. Würde es nicht weiterver­arbeitet, würden die Tierhäute einfach ­verbrannt werden. Das belaste die Umwelt durch das entstehende CO2 und Methan zusätzlich. Das Leder einfach zu nutzen sei ­hin­gegen umweltverträglicher.

Laut Statistischem Bundesamt stieg die weltweite Fleischproduktion zwischen 2000 und 2020 tatsächlich um 45 Prozent. Allein 67,9 Millionen Tonnen Rindfleisch wurden 2020 weltweit verarbeitet – Tendenz weiter steigend. Die
Lederindustrie sieht sich hier nur als Profiteur einer ohnehin weiter steigenden Nachfrage nach Fleisch.

Und auch bei den Automobil­herstellern ist der Einsatz von echtem Leder in Fahrzeugen trotz aller PR-Botschaften längst nicht passé. Fredrika Klarén, Head of Sustainability bei Polestar, sagt: „Ein kompletter Umstieg von echtem Leder zu einer auf Kunststoffe basierenden Option würde den Einsatz von PVC erhöhen und hätte einen negativen Effekt auf die Umwelt – sowohl bei der Produktion als auch beim Lebenszyklus des Fahrzeugs.“ Als langfristige Lösung für die Branche gelten allerdings trotz steigenden Fleischkonsums nachhaltig produzierte Kunststoffe, deren Herkunft sich in der Lieferkette einfacher nachvollziehen lässt als bei Rindern.

Zudem wird den Automobilkonzernen immer wieder vorgeworfen, indirekt für Brandrodungen im ­Regenwald ­mitverantwortlich zu sein, damit die riesigen Rinder­herden weiden können. Premiumhersteller Audi arbeitet daher mit einem Werkstoff namens Dinamica, der wie Veloursleder aussieht, aber aus recyceltem Polyester stammt. Die Ingolstädter teilten der Automobilwoche dazu mit: „Wir bieten qualitativ dem Leder gleichwertige Alternativen.“

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